Die Fußballerin Fadwa El-Bahi führte jahrelang die libysche Frauen-Nationalmannschaft durch Bürgerkrieg und das Kreuzfeuer religiöser Hardliner. Ein Gespräch über mutige Mädchen und feige Verbände.
zenith: Unter Gaddafi war Frauenfußball zwar erlaubt, fand aber oft nur in geschlossenen Hallen und ohne Zuschauer statt. Konservative Kräfte wollten den Sport aus der Öffentlichkeit halten. Hat sich denn überhaupt jemand für Sie interessiert?
Fadwa El-Bahi: Wir waren zwar die Nationalmannschaft, aber wir durften nicht spielen. Wir trainierten und trainierten und wenn dann ein Spiel anstand, wurden wir gestoppt und wussten nicht warum. Handelte es sich um ein finanzielles Problem oder doch etwas Anderes? Das war noch vor der Revolution. Danach hielten uns eher die religiösen Fanatiker auf. Wir reisten trotzdem in den Libanon. Organisierten alles auf eigene Faust und spielten einfach.
Wie begann Ihre Karriere?
In meiner Familie sind wir vier Mädchen und ein Junge. Ich bin die Jüngste. Mein Bruder hat sich immer einen Bruder gewünscht, musste sich aber mit mir zufriedengeben. Und so begann es. Wir spielten und er trainierte mich: »Du darfst den Ball nicht mit den Händen berühren.« So lernte ich die Regeln und das nahm ich dann mit auf die Straße. Jeden Tag kam ich nach Hause, machte meine Hausaufgaben und ging danach raus, um Fußball zu spielen.
»Wenn du eine Nationalmannschaft auf die Beine stellen möchtest, dann ziehst du nicht einfach los, trommelst ein paar Mädchen zusammen und steckst sie in ein Trikot«
Bringt Sie Ihre Leidenschaft in Gefahr?
Die Frauen in Libyen zeigen Stärke, aber die konservativen Teile der Gesellschaft versuchen, sie klein zu halten. Ich hatte Glück, denn ich wurde in einer liberalen Familie groß. Es war etwas einfacher für mich. Zumindest nicht so schwierig wie für die anderen. Wir haben viel durchgemacht. Irgendjemand hat uns beim Training fotografiert und die Bilder auf Facebook hochgeladen. Es folgte eine Hasswelle, Beschimpfungen und Drohungen. Das geht nicht spurlos an einem vorüber. Jeder wusste, wer wir sind. Kurz darauf wurde unsere Mannschaft Gegenstand des Freitagsgebetes, übertragen im Fernsehen. Der Imam diffamierte uns öffentlich. Die islamistische Miliz Ansar Al-Scharia hat uns gebrandmarkt. Warum wir? Das ganze Land war im Bürgerkrieg. Es gab so viel wichtigere Themen als ein paar Frauen, die Fußball spielen.
Libyen konnte sich weder für die Afrika- noch für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Sind die schlechten Trainingsbedingungen und der Mangel an Unterstützung seitens der Regierung schuld daran?
Definitiv. Wenn du eine Nationalmannschaft auf die Beine stellen möchtest, dann ziehst du nicht einfach los, trommelst ein paar Mädchen zusammen und steckst sie in ein Trikot. Es braucht mehr als das. Du musst diese Mädchen trainieren, sie unterstützen, ihnen helfen. All das fehlte uns. Auch während der medialen Hetzjagd waren wir immer auf uns allein gestellt.
»Fußball ist ein mächtiges Spiel. Es verändert die Denkweise der Spielerinnen und davor haben viele Angst«
Wie treten Ihnen Ihre männlichen Kollegen entgegen?
Der Männer-Nationalmannschaft sind wir nie begegnet, aber manchmal erhielten wir Unterstützung von Männern aus unserem Umfeld. Unser Coach zum Beispiel trainierte uns, ohne dafür bezahlt zu werden. Aber diese Männer stellen die Minderheit dar. Und es sind so wenige, dass man sie kaum sieht. Die Mehrheit spricht sich dagegen aus. Fußball ist ein mächtiges Spiel. Es verändert die Denkweise der Spielerinnen und davor haben viele Angst. Es ist nicht der Sport an sich, viel mehr fürchten sie, dass die Frauen dadurch mehr Macht gewinnen.
Vor ein paar Monaten sagte der ägyptische Stürmerstar Mohamed Salah im Gespräch mit dem Time Magazine: »Wir müssen die Art und Weise ändern wie wir Frauen in unserer Kultur behandeln.« Wenig später, während des Afrika-Cups, gab er seinem Mitspieler Amr Warda mediale Rückendeckung, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird.
Das hätte Salah nicht machen sollen. Ich glaube, jemand hat ihn dazu gedrängt. Vielleicht war es der Verband. Vermutlich damit Warda beim Turnier weiterspielen kann. Ich halte Salah nicht für einen schlechten Menschen und ich denke, er weiß, dass er einen Fehler begangen hat.
Die US-amerikanische Frauennationalmannschaft lenkte nach der WM in Frankreich die Aufmerksamkeit auf das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen im Fußball. Stimmen Sie mit den Ansichten der Weltmeisterinnen überein?
Es handelt sich um eine logische Forderung. Die amerikanische Nationalmannschaft der Männer hat nichts gewonnen. Und wie viele Titel haben die Frauen? Vier oder fünf? Sie sollten sogar mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen. Ich kann ihren Frust nachvollziehen.
