Ein waghalsiges Unterfangen hat die letzten überlebenden Wildtiere aus dem Zoo von Aleppo nach Jordanien gebracht. Dort entsteht nun ein Refugium für vertriebene Vierbeiner aus der gesamten Region.
Zukar dreht nervös seine Runden. Er tappst wie ein Häftling den immergleichen Pfad entlang und schaukelt seinen schweren Braunbärenschädel abwechselnd von links nach rechts, als suche er noch immer nach Orientierung. Der Körper des Tieres ist knochig, sein Fell stumpf; und doch muss man sich Zukar als glücklichen Bären vorstellen. Denn anders als seine ehemaligen Mitgefangenen hat er den Zoo von Aleppo und den Krieg in Syrien überlebt.
Eine Autostunde von der jordanischen Hauptstadt Amman entfernt, ist Zukar jetzt daheim. In dem von zahlreichen Hügeln durchzogenen Umland von Jerasch führt eine steile Seitenstraße zum Tierrefugium Al-Ma’wa hinauf. Dem ersten und größten seiner Art im Nahen Osten. Auf einer von Olivenhainen umgebenen Kuppe gelegen, wissen selbst viele Einheimische nichts von dem Projekt, das sich hier über 140 Hektar erstreckt. In Abgeschiedenheit und Stille, das ist die Hoffnung, sollen geschundene Tiere Frieden finden.
»Jordanien ist einer der wenigen sicheren Orte in diesem Teil der Welt«, sagt Dr. Yousef Zreeqat. »So viele Menschen sind vor Kriegen und Konflikten zu uns geflüchtet, und so muss man es sich auch mit den Tieren vorstellen.« Mit grünem Polohemd und beiger Weste sieht Zreeqat aus, als bekäme er problemlos eine Rolle in der Neuauflage von »Daktari«. Er pflegt einen vertrauten Umgang mit seinen Patienten, sein Blick auf die ausgemergelten Körper ist voller Empathie: »Viele der Tiere wurden vernachlässigt und haben schlimme Dinge erlebt. Sie wurden weder gefüttert noch medizinisch versorgt. Die haben echten Horror erlebt.«
Besonders begehrte Tiere wurden in den Kriegswirren illegal verkauft. Exotische Schoßtiere für reiche Herrchen
So wie die jüngsten Neuankömmlinge, die wohl einzigen Überlebenden von »Magic World«, einem Zoo im syrischen Aleppo. Fünf Löwen, zwei Tiger, zwei Braunbären, zwei Hyänen und zwei Huskys. 13 von 300 Tieren. Der Rest starb in »Syriens Stalingrad«, wie der fünfjährige Kampf um Aleppo genannt wird. Eine Bezeichnung, die die Zerstörung der Stadt durch Trommelfeuer, Flächenbombardement und Häuserkampf auf den Punkt bringt. Eine Knochenmühle für Menschen und Tiere.
Der Besitzer von »Magic World«, Azzam Massassati, floh bereits vor Jahren in die USA. Der angeblich mit ausreichend Geld ausgestattete Verwalter war entweder unfähig oder überfordert und so verfiel die Anlage mit ihren zahlreichen Fahrgeschäften, Restaurants und Tiergehegen. Während die Welt Zeuge des Überlebenskampfs zahlreicher in Ost-Aleppo eingekesselter Zivilisten und Kämpfer wurde, starben nahezu unbemerkt auch die Krokodile, Schimpansen, Leoparden und Lamas von »Magic World«.
