Geograf Hans-Jörg Barth über Ölkatastrophen, fleißige Krustentiere – und wie der Naturraum Persischer Golf zu retten ist.
zenith: Kurz nach dem Zweiten Golfkrieg sind Sie an den Golf gekommen. Ihr Auftrag: das Ökosystem nach der Ölpest renaturieren. Welches Bild bot sich Ihnen?
Hans-Jörg Barth: Ich kam zuerst als Praktikant im Rahmen eines EU-Projekts an den Golf, genauer gesagt nach Al-Dschubail an der saudischen Küste. Hunderte Kilometer von Kuwait entfernt, aber bis dorthin erstreckte sich der Ölteppich. Die Iraker hatten zum Ende des Krieges die Ventile mehrerer Öltanker und -quellen geöffnet. In dem interdisziplinären Projekt des Senckenberg-Instituts in Frankfurt übernahm ich kartografische Arbeiten und kartierte Küstenlinien und die verschiedenen Ökosysteme: Mangroven, Kliff-Küsten, Sandstrände und Salzmarschen.
Worin bestand die Aufgabe Ihres Teams?
Wir hatten unter anderem Chemiker, Biologen und Zoologen an Bord – jeder sollte in seinem Spezialgebiet den Schaden begutachten. In den verschiedenen Ökosystemen wurden dann Versuchsflächen eingerichtet, um Problemlösungen zu testen. Also etwa, welche Techniken sich dafür eignen, um Strände von Ölverschmutzungen zu reinigen.
Welche davon haben sich denn als sinnvoll herausgestellt?
Interessant war eigentlich, dass überall da, wo man versucht hatte, künstlich zu reinigen, das langfristig eher geschadet hat. Gerade im Bereich von Sandstränden wäre es am einfachsten gewesen, der Natur den Raum zur Regeneration zu lassen. Es handelte sich ja um die erste größere Ölkatastrophe in dieser Klimazone. Der Präzedenzfall war damals die Havarie der »Exxon Valdez« – und die war vor der Küste Alaskas auf Grund gelaufen, also in sehr viel kälteren Gewässern. Bei hohen Temperaturen hingegen entfalten Mikroorganismen, die Öl abbauen, viel mehr biologische Aktivität. Je mehr Sauerstoff im Spiel ist, umso besser. Dafür bieten Brandungszonen die besten Bedingungen. Das Problem: Mehr als die Hälfte der betroffenen Golfküste ist Watt. Ebbe und Flut wechseln sich ab, da gibt es keine Brandung: Das Wasser kommt langsam rein und zieht sich auch langsam zurück.
Wie wirken sich diese Bedingungen auf Flora und Fauna aus?
Alles war tot. Krebse, Würmer und Muscheln, die das Sediment umgraben. An deren Stelle haben sich Cyanobakterien angesiedelt. Das sind relativ große Bakterien, die einen welligen, lederartigen Teppich bilden und das Sediment abschließen. Im Winter kommen die Fluten und schwemmen die nächste Sedimentschicht an. Und im Frühjahr wächst darauf dann die nächste Schicht der Cyanobakterien. Nach zehn Jahren ist das Ergebnis ein bis zu zwei Zentimeter dicker, ledriger Teppich, der alles luftdicht abschließt und damit das Öl konserviert. Und solange das Öl konserviert ist, ist es für viele Lebensformen auch toxisch.
»Im Golf wird mehr Biomasse produziert als im tropischen Regenwald«
Und wie belebt man diese toten Strandabschnitte wieder?
Wir haben künstliche Priele angelegt, weil es solche Abflussrinnen auch in der Natur gibt, durch die bei Flut frisches, sauerstoffreiches Meerwasser hereinströmt. Mit dem Wasser kommen Krabben und Würmer, die das Sediment wiederbeleben. Die Lebewesen konnten von den künstlichen Prielen seitlich unter die zähe Cyanobakterien-Schicht in den Schlick eindringen und dort Sauerstoff zuführen, was zum Abbau des Öls führte. Die Priele waren sozusagen die Achsen der Wiederbelebung.
Bliebe noch das Problem mit dem Öl.
Das Öl ist beim Graben in die Priele rausgelaufen und hat dann mit der nächsten Ebbe woanders wieder Schaden angerichtet. Wir mussten einen Weg finden, das Öl sofort zu absorbieren. Eine Firma aus Baden-Württemberg hatte einen Apparat entwickelt, der die Ölschwemme auf der Wasseroberfläche aufsaugt. Das Öl landete so in einem Auffangbehälter.
Eine Lösung, die Schule machte?
Die staatliche Ölgesellschaft Saudi Aramco nahm Kontakt auf, aber das endete so, wie ich es oft in Saudi-Arabien erlebt habe: Erst ist man hellauf begeistert und dann passiert nichts. Man hat nie in größerem Stil angefangen zu renaturieren. Es blieb bei den paar Feldversuchen.
Immerhin zeigten die Krabben, welchen Beitrag sie zu leisten vermögen.
