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Scholl-Latours-Erben: Ulrich von Schwerin

»Von Helmand nach Hamburg«

Portrait
Scholl-Latours-Erben: Ulrich von Schwerin

Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet Ulrich von Schwerin, Korrespondent für AFP in Istanbul.

Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche antwortet Ulrich von Schwerin, Korrespondent für AFP in Istanbul.


 

  • Geboren: 1980 (am Tag des Militärputsches in der Türkei)
  • Wohnort: Istanbul
  • Ausbildung: Politologie und Geschichte in Lyon, Berlin und Paris, Promotion zur jüngeren Geschichte des Iran
  • Karriere: Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung, Redakteur im Auslandsressort von Agence France-Presse (AFP), freier Korrespondent für Türkei und Iran

 


 

Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?

Da meine Mutter lange zum Islam in Indien geforscht hat und wir eine Zeit in Kathmandu gelebt haben, lag das Thema in der Familie. Während des Studiums bin ich viel in der Region gereist und habe dann zum iranischen Geistlichen und Dissidenten Ayatollah Montazeri promoviert. Seit meinem ersten Besuch in Istanbul wollte ich dort einmal leben. Als sich im Sommer 2016 die Chance bot, für AFP an den Bosporus zu ziehen, nahm ich das Angebot an.

 

Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Seitdem ich aufgegeben habe, Persisch wirklich beherrschen zu wollen, komme ich sehr viel besser zurecht. Bei Türkisch warte ich noch darauf, endlich die komplette Grammatik verstanden zu haben, um so richtig loszureden.

 

Der Orient riecht nach ...
Fast überall nach Staub, Diesel und Zigarettenrauch, in Istanbul auch gerne nach Katzenpisse, wenn es lange nicht geregnet hat. Natürlich aber zugleich nach Kumin, Kardamon und Rosenwasser, gegrillten Maronen, Möwengeschrei und Wasserpfeife.

 

Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Vor allem wohl in der Vorstellung, aber gelegentlich kommt die Wirklichkeit in den Moscheen von Yazd, an den Ghats von Benares oder in den Mausoleen in Samarkand dieser Vorstellung recht nahe.

 

Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Bei jedem Protest den Beginn einer Revolution zu sehen, die Hauptstadt als Abbild des Landes zu betrachten, die Auslegung der Islamisten für den wahren Islam zu halten oder überhaupt zu glauben, dass es ihn gibt.

 

Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Vielleicht ein Interview mit Richard Holbrooke in Stuttgart, der mich als kleinen Volontär nicht richtig ernst nahm, was ich ihm mit entsprechender Verachtung heimzahlte. Heute denke ich, er hatte wohl recht.

 

Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
Bei meiner ersten Iranreise mit Ali Reza, der mir stundenlang von kadscharischer Malerei vorschwärmte und mir zu erklären versuchte, warum es ein Fehler war, den Schah zu stürzen. Sehr anstrengend, aber ich habe viel gelernt.

 

Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Kompass« von Mathias Énard. Wenn der Arabist über Palmyra, Teheran oder Istanbul schreibt, dann immer aus erster Hand. Zudem jede Menge herrliche Geschichten über verrückte europäische Orientalisten.

 

Peter Scholl-Latour war für mich ...
Jemand, um den ich bis heute einen Bogen mache. Meine Mutter hat sich immer über ihn aufgeregt, ich vertraue da ihrem Urteil.

 

Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Dem Weg des Opiums nachreisen von Helmand bis Hamburg. Stelle ich mir toll vor, doch fehlte mir dazu schon vor zehn Jahren der Mut.

Von: 
zenith-Redaktion

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