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Ultranationalismus in der Türkei und der türkischen Diaspora

Der Wolfsgruß ist eine Gefahr für die liberale Demokratie

Kommentar
Türkische Rechtsextreme in der Türkei und im Ausland
Presseservice Wien

Torjubel und Sperre bei der EM brachten die Diskussion um den Wolfsgruß ins öffentliche Bewusstsein. Umso wichtiger ist es deswegen zu verstehen, wofür der türkische Ultranationalismus steht und was ihn so gefährlich macht, findet Hüseyin Çiçek.

Der Wolfsgruß der türkischen Ultranationalisten ist nichts Neutrales und auf keinen Fall unpolitisch. Das Symbol vereint viele menschenverachtende Aussagen in sich und lehnt ebenso eine liberal-freiheitliche Demokratie ab. Es bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass nur ein starker Führer an der Spitze der Türkei stehen darf und dass sich Minderheiten in der Türkei bedingungslos assimilieren müssen. Es ist auch ein Symbol dafür, dass Integration ein Verrat an den eigenen Traditionen sei. Das Zeigen dieses Symbols ist somit eine deutliche Parteiergreifung für die Ablehnung des liberal-freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates.

 

Der Widerstand gegen den Wolfsgruß der türkischen Ultranationalisten zeigt zu Recht, dass viele Bürger sich im deutschsprachigen Raum gegen eine menschenverachtende, religiös untermauerte Ideologie stellen und solche Überzeugungen nicht mit liberal-demokratischen Werten in Einklang sehen. Gegenwärtig sind wir im deutschsprachigen Raum mit einigen Ideologien (religiöser oder säkularer Art) konfrontiert, die unsere liberal-demokratische Aufmerksamkeit beanspruchen, wenn wir unsere hart umkämpften demokratischen Freiheiten nicht aufgeben wollen. Aus einer ideologischen Warte betrachtet, gibt es keinen Unterschied zwischen den türkischen Wolfsanhängern, den Identitären, Islamisten und vielen anderen radikalen Gruppen.

 

In diesen Gruppen herrscht die Überzeugung vor, dass ihnen mehr Rechte als anderen zustehen

 

Der kleinste gemeinsame Nenner dieser politischen Bewegungen wird oft übersehen oder zu wenig beachtet. Wir müssen begreifen, dass die oft beschworene »säkulare Moderne« ihre eigenen religiösen Konzepte und Mythen hervorgebracht hat und somit einer klassischen Entzauberung der Religion den Weg geöffnet hat, aber durch ihre religiös oder religiös-nationalistisch untermauerten nationalstaatlichen Narrative die religiöse Ummantelung beziehungsweise Überhöhung der eigenen Gruppe vorangetrieben hat.

 

Der Wolfsgruß oder islamistische, identitäre beziehungsweise neurechte Symbole sowie die dahinterstehenden Ideologien versprechen eine Lösung für die großen weltpolitischen Fragen und ebenso für alltägliche, die die Anhänger der jeweiligen Gruppen als ausschlaggebend interpretieren, worauf sie ihre realen oder konstruierten Missstände zurückführen können. Ein »Glaube«, der diese Gruppen eint, ist, dass die Etablierung einer homogenen Gesellschaft zu einer für sie gerechteren Gesellschaft und ebenso zu einem ökonomischen Wohlstand führt.

 

Eine weitere wichtige Herausforderung für diese Gruppen ist, dass das Recht und politische System in liberal-demokratischen Verfassungsstaaten nicht von der jeweiligen Regierung nach ihrem Gutdünken geändert werden können. Auch hier zeigt sich eine deutliche Übereinstimmung in der Ideologie, weil in diesen Gruppen die Überzeugung vorherrscht, dass ihnen mehr Rechte als andere zustehen – ob sich dies auf Gott, Volk oder sonst was bezieht, ist zweitrangig.