Besonders begehrte Tiere wurden in den Kriegswirren illegal verkauft. Zwei Jaguare angeblich in den Irak, ein weißer Tiger soll einen neuen Besitzer im Libanon gefunden haben. Exotische Schoßtiere sind beliebt in der Region. Ob die neuen Herrchen Freude an ihren exotischen Raubkatzen haben, ist fraglich. »Viele der Tiere sind traumatisiert«, berichtet Dr. Yousef Zreeqat. Zukar, der Braunbär, reagiert etwa noch immer extrem nervös, wenn Bauarbeiten auf dem Gelände nötig sind und große Lastwagen Material anliefern. »Er zieht sich dann in eine Ecke seines Käfigs zurück und reagiert aggressiv.«
Ein anderer Bär, Looz, reagiert ähnlich nervös auf Flugzeuge und Helikopter, die selbst in der Abgeschiedenheit Nordjordaniens ab und an zu hören sind. Trotz seiner für Bärenverhältnisse kümmerlichen Statur verweigert er dann sogar Nahrung. Wie soll das Tier auch unterscheiden zwischen den Fassbomben werfenden Helikoptern des syrischen Regimes und den über Jerasch vorbeiziehenden Maschinen der Fluglinie Royal Jordanian, die auch ihn und die anderen Tiere ins Land gebracht haben?
Ein Flug, der ganz am Ende einer abenteuerlichen Odyssee steht. »Magic World« liegt in einem damals von Al-Qaida nahestehenden Kämpfern gehaltenen und schwer umkämpften Vorort Aleppos. Als die österreichische NGO »Vier Pfoten« sich erstmals mit dem Schicksal der Tiere beschäftigte, galt die Rettung der noch dort lebenden Tiere als utopisch. Erst nach zähen Verhandlungen mit Syrern aller Fraktionen und Türken, Russen, Amerikanern und Kurden entstand ein Fluchtplan.
In den frühen Morgenstunden des 21. Juli dieses Jahres verließ der Konvoi schließlich Aleppo, passierte Dutzende Checkpoints und rollte durch kurdisches Gebiet bis in die Türkei. Es ist eine der vielen Merkwürdigkeiten dieser Geschichte, dass die erfolgreiche Flucht der Tiere durch eigentlich verfeindete syrische und türkische Soldaten mit einem Gruppenfoto dokumentiert wurde. Anfang August landeten Zukar und die anderen zwölf Tiere schließlich in Jordanien.
Erst nach zähen Verhandlungen mit Syrern aller Fraktionen und Türken, Russen, Amerikanern und Kurden entstand ein Fluchtplan für die überlebenden Zootiere aus Aleppo
»Jeder Neuankömmling wird bei Ankunft intensiven Tests unterzogen«, berichtet Dr. Yousef Zreeqat. »Es geht dabei aber nicht nur um physische Gesundheit, auch das Verhalten wird langfristig überwacht. Jedes Tier bekommt eine individuell abgestimmte Therapie.« Möglich ist eine derartig aufwendige Pflege nur, weil die jordanische Prinzessin Alia bint Hussein, die Schwester von König Abdullah II., das Projekt unter ihre Schirmherrschaft genommen hat. Die älteste Tochter des verstorbenen Haschimiten-Königs ist in puncto Tierschutz kein royales Anhängsel, sondern eine durchsetzungsstarke Frau. Alia ließ sich schon in den 1980er Jahren aus einer unglücklichen Ehe scheiden und belehrt als Präsidentin der Königlich Jordanischen Reitervereinigung auch mal ihre überwiegend männlichen Kollegen unter Berufung auf den Koran über Tierrechte.
In Al Ma’wa und einem weiteren jordanischen Refugium leben dank ihrer Hartnäckigkeit nicht nur die jüngst aus Syrien eingeflogenen Tiere, sondern Überlebende aus vielen Konfliktgebieten der Region. Etwa aus dem einstigen Zoo von Khan Younis, einer Stadt im Gazastreifen. Oder aus dem irakischen Mosul, einer der wenigen Städte auf der Welt, die ähnlich stark zerstört wurden wie Aleppo.
Das Refugium in den Bergen von Jerasch ist damit eine Miniatur der jordanischen Gesellschaft, in der geflüchtete Iraker, Palästinenser, Syrer sowie deren Kinder Teil des Alltags sind. Ein Ort der Hoffnung.