Kritische Journalisten landen in Ägypten im Gefängnis. Oder bei Mada Masr. Chefredakteurin Lina Attalah weiß, warum.
Während ich versuche, mal wieder einen Artikel darüber zu schreiben, warum wir heute noch als Journalisten in Ägypten arbeiten, erreicht mich die Nachricht vom Tod David Graebers. In seinem Aktivismus träumte er von einer Arbeiterbewegung, die der Idee den Garaus macht, dass Arbeit selbst einen Wert habe und dass dieser Wert vom Leiden kommen müsse. Graeber kämpfte gegen »sinnlose« Formen von Arbeit, die nur die kapitalistische Maschine antreiben, die nur den unternehmerischen Leistungen und den Wünschen der Konsumenten dienen. Sein poetisches Anliegen war Arbeit mit Muße, seine radikale Forderung eine Neudefinition der Arbeit als Form der Fürsorge für andere.
Sein Tod ist ein großer Verlust. Er gehörte zu denen, die es wagten, sich Dinge vorzustellen und diese Vorstellungen in Worte zu formen – als Dozent, in der politischen Arbeit, beim Schreiben. Ihm gelang es, das Unpopuläre, das Unerwünschte und das Ungedachte hervorzubringen. Man muss nur die geistigen Muskeln anspannen, das Herz weiten und sich dafür öffnen.
Für so etwas in der Art arbeite ich seit 2002 als Journalistin. Mit dem notwendigen sozialen Kapital im Hintergrund gehöre ich zu den Privilegierten, die es sich zum Beruf machen konnten, Vorstellungen zu hegen und die Fantasie anderer anzuregen – mein Vehikel dafür waren der Journalismus und die Zeit.
Die Magie ließ sich sogar reproduzieren: Wir druckten die Story in der Tageszeitung, für die ich arbeitete.
Damals, so um die Jahrtausendwende, hatten wir Aktivisten, wir Techies, wir Menschenrechtler, wir Journalisten und so viele andere es mit einem Autoritarismus zu tun, dessen Risse größer wurden – durch transnationale Widerstandsbewegungen und eine verjüngte lokale Opposition, die sich über ideologische Grenzen und soziale Herkünfte hinweg versammelte.
Zu dieser Zeit nahm die Idee eines unabhängigen Journalismus in Ägypten Form an, genauso wie eine neu belebte Zivilgesellschaft. Als ob meine Generation durch ein Fingerschnipsen aus einem Jahrzehnt erweckt wurde, das wir im Schlaf verbracht zu scheinen haben oder vielleicht eher in der kapitalistischen Stabilität nach Ende des Kalten Krieges.
Anfang der 2000er Jahre: Der Campus meiner Universität füllt sich mit couragierten Studierenden, die protestieren. Heute gehen wir gegen die Globalisierung auf die Straße, morgen, um unsere Solidarität mit der Zweiten Intifada in Palästina auszudrücken. Danach marschieren wir zum Tahrir-Platz, um gegen den Irak-Krieg zu demonstrieren. Mit einem Mal ist es 2005, und ich sehe gelbe Ballons am Himmel. Sie steigen auf von einem Protest vor der Journalisten-Gewerkschaft in der Kairoer Innenstadt: »Nieder mit Mubarak« steht auf ihnen geschrieben.
Der Augenblick hatte etwas Magisches: Nie hatten wir uns vorstellen können, dass der heimliche Wunsch nach dem Sturz des Herrschers so sichtbar sein könnte. Und die Magie ließ sich sogar reproduzieren: Wir druckten die Story in der Tageszeitung, für die ich arbeitete. Wir dokumentierten die Wirklichkeit im Entstehen und ergründeten dabei die Vorstellung des Wandels, die sich in unseren Wünschen verbarg.
Der unabhängige Journalismus machte damals der Allgemeinheit die Risse im Autoritarismus verständlich, gleichzeitig trug er dazu bei, sie zu vergrößern. Ich stelle mir eine Journalistin gerne als Doppelagentin vor, ihre Übertragungsleistung als Form des Schmuggels. Politik wird von einem Wirkungskreis in den anderen geschmuggelt, und damit Möglichkeiten sowie unpopuläre, unerwünschte und ungedachte Ideen. Und das in einem Umfeld, das es erschwert, solche Ideen zu verbreiten.
