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Islamistische Prediger in Afghanistan

Das Ende des Influencers von Herat

Feature
Islamistische Prediger in Afghanistan

Mawlawi Mujibur Rahman Ansari bereitete den ideologischen Boden für die Machtübernahme der Taliban in seiner Heimatstadt Herat mit. Wurde ihm sein extremistisches Gedankengut nun zum Verhängnis?

Knapp über ein Jahr nach der Machtübernahme haben die Taliban Probleme, die Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes in den Griff zu bekommen. Attentate richten sich dabei auch gegen Verbündete der Islamisten. So wie Anfang September in Herat. Bei einem Selbstmordanschlag in einer Moschee kamen 20 Menschen ums Leben. Das wohl prominenteste Opfer: Mawlawi Mujibur Rahman Ansari. Ein Prediger, der sich insbesondere in den Jahren vor der Rückkehr der Taliban an die Macht in seiner Heimatprovinz im Westen Afghanistans einen Namen gemacht hat.

 

Ansari wetterte in seinen Freitagspredigten gegen das aus seiner Sicht »blasphemische« republikanische System und rief zur Unterstützung der Taliban auf, denen er formell allerdings nie angehörte. Sein Hass auf das politische System spiegelte sich auch in seinen religiösen Ansichten: In einem Sermon forderte er gar einmal, dass selbst eine Beschneidung unter der Herrschaft eines republikanischen Systems keine Gültigkeit habe und sich Muslime folglich ein zweites Mal beschneiden lassen müssten, sobald das System überwunden sei.

 

Ansaris Ansichten verbreiteten sich dabei weit über die Kanzel der Moschee im Herater Vorort Gazergah. Seine engsten Mitstreiter betrieben mit dem Radiosender Stimme von Ansar ein reichweitenstarkes Sprachrohr für islamistisches Gedankengut, das regelmäßig auch Interviews mit dem Prediger übertrug.

 

Als Imam der Gazergah-Moschee beließ es Ansari nicht bei Worten

 

Ansari ist mit der Region verbunden, in der er als islamistischer Influencer aufstieg. Der 1983 geborene Prediger führt seinen Stammbaum auf den Gelehrten Khwaja Abdullah Ansari aus dem 11. Jahrhundert zurück – dessen Mausoleum gehört zu den wichtigsten Pilgerstätten in Afghanistan und zu den Wahrzeichen Herats. Herat ist das Zentrum der gleichnamigen Provinz im Nordwesten des Landes und nicht nur geografisch, sondern auch sprachlich und kulturell mit dem Nachbarn Iran verbunden.

 

Afghanistans größte Volksgruppen – Paschtunen, Tadschiken und Hazara – sind allesamt in Herat vertreten, ebenso ethnische Minderheiten wie Belutschen oder die halbnomadischen Aimaken. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in dem Selbstverständnis der Stadt wider, die sich vergleichsweise wenig über die ethnische Zugehörigkeit, sondern eher über das gemeinsame kulturelle Erbe definiert.

 

Aus Sicht von Ansari haben etwa Musikkonzerte keinen Platz darin. Mit 19 Jahren, als sich sein Land nach der US-amerikanischen Invasion in vielen Bereichen begann, zu verändern, profilierte sich der junge Ansari durch seinen Widerstand gegen solche Veränderungen, insbesondere jene im öffentlichen Raum. Als Imam der Gazergah-Moschee beließ er es zudem nicht bei Worten.

 

So gründete Ansari etwa eigenmächtig und ohne offizielle Genehmigung einen Trupp von Tugendwächtern, der in den Straßen von Afghanistans drittgrößter Stadt patrouillierte. Der stellte Frauen nach, die sich aus deren Sicht nicht züchtig kleideten, und fragten gemischte Gruppen von Männern und Frauen nach Dokumenten, die Blutsverwandtschaft oder Heiratsstatus nachweisen. Journalistinnen hatten zudem keinen Zutritt zu Ansaris Pressekonferenzen.