Krebstiere, zum Beispiel der Gattung Cleistostoma dotilliforme, sind tatsächlich Pioniere. Sie sind die Ersten, die ihre Gänge graben, durch die dann Frischwasser und Sauerstoff in den verölten Boden eindringt und so zum Abbau der toxischen Substanzen führt und weitere Lebensformen anlockt. Ohnehin gehört das Watt am Golf zu den produktivsten Ökosystemen unseres Planeten. Dort wird mehr Biomasse produziert als im tropischen Regenwald. Dank der Mikroorganismen und kleinen Krebse, Krabben, Schnecken und Würmer.
»Gas war lange ein Abfallprodukt, das im Zuge der Ölförderung abgefackelt wurde«
Wodurch zeichnet sich der Persische Golf als Gewässer eigentlich aus?
Der Golf ist ein sehr flaches Meer. Die Ausnahme bilden die Gewässer vor der iranischen Bergküste – eine tektonische Zone mit Tiefen von über 100 Metern. Ansonsten sind es meist deutlich unter 30 Meter. Während der Eiszeit lag der Golf praktisch trocken. Und so überwiegen auch heute die flachen Küstenabschnitte – Sandstrände und Watt. Dann finden sich noch ältere Sedimentrelikte. Katar zum Beispiel liegt auf einem Kalksockel. Die können an der Küste mitunter bis zu fünf Meter hohe Kliffe bilden. An diesen felsigen Abschnitten ist das Öl sehr schnell verschwunden – nach fünf Jahren hatte sich die Lebenswelt vollständig regeneriert. Die Sandstände brauchten etwa doppelt so lange.
Ende September sorgte das Leck in der Nord-Stream-Leitung für Schlagzeilen. Wie unterscheidet sich Verschmutzung durch Öl von jener durch Gas?
Gas war lange im Prinzip ein Abfallprodukt, das im Zuge der Ölförderung abgefackelt wurde. Erst mit zunehmendem Interesse am Energieträger Gas wurde es systematisch abgebaut. Öl hat natürlich eine viel direktere Schadwirkung, weil Lebewesen sterben, die damit in Berührung kommen. Das große Problem beim Gas ist der Treibhauseffekt – das austretende Methan wirkt in der Atmosphäre 25-mal so stark wie Kohlendioxid.
Der Persische Golf ist über die Straße von Hormus mit dem Indischen Ozean verbunden. Wie sehr ist er Teil dieses Gewässers?
Über die Straße von Hormus ist der Wasseraustausch relativ gering. Das zeigt sich etwa an der Salzkonzentration im Golf. Die ist deutlich höher als im offenen Meer – auch wegen versiegender Zuflüsse. Über Euphrat und Tigris erreicht immer weniger Süßwasser den Golf.
Warum ist der Golf aus geologischer Sicht eigentlich so eine öl- und gasreiche Region?
Die Grundlagen dafür liegen in vergangenen Zeiten mit viel biologischen Ablagerungen. Öl entsteht nicht durch terrestrische Biomasse, also Pflanzen, sondern durch marines Material: viele kleine Muscheln, Schnecken und Algen. Aus Faulschlamm entstehen Flüssigkeiten und Gase, die mobil sind und aufsteigen können. Wo sich viel poröses Sediment findet, das nach oben von undurchlässigen Schichten abgedeckt wird, kann es sich anreichern. Durch die tektonische Faltung der Sedimentkörper finden sich in der Golfregion zahlreiche Mulden und sattelförmige Aufwölbungen. Dort sammelt sich das Öl und Gas. Und irgendwann kam man auf die Idee, diese Reservoirs anzubohren, und stellte fest: Da kommt reines Öl und Gas heraus.
»Die Zirkulation funktioniert nicht mehr und das Wasser zwischen den Inseln steht«
Der Reichtum aus dem Verkauf dieser fossilen Rohstoffe manifestiert sich heute vor allem in den neuen Metropolen von Doha bis Dubai. Welche Auswirkungen haben die massiven Bauprojekte der letzten Jahrzehnte auf den Naturraum Golf?
Es ist ein Drama, gerade in den Emiraten. Da wurde nirgendwo ein Ökologe zu möglichen Folgen zurate gezogen, als man angefangen hat, im großen Stil Land aufzuschütten. Mir sind noch diese LKW-Kolonnen in Erinnerung, die den Sand aus der Wüste ins Meer gekippt haben. Neben der Degradierung der Ökosysteme ist zudem die Nutzung beeinträchtigt. Die Zirkulation funktioniert nicht mehr und das Wasser zwischen den Inseln steht. Dadurch fängt es an zu stinken und es bilden sich Algenblüten.
Ist das nicht kontraproduktiv, wenn teure Immobilien gerade dort verkauft werden, wo das Wasser kippt?