Die Revolution und der Bürgerkrieg haben Libyen fundamental verändert. Was genau passierte im Fußball in dieser Zeit?
Wir dachten, nach der Revolution wird es besser. Wir träumten davon, dass wir als Nationalmannschaft endlich das tun können, was uns vorher verwehrt wurde: Fußball spielen. Das Gegenteil war der Fall: Die Situation verschlechterte sich. Der Bürgerkrieg bestimmt das Denken und Handeln. In dieser Zeit entschlossen wir uns, die Organisation HERA zu gründen. Fußball half uns, zu überleben. Wir wollten das, was wir lernten, an andere Mädchen in Libyen weitergeben. Das war unsere Mission.
»Manchmal spielen wir noch zusammen Fußball. In einer Freitagnacht oder ganz früh am Morgen, wenn alle schlafen«
Wie kann das gelingen, mitten im Krieg?
Wir mussten kämpfen, aber wenn wir es nicht getan hätten, wer dann? Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Situation für diese Mädchen ist. In einem Bürgerkrieg geboren zu werden und darin aufzuwachsen. Für sie ist Krieg Normalität.
Haben Sie das Gefühl, aufgegeben zu haben, weil Sie aufgehört haben, für die Nationalmannschaft zu streiten?
Der Verband ist doch schuld. Noch immer sind dieselben Verantwortlichen an der Macht. Nichts hat sich verändert. Wir hätten bloß unsere Zeit verschwendet. Keiner bereut diesen Schritt. Wir sind besser dran ohne sie. Und manchmal spielen wir noch zusammen Fußball. In einer Freitagnacht oder ganz früh am Morgen, wenn alle schlafen. Dann gehen wir raus und mieten einen Platz. Sie können uns vielleicht die Nationalmannschaft nehmen, aber das Spiel gehört uns.
Was bedeutet Ihnen Ihr Aktivismus für Mädchen und den Frauenfußball?
Mittlerweile versuchen wir, unauffällig zu bleiben, wir machen nicht viel Werbung, posten selten Fotos, denn wir erhalten viele hasserfüllte Kommentare. Also bezeichnen wir uns selbst nicht als Aktivisten, wir wollen einfach nur helfen. Wir organisieren diese Workshops und manchmal fragen wir uns: Ist das genug? Können wir nicht noch mehr machen? Dann sehe ich, dass die Mädchen, die wir am ersten Tag kennenlernen, am siebten Tag nicht mehr dieselben sind. Die Körpersprache, ihr Selbstbewusstsein. Das ist der Grund für unsere Arbeit. Daran versuchen wir uns zu erinnern.
Für den Film »Freedom Fields« wurde Ihre Mannschaft über fünf Jahre lang mit der Kamera begleitet. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie das erste Mal das Endergebnis gesehen haben?
Ich war überwältigt. Ich habe den Film zum ersten Mal beim Internationalen Filmfestival in Toronto im Herbst 2018 gesehen. Ich weinte die ganze Vorführung über. Und ich hatte großes Mitleid mit den Mädchen im Film, obwohl ich das ja selbst war. Heute bin ich an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben. Ich blicke zurück und denke: Diese jungen Frauen mussten so sehr leiden. Und das nur, weil sie Fußball spielen wollten.
Vor ein paar Jahren haben Sie noch auf einem Parkplatz gespielt, nachts im Scheinwerferlicht der Autos. Mit Ihrer Organisation besuchen Sie heute sogar Schulen. Hat sich nicht doch etwas verändert?
Ich denke nicht. Wir sind immer noch die Verrückten, die Fußball spielen. Der Platz, auf dem wir trainieren, muss geschlossen sein. Ohne Beziehungen zum Besitzer ist es unmöglich. Was sich verändert hat, ist unsere Beharrlichkeit. Wir fragen immer wieder nach, geben nicht auf. Aber in der Gesellschaft hat sich nichts verändert. In der Öffentlichkeit könnten wir niemals spielen.
Was ist Ihre Hoffnung für Libyen?
Seit der Revolution sind acht Jahre vergangen und es ist nichts passiert. Während dieser Zeit hegten wir viele Hoffnungen. Wir träumten von Freiheit. Davon der Mensch zu werden, der wir gerne sein möchten. Nichts davon erfüllte sich. Ich wünsche mir einen Platz für Frauen in unserer Gesellschaft. Sie arbeiten hart, ziehen die Kinder groß, schaffen alles alleine und erkennen dabei selbst nicht, wie stark sie sind. Ich wünsche mir unabhängige Vorbilder für die jungen Mädchen in Libyen.
Fadwa El-Bahi lebt in Tripoli und war Kapitänin der libyschen Frauennationalmannschaft. 2016 verließ sie das Team und gründete gemeinsam mit acht ihrer Mitspielerinnen die Organisation HERA. Deren Ziel ist es, junge Mädchen in Libyen zu stärken und durch den Sport kulturelle Barrieren zu überwinden. Mit ihren Workshops besuchen sie Schulen und Flüchtlingslager. Für den Film »Freedom Fields« wurden El-Bahi und ihre Mitspielerinnen über fünf Jahre mit der Kamera begleitet. Regisseurin Naziha Arebi erzählt darin die Geschichte der Frauennationalmannschaft im postrevolutionären Libyen. Der Film feierte 2018 auf dem »Toronto International Film Festival« Premiere.