Syrische Freischärler auf dem Kaukasus? Der türkische Präsident will vielleicht nicht das Osmanische Reich zurück. Aber er lässt sich von imperialen Vorbildern inspirieren.
Der Name Sophainetos von Stymphalos könnte sicher aus einem verschollenen Frühwerk Monty Pythons stammen. Tatsächlich aber war dieser Mann einer der prominentesten Söldnerführer der Antike. Er diente dem Perserprinzen Kyros (der Jüngere) bei einem Putschversuch. Der allerdings scheiterte. Sophainetos kämpfte, kassierte, verhandelte und überlebte. Und da die hellenischen Chronisten über ihn kein abschätziges Urteil fällten, war es offenbar nicht sehr verwerflich um das Jahr 400 v.Chr., seine Kriegskunst in den Dienst einer orientalischen Macht zu stellen.
Wer Söldner wird oder Söldner in den Kampf vorschickt, gilt heute doch eher als dubios. Auch das arabische Wort für Söldner – murtazaqa – klingt eher abschätzig: Man denkt da an Vaterlandslose ohne Gewissen und Moral. Die Genfer Konvention sieht das im Grunde ähnlich. Sie betrachtet Söldner, sofern sie für Lohn kämpfen, nicht der kriegführenden Nationen angehören und nicht als integraler Bestandteil regulärer Streitkräfte auftreten, als nichtlegitime Kombattanten. Im prä-robotischen Zeitalter gilt der Krieg eben immer noch als nationale Kraftanstrengung, für den es einer staatsbürgerlichen Legitimation bedarf.
Werden Söldner faul, verletzt oder versprengt, beginnen sie zu marodieren. Die Marodeure von einst waren fußlahme, marschunfähige Landsknechte, die arme Bauern drangsalierten. Ich vermute im Übrigen, dass sich »marode« vom arabischen »marid« ableitet, was »krank« bedeutet.
»Ihr tut wohl, dass ihr weitergeht, Verderbt uns doch nur die Sozietät.« So heißt es im 11. Auftritt von »Wallensteins Lager«, worin uns Friedrich Schiller die kaiserlichen Mordbuben des Dreißigjährigen Krieges präsentiert. Diversity wurde dabei groß geschrieben, denn sie kamen buchstäblich aus aller Herren Länder. Wer weiß, wie viele von uns Nachfahren von Söldnern sind? Hessen, Tiroler, Württemberger, Luxemburger oder die Schweizer, jenes wundersam friedliche Volk, das noch vor wenigen Jahrhunderten hauptberuflich wütete und brandschatzte – und zwar mit einem Elan, den es bis heute noch nicht wiedererlangt zu haben scheint.
Der Einsatz ortsfremder Freiwilliger und Söldner ist in der Geschichte des Krieges die Regel
Aber nun zum eigentlichen Thema: Laut übereinstimmenden Berichten setzt die Türkei syrische Söldner auf Seiten Aserbaidschans im Kampf um die von Armenien besetzte Enklave Bergkarabach ein. Bereits in Nordsyrien und in Libyen schickte Erdoğan solche hauptsächlich unter arabischen und turkmenischen Volksgruppen rekrutierten Freischärler in die Schlacht. Diese Nachricht vom Kaukasus sorgte für Empörung und wurde von pro-türkischen Quellen mit dem Argument gekontert, dass auch die Armenier freiwillige Söldner rekrutierten. Unter anderem im Libanon und, Gerüchten zufolge, im Irak.
Man vergisst dabei schnell, dass der Einsatz ortsfremder Freiwilliger und Söldner in der Geschichte des Krieges nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Die Kolonialmächte bedienten sich sogenannten martial races – Sikh, Gurkas, Zouaven oder senegalische Tirailleurs. Die USA setzten in der Zeit nach 2003 im Irak private Söldnerfirmen wie »Blackwater« ein und gaben dabei ein moralisch zweifelhaftes Vorbild ab. Im Kampf gegen Aufständische erfand man dort auch die bezahlten arabischen Stammesmilizen, Sahawat genannt – gewissermaßen ein Vorbild für die »Demokratischen Kräfte Syriens« (SDF).
Die Russen nutzen heute die »Gruppe Wagner« in Syrien und in Afrika; Iran rekrutiert bekanntlich Milizen unter den schiitischen Volksgruppen in Nahost und Zentralasien. Seinerzeit, während der Besatzung des Südlibanon, operierte Israel im Verbund mit der Südlibanesischen Armee, die ebenfalls eine Söldnertruppe war. Und Israels Gegner in den zurückliegenden Nahostkriegen erinnern gern daran, dass auch die jüdischen Freiwilligen aus aller Welt, die beispielsweise 1973 im Yom-Kippur-Krieg mitkämpften, ja Ausländer gewesen seien. Und im Jemenkrieg bedienten sich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mitunter sudanesischer Freischärler im Kampf gegen die Huthi-Milizen.
Je nachdem, wie ideologisch das Selbstverständnis eines Staates ist, bekommt auch das Söldnertum einen ideologischen Überbau verpasst. Und das türkische Beispiel ist hier besonders aufschlussreich: Anders als bei den »Private Military Contractors«, die auch in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 zunehmend in Erscheinung treten, scheinen die arabischen und turkmenischen Freischärler Teil einer sunnitischen Internationalen unter dem Banner des türkischen Halbmondes zu sein. Ein offenbar erfolgreiches Pendant zu den schiitischen Verbänden Irans im Nahen Osten.