Das Prinzip Nachhaltigkeit stand nicht zur Debatte. Zudem liegen die Golfküsten in einem tektonisch aktiven Gebiet. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes alles auf Sand gebaut, das heißt, es reichen kleinere Erdstöße und dann sinkt sowieso alles in sich zusammen. Wir haben solche Bedenken auch vorgebracht. Daraufhin hat man uns erklärt, dass die Nachfrage so groß sei und es ohnehin nach 20 Jahren egal sei, was damit passiert. Das Geld ist verdient. Ein Hochhaus in Dubai oder Abu Dhabi wird nach zehn Jahren schon wieder abgerissen, weil man ein noch schöneres und größeres bauen möchte. Das ist totaler Irrsinn, was da abgeht. Erst mit der Finanzkrise 2008/09 setzte zum ersten Mal ein Umdenken ein, weil man zum Teil die Immobilien nicht mehr loswurde.
Sehen Sie die Golfregion angesichts dieser Umstände gerüstet für die Zukunft?
Ich bin Optimist. Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Thema Energie auch einen Schritt weiterkommen. Die Staaten am Golf sind prädestiniert, erneuerbare Energien zu nutzen und die fossilen zumindest sparsamer einzusetzen. Zudem wird künftig Wasserstoff produziert werden, der dann nach Europa und in die USA exportiert wird, weil die Nachfrage da sein wird. Wir brauchen unbedingt diesen CO2-neutral erzeugten Wasserstoff, und diesen können wir in Europa nicht produzieren. Deshalb muss er in der Golfregion und in Nordafrika erzeugt werden. Mit Wasserstoff könnte ein neues Kapitel in der Region aufgeschlagen werden.
Ist das Ölzeitalter zu Ende?
Nein. Öl wird sicher noch viele Jahrzehnte gefördert werden, weil es genug Abnehmer gibt, insbesondere China und Indien. Und für viele petrochemische Prozesse braucht man weiterhin Öl. Aber insgesamt wird sich die Energieproduktion ändern.
»An den Küsten wird der Sand knapp – weil so viel an den Küsten gebaut wird«
Und wie steht es mit Erdgas?
Momentan wird Meerwasserentsalzung mit Erdgas betrieben. Das ist aus energetischer Sicht Irrsinn. Aber Saudi-Arabien hat nun einmal genug Gas. Schätzungen gehen davon aus, dass die Erdgasvorkommen noch bis zu 200 Jahre reichen. In einer Wirtschaft, die maximal 20 Jahre in die Zukunft schaut, entsteht so wenig Ansporn zur Veränderung. Bei der Entsalzung werden zudem Unmengen Wasser entnommen und deutliche höhere Salzkonzentrationen landen wieder im Meer.
Besteht die Gefahr, dass in absehbarer Zeit große Teile des Persischen Golfs versanden oder austrocknen?
Nein. Der Sand müsste ja irgendwo herkommen. Die Flüsse tragen kein Sediment mehr. Und Sand ist mittlerweile ein kostbarer Rohstoff. Das klingt vielleicht verrückt, aber an den Küsten wird der Sand tatsächlich knapp – nicht zuletzt weil so viel an den Küsten gebaut wird. Austrocknen wird der Golf auch nicht, weil er durch die Straße von Hormus weiter versorgt wird. Aber die Salzkonzentration, die nimmt weiter zu. Für mich ist die größte Gefahr definitiv der Klimawandel und die Erwärmung des Wassers. Und Temperaturen von 50 Grad und mehr sind eine Gefahr für Mensch und Natur.
Kann sich die Natur aus sich heraus erholen?
Die ganze Ostprovinz Saudi-Arabiens, ebenso die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und auch Kuwait sind komplett degradiert: Sand, Schotter und ein bisschen Bewuchs. Nur etwa zwei Prozent der Fläche sind mit Vegetation bedeckt, der Rest ist kahl. Im natürlichen Zustand sollte dieser Wert bei 15 Prozent liegen – eine Savannenlandschaft, ähnlich wie etwa wie in Ostafrika. Auch die Überweidung, vor allem durch Ziegenherden, spielt hier eine Rolle. Wenn solche Ökosysteme mal in Ruhe gelassen werden, dauert es keine fünf Jahre und man erkennt das Land nicht wieder. Am Golf sieht man das besonders gut in militärischen Sperrgebieten. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht: hier grün, dort Steppe. Das Regenerationspotenzial ist enorm, weil die Samen oft Hunderte von Jahren unter der Erde liegen. Es kann nicht schlimmer, sondern nur besser werden.
Wie kann es denn ansonsten besser werden?
Wenn wirklich versucht wird, Luxus mit Nachhaltigkeit zu verbinden, was an sich eigentlich ein Widerspruch ist. Aber weil gewisse Ressourcen quasi unendlich zur Verfügung stehen, Sonnenenergie und genug fossile Energie, kann man damit eigentlich alles machen. Und dass man zunehmend auf das Thema Nachhaltigkeit setzt, ist ja schon ein Schritt in die richtige Richtung – dann ist es nur noch eine Frage der Skalierung.
Hans-Jörg Barth ist Geograf und arbeitet beim Energie- und Umweltzentrum Allgäu. Von 1993 bis 2008 erforschte er am Persischen Golf die Langzeitauswirkungen der Ölkatastrophe im Zweiten Golfkrieg.