Özcan Arkoç war der erste türkische Star der Fußball-Bundesliga. Seinem HSV und der Stadt Hamburg blieb er bis ans Lebensende treu.
Schon in seinem Pflichtspieldebüt für den Hamburger SV sicherte sich der Fußballer Özcan Arkoç seinen Platz in den Bundesliga-Geschichtsbüchern. Am ersten Spieltag der Saison 1967/68 wartete Lokalrivale Werder Bremen. Spielerwechsel waren bis dato nicht erlaubt gewesen. Doch bei einer waghalsigen Rettungstat renkte sich der Torhüter des HSV einen Finger aus und musste nach 20 Minute vom Feld – und so wurde Arkoç als erster Spieler der Bundesligageschichte ausgewechselt.
Das Bremer Weserstadion verließ Arkoç indes nicht. Nach einer schmerzstillenden Spritze feuerte er sein Team von der Seitenlinie an – der HSV entschied die Partie schließlich mit 4:1 für sich. Seine Mannschaft im Lokalderby im Stich zu lassen, das kam für den ersten türkischen Fußballtorwart und zweiten türkischen Spieler der Bundesliga nach dem Braunschweiger Aykut Unyazici nicht infrage.
»Ötschi verkörperte im besten Sinne altmodische Werte«, erinnert sich der dreimalige deutsche Nationalspieler Rudi Kargus, der Arkoç später im HSV-Tor ablöste. Fragt man seine Mitspieler aus jener Zeit, verbinden sie mit ihm vor allem Loyalität und ein geradezu preußisches Arbeitsethos.
Kargus verbindet mit Arkoç eine besondere Beziehung. Mit gerade 18 Jahren war der spätere Vizeeuropameister von 1976 aus dem oberrheinischen Worms alleine in die Elbmetropole gezogen. Arkoç wurde schnell vom Konkurrenten zur Bezugsperson. In der Ellbogengesellschaft Profifußball sei das nicht selbstverständlich gewesen. »Ich habe es im Nachhinein erst zu schätzen gelernt, was für ein integrer und seriöser Mensch Özcan war. Er war ein Vollprofi, der mir die Tür zum Profifußball geöffnet hat«, erinnert sich Kargus, der sich nach der Sportlerlaufbahn einen Namen als Kunstmaler gemacht hat.
Geboren wurde Arkoç 1939 in der thrakischen Stadt Hayrabolu. Ein Provinzpflaster in der Provinz Tekirdağ, unweit der bulgarisch-griechischen Grenze, die in der Türkei für ihren gleichnamigen Raki, Ringer, Industrieanlagen und Sonnenblumenfelder bekannt ist. Mit seiner feuchtfröhlichen Malocher-Attitude machte sich Arkoç in der Hansestadt viele Freunde.
Einen Hang zu sportlichen Rekorden zeigte der junge Arkoç derweil schon in der Türkei. Mit 19 Jahren gewann er 1959 mit Fenerbahçe Istanbul als bis heute jüngster Stammtorhüter die erstmals ausgetragene türkische Meisterschaft und stieg zum Nationaltorhüter auf. Nach einem Intermezzo bei Lokalrivale Beşiktaş zog es Arkoç jedoch ins Ausland. Nach drei Spielzeiten bei der Austria in Wien kam der bei den türkischen Fans als »Uçan Manda« (zu Deutsch: »fliegender Büffel«) bekannte Torhüter 1967 mit einigen Vorschusslorbeeren nach Hamburg.
Es war dasselbe Jahr, in dem zwei Studenten der Universität Hamburg mit dem Plakat »Unter den Talaren – der Muff von 1.000 Jahren« gegen verkrustete Strukturen an deutschen Universitäten demonstrierten und so halfen, ein neues Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte einzuleiten.
Die Beatles hatten erst ein Jahr zuvor die letzten zwei ihrer legendären Hamburger Konzerte in der Ernst-Merck-Halle gespielt. Der Wiederaufbau der Stadt war 1965 mit einem Festakt im Rathaus für beendet erklärt worden; der Telemichel ragte noch als Rohbau in den Himmel, er wurde erst 1968 fertiggestellt.
Vieles war unklar, als Arkoç nach Hamburg kam – dasbegann bereits mit dem Namen. »Die österreichischen Grenzbeamten hatten seinen Vor- und Nachnamen vertauscht und das falsch in seinen Dokumenten eingetragen«, erinnert sich das HSV-Urgestein Jürgen Ahlert, der die Traditionsmannschaften der Rothosen betreut und davor jahrelang Team-Manager der Profis gewesen war. »Somit dachte ich – wie der gesamte HSV – über Jahre, dass er Arkoç Özcan heißt.«
Erst Jahre später klärte sich das Missverständnis auf. Arkoç, den in Hamburg sowieso alle »Ötschi« nannten, nahm es mit der ihm eigenen Gelassenheit, die ihn in der Mannschaft so beliebt gemacht hatte. »Ob Uwe Seeler, Charly Dörfel oder Willy Schulz: Bei den Größen der Mannschaft genoss Ötschi große Anerkennung«, erinnert sich Ahlert. Mit den Granden des HSV pflegte Arkoç bis weit nach Karriereende einen engen Austausch.
In der Saison 1977/78 folgte Arkoç auf den erfolglosen Rudi Gutendorf und gab für 22 Spiele ein Intermezzo als HSV-Trainer – als erster türkischer Trainer der Bundesligageschichte, eine weitere Premiere. Auch danach blieb Arkoç dem HSV treu und kam bei Wind, Wetter und manchem Grottenkick ins Volksparkstadion. Auch in Zeiten, in denen der HSV überregional eher für seine rechten Fans berüchtigt war. Wenn Arkoç am Spieltag eintraf und sich zu seinem Platz begab, sei das jedes Mal wie eine Heimkehr gewesen. »Alle kannten ihn und begrüßten ihn«.
»Ötschis Parkplatz lag direkt neben dem von Uwe Seeler «, erinnert sich Ahlert. Überhaupt Uwe Seeler. Das Verhältnis der beiden blieb bis ans Lebensende eng. Eine Rolle mag dabei auch Seelers Familie gespielt haben. Die Tochter des Ehrenspielführers der Nationalmannschaft heiratete später einen türkischen Staatsbürger. Seelers Enkel Levin Öztunali spielt heute für Union Berlin in der Bundesliga.
Nach der Fußballkariere eröffnete Arkoç zusammen mit seiner Frau Neriman, die zuvor Schauspielerin in der Türkei gewesen war, die Gaststätte »Bei Özcan« in Niendorf, einem Stadtteil, der von klassischen Rotklinkern geprägt ist. Es war eines der ersten Restaurants, das in Hamburg Döner servierte. »Man tut niemandem Unrecht, wenn man sagt, dass dort einige feuchtfröhliche Mannschaftsabende stattfanden«, erinnert sich Kargus, der eine Zeit lang direkt neben dem Lokal wohnte. Doch Arkoç sei mehr Sportler als Geschäftsmann gewesen. Letztlich habe sich das Restaurant nicht rentiert. Später eröffnete er einen Kurierdienst.
Zuletzt wurde es ruhiger um Arkoç. Am 17 Februar 2021 verstarb er in Hamburg im Alter von 81 Jahren. »Er war von Krankheiten gezeichnet und nach dem Tod seiner Frau etwas einsam«, erinnert sich Ahlert. Doch bis zuletzt habe er auch viel Unterstützung bekommen. »Ruhm ist vergänglich, und das Gestern zählt heute nicht mehr«, sagt Ahlert. »Doch unser Ötschi war ein echter Star.«