 

Die im Herkunftsland ausgemachten »Feinde« werden auch in der Diaspora von den Anhängern der Grauen Wölfe identifiziert

 

Die Diskussion, die nach dem Wolfsgrußzeichen der türkischen Nationalmannschaft aufgekommen ist, geht tiefer, als viele wahrnehmen. Seit Jahren verweisen viele Kolleginnen und Kollegen auf die Überheblichkeitsideologien und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Diaspora. Parallel dazu machen wir auch darauf aufmerksam, dass die Einwanderung in den deutschsprachigen Raum von Menschen besteht, die in ihren Heimatländern sich als Täter und Opfer gegenüberstehen. Natürlich wollen diese Menschen in Europa ein besseres Leben führen, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie ihre politischen Überzeugungen an der Grenze hinter sich lassen.

 

Der Wolfsgruß dient als Zeichen, das auch viele Kilometer weg von der Heimat der Eltern eine Vereinigung unter der Überzeugung einer antiliberalen Haltung Gemeinschaft realisiert werden kann. Es ist auch ein Zeichen, das deutlich macht, dass der lange Arm einer illiberalen Demokratie bis nach Österreich, Deutschland und darüber hinaus reicht und greift. Zuletzt lässt es uns erkennen, dass die im Herkunftsland ausgemachten »Feinde« auch in der Diaspora von den Anhängern der Grauen Wölfe identifiziert werden und somit gewalttätige Handlungen nicht mehr ausgeschlossen sind. Beispielsweise verstärken geopolitische Ereignisse diese Haltung.

 

Die Türkei machte während des syrischen Bürgerkriegs vor allem Assad und die Kurden zu ihren erklärten Feinden, die Sichtweise der AKP-Politiker auf die IS-Terroristen hingegen war gemäßigt und teilweise sehr irritierend, zumal diese als »wütend, aufgebracht, erzürnt« bezeichnet wurden. Vertreter verschiedener legalistischer Islamverbände brauchten eine lange Zeit, um sich überhaupt zu Wort zu melden. Vielmehr wurden europäische Länder kritisiert, dass sie die sicherheitspolitischen Interessen der Türkei nicht ernst nehmen würden.

 

Damit wird genauso wie von islamistischen oder neurechten Gruppen ein Narrativ bedient, das die liberal-freiheitliche demokratische Gesellschaft von innen und von außen bedroht

 

Einem Land, das NATO-Mitglied ist und den Schutz einer der besten Sicherheitsallianzen weltweit genießt und gleichzeitig durch die verschiedensten Kooperationen mit autoritären Staaten das Vertrauen der NATO-Bündnispartner untereinander schwächt. Vielmehr behaupten viele Anhänger der Grauen Wölfe, genauso wie Merah Demiral, der das Zeichen nach dem Spiel gezeigt hat, dass die Türkei und Türken auf dieser Welt alleine seien und keine politischen Freunde hätten, die sich um deren Sicherheitsfragen und Traditionen kümmern würden.

 

Damit wird genauso wie von islamistischen oder neurechten Gruppen ein Narrativ bedient, das die liberal-freiheitliche demokratische Gesellschaft von innen und von außen bedroht. Gerade einige Spieler der türkischen Nationalmannschaft haben eine Sozialisierung in Deutschland erlebt, und diese hat es ihnen ermöglicht, dass sie entscheiden können, ob sie für Deutschland oder die Türkei auflaufen wollen. Die Diskussionen um den Wolfsgruß zeigen jedoch, dass die Annahme falsch ist, rechtliche und politische Freiheiten in liberal-freiheitlichen Demokratien würden automatisch zu einer demokratischen Sozialisation führen. Dies gilt sowohl für die Mehrheitsgesellschaft als auch für die Einwanderungsgesellschaft.

 

Wir müssen uns bewusstwerden, dass diese demokratischen Räume auch dazu genutzt werden, antidemokratischen und menschenverachtenden Ideologien einen Freiraum zur Entfaltung zu ermöglichen. Gemeinsame Feinde finden die Anhänger des Wolfsgrußes, Islamisten oder Neurechte immer wieder und können somit auch unterschiedlichste Kooperationen eingehen und unsere liberale Gemeinschaft von innen und außen zerstören.


Dr. Hüseyin I. Çiçek iist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Religionswissenschaft der Universität Wien, und Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die alevitische Diaspora in Europa, die Türkei im 20. Jahrhundert, Staat und Religionsgemeinschaften, Radikalisierungsprozesse innerhalb der türkischen Einwanderungsgesellschaft in Deutschland und Österreich, Terrorismus und Integrationsforschung.

Von: 
Hüseyin Çiçek

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