 

Trotz der Amtsanmaßung nahmen die Regierungsbehörden das Gebaren des Predigers nicht wirklich ernst

 

Trotz derlei Amtsanmaßungen nahmen die Regierungsbehörden das Gebaren des Predigers nicht wirklich ernst und setzten auch seinen Tugendwächtern kaum Grenzen. Das ermöglichte es Ansari, immer mehr Anhänger um sich zu scharen. Erst als der Prediger im Februar 2021 – also ein halbes Jahr vor dem Sturz der Republik – den Kampf gegen die Taliban als »haram«, also religiös verboten, und die Regierungstruppen als »Ungläubige« verunglimpfte, fühlte sich Bürgermeister Sayed Wahid Qatali genötigt, dagegenzuhalten. Er würde es nicht zulassen, dass extremistische Ideologien in Herat verbreitet würden, hatte Qatali damals versichert.

 

Doch strafrechtliche Folgen blieben aus. Hamdalluh Mohib, der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Aschraf Ghani, rechtfertigte das wahlweise damit, dass Ansari nicht allein für sein Gedankengut verfolgt werden könne, eine Verhaftung nicht ohne stichfeste Beweise der lokalen Sicherheitsbehörden erfolgen könne – oder damit, dass alle anderen religiösen Autoritäten in Herat sich ohnehin gegen Ansari stellen würden. Die von Mohib angekündigten Ermittlungen gegen Ansari verliefen danach im Sande.

 

Für die Taliban erwies sich Ansari nach der Machtübernahme als gefügiger und williger Verbündeter in der westafghanischen Metropole. »Wer es wagen sollte, sich gegen unser islamisches System zu stellen, wird vernichtet werden«, drohte er auf einem Treffen mit Taliban-Religionsgelehrten.

 

»Es wird der Tag kommen, an dem die Flagge des Islams über dem Weißen Haus wehen wird. Unmöglich? Den Sieg der Taliban hatten viele auch nicht auf der Rechnung«, fabulierte Ansari in einer seiner Predigten im Juli 2022. Wichtiger für seine Pro-Taliban-Propaganda war aber der stete Verweis auf die innere Sicherheit. So betonte Ansari in den letzten Monaten immer häufiger, wie sich die Sicherheitslage im Land unter den Taliban verbessert hätte.

 

Ansaris Tod trifft die Taliban an einem wunden Punkt

 

Umso mehr trifft Ansaris Tod die Taliban an einem wunden Punkt. Zabihullah Mujahid kündigte per Twitter Vergeltung an – gegen wen genau, musste der Regierungssprecher des Taliban-Regimes allerdings offenlassen, denn bislang hat sich niemand offiziell zu dem Anschlag auf die Gazergah-Moschee in Herat bekannt.

 

Fiel Mawlawi Mujibur Rahman Ansari möglicherweise dem extremistischen Gedankengut zum Opfer, das er selbst jahrelang propagiert hatte? Denn den Taliban erwächst Konkurrenz aus dem dschihadistischen Spektrum. Im August hatte der IS-Ableger (»Islamischer Staat Khorasan«, IS-K) den Taliban-Prediger Mawlawi Rahimullah Haqqani in dessen Kabuler Medresse per Selbstmordanschlag getötet.

 

Denkbar sind aber auch andere Szenarien. In den sozialen Medien kursieren Gerüchte, denen zufolge die Taliban den großspurigen Prediger zu mehr Zurückhaltung aufgefordert und ihm mit Absetzung gedroht hätten. Islamisten, die auf eigene Rechnung operieren und überdies das Narrativ eines stabilen Afghanistans unter islamischer Führung untergraben, drohen bei den Taliban in Ungnade zu fallen.

 

So wie etwa Allah Gul Mujahid. Der frühere Mudschaheddin-Kommandant und Parlamentsabgeordnete war im November 2021 von Taliban-Einheiten verhaftet (und wohl auch gefoltert) worden. Ihm und seiner Entourage wurden Entführung und Schutzgelderpressung vorgeworfen.

Von: 
Zainab Farahmand

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