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Bauchtanz, Instagram und #DancingIsNotACrime

Das Hintern-Glühbirnen-Prinzip

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Im Staatsfernsehen musste die Iranerin Maedeh Hojabri für ihre Tanzdarbietungen um Vergebung bitten – ein hausgemachter PR-Gau. Was lernt das Regime daraus?

Jeder, der schon einmal eine iranische Hochzeit erlebt hat, wird verstehen, was ich meine: Die Begeisterung auf der Tanzfläche ist groß, es geht euphorisch, aber nicht ausdauernd zur Sache. Um mitzumachen, muss man zwei pantomimische Gesten koordinieren können und diese unablässig wiederholen: Mit einer Hand über dem Kopf eine Glühbirne eindrehen und zugleich mit dem Hintern eine Schranktür zustoßen.

 

Maedeh Hojabri tanzt auf einem anderen Niveau. Die 17-jährige Parcours-Läuferin aus Teheran begeisterte mit ihren geschmeidigen Tanzdarbietungen zigtausende Follower auf Instagram: Pop, Jazz, Contemporary Belly Dancing oder eine Rihanna-Adaption, die manche besser als das Original finden und von der man sicher nicht behaupten kann, dass sie vulgär daherkomme (Ich habe mir das von unabhängigen Fachleuten erklären lassen, da ich zugegebenermaßen weder von ihren Performances noch von Instagram besonders viel verstehe).

 

Hojabri zeichnete diese Videos in ihrem heimischen Teheraner Wohnzimmer auf, trug keinen Hijab und war gelegentlich auch etwas bauchfrei zu sehen. In der vergangenen Woche wurde sie verhaftet und wenig später in einer Sendung des ersten Programms des iranischen Staatsfernsehens IRIB vorgeführt – in einer Art Enthüllungsformat, bei der nicht klar war, ob man sie interviewte oder verhörte.

 

Ein Schauspiel mit Nachspiel

 

Das ihr zur Last gelegte Vergehen bestand wohl darin, Bürgerinnen und Bürger der Islamischen Republik zu unsittlichem Verhalten anzustacheln. Hätte Hojabri für ihre Tanz-Performances und Video-Aufzeichnungen ein Unterstützerteam gehabt, was man behördlicherseits wohl mutmaßte, wäre dieses nach Lesart der iranischen Justiz sogar eine kriminelle Bande gewesen. Und ihr Handeln ein organisierter Angriff auf die sittlichen Fundamente der Islamischen Republik.

 

Hojabri musste erklären, dass all dies nicht der Fall gewesen sei. Sie sei nicht gecoacht worden und habe völlig unbedarft und ohne heimtückische Intention gehandelt. Ihr Befrager wollte peinlich genau wissen, ob und wie viel Geld sie von Instagram aus dem Erlös vorgeschalteter Werbeclips erhalten habe.

 

Neben Hojabri präsentierte der Sender auch zwei andere Fälle: Elnaz Qassemi, die ebenfalls mehrere Hunderttausend Follower auf Instagram hat, nur zu Besuch aus Kanada nach Teheran gekommen war und dort verhaftet wurde, sowie eine Tänzerin mit dem Künstlernamen Shadab. Qassemi weinte vor der Kamera und wurde dargestellt wie eine überführte ausländische Spionin. Zwischendurch präsentierte IRIB eine Psychiaterin, die sich über die krankhafte Selbstdarstellung junger Menschen in sozialen Medien ausließ.

 

Für Hojabri und Qassemi, die Anfang dieser Woche aus der Haft entlassen wurden, mag die Sache glimpflich ausgegangen sein, für das iranische Fernsehen und das Ansehen des Regimes könnte sie allerdings ein Nachspiel haben.

 

Die Angst vor der Social-Media-Reichweite junger Frauen geht wieder einmal um in der Islamischen Republik

 

Als die Verhaftung bekannt wurde, hagelte es Solidaritätsvideos – unter verschiedenen Hashtags und Slogans wie »raqsidan djorm nist – Tanzen ist kein Verbrechen«. Hunderte Follower Hojabris in Iran und im Ausland, aber auch solche, die erst durch den Polizeieinsatz von ihr erfahren hatten, luden nun ihre Tanz-Videos in den sozialen Medien hoch. Einige davon sind haarsträubend lustig, andere folgen dem bewährten Hintern-Glühbirne-Prinzip.

 

Ob authentisch, doppelbödig oder fake – im Internet kursieren nun sogar Videos von tanzenden jungen Männern in der Uniform der Streitkräfte, die der Hojabri-Bewegung zugerechnet werden. Ein als Medienkritiker bekannter Mullah, Mohammed Reza Za’eri aus Kerman, postete ein Video mit dem Satz »Man sollte kleine Sünden nicht groß und große Sünden nicht kleinmachen.« Nicht der tanzende Bauch eines Mädchens, sondern der tanzende Stift eines Richters würde die Werte der Islamischen Republik erschüttern.