Während ich das schreibe, sitzen Hunderte Aktivisten, Journalisten, Autoren, Künstler, Professoren und Politiker im Gefängnis.
Dieser Akt des Schmuggelns beinhaltet auch eine Form der Fürsorge – und daher hoffe ich, dass unsere Arbeit keine sinnlose war. Wir schrieben und schrieben und schrieben in diesen zwei Jahrzehnten. Wir forderten die Machtstrukturen heraus, aber auch unabhängige Stimmen, auch unsere eigenen. Wir forderten die Öffentlichkeit heraus und wollten gerne glauben, dass wirklich jeder durch diesen kommunikativen Prozess informiert wurde und dass wir die »Gegenräume« erweiterten, diese Räume an den Rändern, in denen wir uns bewegten.
Heute sind die Risse kleiner und die Ränder schmaler. Über sie und aus ihnen zu berichten, ist kostspieliger geworden. Das ganze Geschäft mit dem Schmuggel gefährlicher Gedanken scheint seine existenziellen Stützen verloren zu haben.
Während ich das schreibe, sitzen Hunderte Aktivisten, Journalisten, Autoren, Künstler, Professoren und Politiker im Gefängnis. Einige verbüßen Haftstrafen, andere sind noch in Untersuchungshaft. Festgenommen unter den Vorwänden der »Zugehörigkeit zu einer Terror-Gruppe« oder der »Verbreitung von Falschinformationen«, um nur einige zu nennen.
Sie haben Artikel geschrieben, vielleicht einen Facebook-Post, oder am Telefon darüber gesprochen, sich offiziell als Oppositionelle an Wahlen zu beteilgen. Zehn Jahre nach der Revolution von 2011 und zwanzig Jahre nach dieser organischen Öffnung der politischen Sphäre, in der sich unabhängige Medien mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen einnisten konnten, ist die freie Meinungsäußerung aufs Heftigste unerwünscht.
Wir operieren in einem politischen Kontext, in dem alles, was nur ansatzweise nach Öffnung riecht, aktiv zurückgedreht wird.
Dabei existiert doch dieses unsichtbare Publikum, das sich an die vielfältigen Narrative aus der Zeit der Öffnung gewöhnt hatte und nun jegliche bedeutsame Debatte entbehren muss – in Abwesenheit einer öffentlichen, einer bürgerlichen Politik.
Wir operieren in einem politischen Kontext, in dem alles, was nur ansatzweise nach Öffnung riecht, aktiv zurückgedreht wird – alles, was im Aufstand von 2011 und dem Jahrzehnt davor erreicht wurde. In einem Kontext, in dem die Instrumente des Staates dafür eingesetzt werden: das Gesetz, die Sicherheitsbehörden, die Gesetzgeber und die Bürokratie. Und doch ist dies kein Moment des politischen Schlafzustandes, sondern ein Moment der Umkehr.
Und in solchen Momenten bleiben Gegensätze dauerhaft präsent, haben wir ständig die andere Option vor Augen – sei es als Objekt der Erinnerung oder als Vorstellung für die Zukunft. Möglicherweise rehabilitieren wir uns so von den Gefahren sinnloser Arbeit, nicht im Sinn, der kapitalistischen Maschine zu dienen, sondern im Sinn, das Verlangen zu verlieren, unfähig zur Fürsorge zu sein, während wir dennoch irgendwie unserem Job nachgehen.
Als unabhängige Journalisten im Jahr 2020 sehen wir die Umkehr als Möglichkeit, gerade weil sie sich vom Gegensatz ernährt. Wir sitzen irgendwo zwischen der Vergangenheit als Referenzmöglichkeit (ohne dabei nostalgisch zu werden) und der Zukunft als Architektur einer weiteren, noch vorzustellenden Möglichkeit.
Wir standen mitten im Sturm und wussten nicht, wohin. Wir entschieden uns stattdessen, über ihn zu berichten.
Seit 2013 arbeite ich für Mada Masr, ein Medium, das ich mit einigen anderen Journalisten aus einer Laune heraus gegründet habe. Diese Laune entstand in einem politischen Augenblick in diesem Jahr, der sich wie der Beginn des Untergangs anfühlte und der die Angst mit sich brachte, nichts tun zu können, nicht in der Lage zu sein, ihm irgendetwas entgegenzusetzen, ihm zu widerstehen oder ihm zu entfliehen.