Erdoğan präsentiert sich damit nicht als Wiedergänger, aber als Erbe des osmanischen Kalifats, das 1924 von der Türkischen Republik abgeschafft wurde, dessen Würde aber symbolisch auf das türkische Parlament übergegangen ist – also, wie manche seiner Anhänger es sehen, eigentlich auf ihn höchstselbst.
Schon die Namen der unter türkischer Führung kämpfenden Verbände bilden das osmanische und seldschukische Erbe ab: Sie sind nach den Sultanen Alparslan, Malik Shah, Murad, Mehmet II. dem Eroberer benannt. Dieser Umstand unterstreicht, was sich in osmanischer Zeit, aber auch durch die Geschichte der Türkischen Republik hindurch implizit von selbst verstand: Türkentum und Sunnismus sind die beiden Säulen des Staates. Und die Garanten nationaler Größe.
Nun kursieren Berichte, denen zufolge sich einige dieser sunnitischen Kämpfer auf dem Kaukasus schon entsetzt zeigten, als sie erfuhren, dass die Aserbaidschaner, für die sie sich nun schlagen sollen, mehrheitlich schiitisch sind. Aber bei Söldnern gibt es keine Geld-zurück-Garantie. Wer Weltpolitik machen will, muss flexibel sein. Und das Feindbild der christlich-armenischen Besatzer in Karabach überragt den sunnitisch-schiitischen Gegensatz im Zweifelsfall. Immerhin kann man noch anführen, dass Iran, die Schutzmacht der Schiiten, im Karabach-Konflikt den Gegner unterstützt, also die Armenier.
Wenn Erdoğan auf historische Vorbilder Bezug nimmt, fällt das Wort manchmal auf Abdülhamid II. (1842-1918). Nicht, weil der Reis das Osmanische Imperium wieder errichten will, sondern weil er die Staatskunst dieses Sultans anscheinend sehr bewundert. Die britische Yellow Press nannte Abdülhamid seinerzeit den »roten Sultan«, da sich unter seiner Herrschaft Massaker an Armeniern und anderen Minderheiten zutrugen.
Abdülhamid war ein interessanter, komplexer, aber eben auch paranoider Sultan, der vor allem auf die pan-islamische Karte setzte und Feinde im In- und Ausland konsequent bekämpfte. Erst neulich, zur Eröffnung der neuen Zentrale des Auslandsgeheimdienstes MIT in Ankara, lobte Erdoğan des Sultans Rolle beim Aufbau einer professionellen Spionageabwehr. Eigentlich war Kemal Atatürk der Gründer des MIT, mit dem Erdoğan es aber bekanntlich nicht so hat.
Es offenbbart sich eine gewisse Nähe zwischen der späten Türkischen Republik Erdoğans und den Osmanen
Seit einigen Jahren eifert Erdoğan dem roten Sultan auch militärisch nach: Abdülhamid baute nämlich paramilitärische, halb-staatliche Verbände auf. Diese Stammeskämpfer wurden unter Turkmenen und sunnitischen (nicht-alevitischen) Kurden des Reiches rekrutiert und zu seinen Ehren »Hamidiye«-Regimenter genannt. Sie folgten weniger dem Gesetz oder militärischen Befehlen, sondern einer islamischen Reichsideologie, begründet auf persönlicher Loyalität zum Padischah, also Sultan Abülhamid.
Binnen kurzer Zeit errangen sie bei den Städtern den Leumund übler Mordbuben und Plünderer. Zahlreiche Hamidiye-Truppen beteiligten sich an Strafexpedition und Massakern gegen Christen, vor allem die Armenier. Und Dank der Hamidiye verfügte der Staat über die Option, sich von Bluttaten zu distanzieren beziehungsweise den hitzköpfigen Kurden, wenn es nötig schien, die Schuld zu überlassen.
Auch die Türkische Republik bediente sich später in Anatolien solcher Konzepte in Form von Bürgerwehren, vor allem im Kampf gegen kurdisch-alevitische Gruppierungen und die PKK. Deren Erfolg blieb allerdings umstritten und die professionelle kemalistische Armee stand ihnen zunehmend skeptisch gegenüber. Seit dem Putschversuch 2016 hat Erdoğan jedoch eine Reihe von Dekreten erlassen, welche die Bewaffnung von regierungstreuen Kampfgruppen und Milizen begünstigen. Schon um sich selbst gegen einen Umsturz abzusichern.
Die Mobilisierung ausländischer Freischärler im Dienste der Türkei findet übrigens auch nicht ganz im rechtsfreien Raum statt. Laut einem Dekret können Angehörige irregulärer Kampfverbände, auch vormals terroristischer Gruppen, rekrutiert werden. Und vor allem an dieser Stelle offenbart sich eine gewisse Nähe zwischen der späten Türkischen Republik Erdoğans und den Osmanen.
Es ist die Vorstellung, dass es jenseits der offiziellen Grenzen noch Randgebiete gibt, in denen man selbstverständlich militärische Macht projiziert, auch wenn sie nicht (mehr) zum türkischen Staatsgebiet gehören. Man kann die Folgen dieser Politik in Syrien, im Irak, in der Ägäis und nun auch auf dem Kaukasus beobachten. Das ist wahrscheinlich der stärkste imperiale Charakterzug der Erdoğanschen Politik.
Historische Vergleiche helfen: Schon, um zu verstehen, warum ein Staatschef es vollkommen normal findet, dass man Söldner und Freischärler aus aller Herren Länder in Kriegen einsetzt. Sie sind billig und innenpolitisch weniger heikel. Sie sind, so sieht man es in Ankara, nicht unüblich. Und sie stehen in bester osmanisch-türkischer Tradition.