 

In Iran wird nun sogar öffentlich diskutiert, ob die staatliche iranische Rundfunkgesellschaft nicht verklagt werden müsste, weil sie eine Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern oder des Vormunds in der Prime Time vorführte – auch wenn ihr Gesicht abgedunkelt war. Der Sender rechtfertigt sich, er habe im Auftrag einer Justizbehörde gehandelt. Aber auch die können ja bekanntlich gegen geltendes Recht verstoßen.

 

Die Angst vor der Social-Media-Reichweite junger Frauen geht wieder einmal um in der Islamischen Republik. Viral kommt von Virus, und so behandelt man das Phänomen im iranischen Justizwesen offenbar wie eine Infektionskrankheit. Die Regierung Ruhani, das gesamte iranische Regime, die Verwaltungen in den Provinzen, alle scheinen nervös. Auch weil seit Monaten immer wieder in verschiedenen Landesteilen Proteste aufflammen: wegen Behördenversagen, Umweltverschmutzung, Finanzbetrug, Diskriminierung aller Art.

 

Sollte das TV-Geständnis die Regierung Ruhani in die Bredouille bringen?

 

Die Spitze der iranischen Justiz, die örtlichen Behörden, politische Hardliner, übereifrige Juristen – wer auch immer in der Causa Hojabri den Marschbefehl gegeben hat und auf die Idee kam, sie vor Fernsehkameras zu zerren, hat nun einmal mehr das Gegenteil erreicht. Es sei denn, man sieht dahinter eine politische Intrige, um die als zu lax und zu pro-westlich empfundene Regierung Ruhani in eine peinliche Situation zu bringen.

 

Man sollte nicht den Fehler begehen, jeden Justizfall in Iran außenpolitisch zu betrachten. Das Land ist groß, die Gesellschaft komplex, die Macht- und Grabenkämpfe mannigfaltig und die Iraner ausreichend mit sich selbst beschäftigt. Aber wird es eine europäische Haltung zum Fall Hojabri geben und – wenn ja – wie müsste diese aussehen?

 

Seit Jahrzehnten ähneln sich Argumentationsmuster im westlichen Ausland zu Iran: Die einen führen die Verhaftung von Menschen wie Hojabri als Beweis für das unterdrückerische Wesen des Regimes an, die anderen verweisen darauf, dass es verschiedene Lager gebe. Man müsse die fortschrittlichen, moderaten Kräfte stärken. Insbesondere die Justiz werde von den Hardlinern genutzt, um Druck auf die Moderaten auszuüben. Die Feinde des Wandels wollten damit zeigen, wer Herr im Hause ist, ihr Revier verteidigen hin und wieder auch das Ansehen der eigenen Regierung beschädigen.

 

Inzwischen wird darüber spekuliert, bestimmte konservative Regime-Kreise hätten den Fall Hojabri hochkochen lassen, um von einer größeren Affäre um Währungsbetrug abzulenken, in die sie selbst verwickelt waren.

 

Wer flicken will, muss freundlich sein

 

In Europa jedenfalls überwiegt die Ansicht, dass eine Verbesserung oder zumindest Konsolidierung der Beziehungen zu Iran in jedermanns Interesse liege. Und meist reagieren europäische Politiker und Diplomaten ja geradezu euphorisch auf jede fortschrittliche Justizreform, jedes versöhnliche Wort aus Teheran und jeden noch so kleinen Beleg dafür, dass Iran eben nicht nur ein »Mullah-Staat«, sondern auch eine große Zivilisation mit aufgeweckten, kreativen Menschen ist. Solchen wie Maedeh Hojabri, Elnaz Qassemi und Shadab.

 

Diese drei Frauen sind, was auch ein gescheiter Hardliner begreifen müsste, vielleicht kein Indikator für den Erfolg der sittlichen Erziehung, aber doch für die große Sympathie für Iran in der Welt, wovon auch sie – die Hardliner – profitieren könnten. Das neue weltpolitische Klima und die Sanktionspolitik Trumps aber werden in den kommenden Jahren große Löcher in das europäisch-iranische Verhältnis reißen. Und es wird großer Anstrengung und Motivation bedürfen, um diese auszubessern und zu flicken. Stimmungen, Emotionen spielen dabei eine große Rolle.

 

Mit der Wut vieler Iranerinnen und Iraner über die Bloßstellung ihrer Instagram-Stars müssen die Mächtigen in der Islamischen Republik nun selbst fertigwerden. Wer aber die Europäer motivieren will, weiterhin einen differenzierten Umgang mit Iran zu pflegen, sollte solchen Blödsinn in Zukunft unterlassen.

Von: 
Daniel Gerlach

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