Es war ein Moment, in dem Fürsorge für andere nicht wirklich zielführend war – weder auf diskursiver noch auf praktischer Ebene. Es war ein Moment der Desorientierung. Wir standen mitten im Sturm und wussten nicht, wohin. Wir entschieden uns stattdessen, über ihn zu berichten. Wir wollten nicht beschäftigungslos sein. Wir wollten nicht einsam auf unserer politischen Depression sitzen bleiben. Wir wollten uns nicht zurückziehen.
Wir wollten »unruhig bleiben«, um weiterhin antworten zu können, um uns, wie Donna Haraway es sagt, »entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben«. Oder, wie Brecht es halten würde: Wir entschieden uns, zu singen in düsteren Zeiten.
Mada Masr mag als Arbeit des Kummers erscheinen, als Leiden in der düsteren Zeit, aber für uns und unsere Umgebung ist es eine kathartische Arbeit – wir mildern die Angst, zum Schweigen gebracht zu werden. Ja, wir singen über die düsteren Zeiten, aber unausweichlich beleben wir damit unser Verlangen, andere Möglichkeiten zu erkunden.
In den extremen Momenten der Ungewissheit und im Glauben an Revolutionen, Überraschungen und Transformationen, die aus der Unvorhersehbarkeit entstehen, sind wir unausweichlich bereit für das Unmögliche.
Eingebettet in dieses Bewusstsein und den Wunsch, unruhig zu bleiben, liegt das Verständnis von Fürsorge, um das es David Graeber ging: Fürsorge für uns selbst, Fürsorge für die Gemeinschaft, die eine kleine Zeitung um sich herum bilden kann, und Fürsorge für das Recht auf die Verbreitung gefährlicher Ideen. Unterhalb des Hautleidens, das die Arbeit für ein kampfeslustiges Medium in Ägypten heute nach sich ziehen mag, finden sich sowohl Heilung als auch Fürsorge. Und das Verlangen.
Ein Freund hat mich kürzlich auf Rebecca Solnits Worte über Hoffnung stoßen lassen: Dass Hoffnung in der Ungewissheit liegt und dass Ungewissheit die Möglichkeit des Handelns schafft. Denn wenn wir mit dem Ungewissen operieren, sind wir in der Lage zu beeinflussen, was am Ende entsteht. Solnit unterscheidet Hoffnung von Optimismus (und Pessimismus), dessen Ort die Gewissheit ist, was uns wiederum vom Handeln abhalten kann.
Durch eine andere Freundin bin ich auf einen Online-Kurs des nigerianischen Philosophen Bayo Akomolafe gestoßen: »Wir werden mit den Bergen tanzen«. Akomolafe spricht von einem Pfad, »der nichts mit Sieg oder Niederlage zu tun hat«. Weiter sagt er: »Es gibt Dinge, die wir tun müssen, Worte, die wir sagen müssen, Gedanken, die wir denken müssen, die überhaupt nicht aussehen wie die Bilder von Erfolg, die so nachhaltig Besitz ergriffen haben von unserer Vorstellung von Gerechtigkeit.«
Genau dafür mache ich heute meinen Job: für die Dinge, Worte, Gedanken, die wir tun, sagen und denken müssen, ohne dass ich mich damit quäle, was aus uns wird. Ich mache meinen Job für die Leute und Gemeinschaften, die sich gegenseitig hegen mit Schlüsseln, Signalen, Referenzen, durch die wir unsere geistigen Muskeln anspannen und unsere Herzen weiten können. In den extremen Momenten der Ungewissheit und im Glauben an Revolutionen, Überraschungen und Transformationen, die aus der Unvorhersehbarkeit entstehen, sind wir unausweichlich bereit für das Unmögliche.
Lina Attalah, geboren 1983, ist Chefredakteurin der ägyptischen Online-Zeitung Mada Masr. Mehrfach wurden Attalah und ihre Kollegen festgenommen. Seit 2017 blockiert die ägyptische Regierung im Inland den Zugang zur Internetseite von Mada Masr.