Der Journalist Jannis Hagmann über seine neue Stelle als Chefredakteur der Plattform Qantara.de, den Vorwurf politischer Einflussnahme und die deutsche Nahostdebatte
zenith: Herr Hagmann, im August beginnt das neue Redaktionsteam der Plattform Qantara.de seine Arbeit mit Ihnen als Chefredakteur. Wer wird noch dabei sein? Was wird es redaktionell Neues geben? Was haben Sie sich vorgenommen?
Jannis Hagmann: Wir werden an die hervorragende Arbeit des bisherigen Teams anknüpfen. Mir geht es einerseits um Vertiefung und Versachlichung von Debatten, beispielsweise zum Israel-Palästina-Konflikt, zu dem auf Qantara ein breiter Diskurs geführt werden wird. Andererseits ist mir ein weites Themenspektrum wichtig. In einigen Medien fallen wichtige Themen aus dem islamisch geprägten Raum unter den Tisch. Das zukünftige Team hinter Qantara steht mittlerweile, auch wenn noch nicht alle formalen Dinge erledigt sind. Daher kann ich zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Namen nennen. Es wird ein junges sechsköpfiges Team von Nahost-Journalistinnen und Journalisten sein. Unsere Arbeit nehmen wir Mitte August auf, werden dann allerdings noch etwas Anlaufzeit benötigen.
Qantara.de wird seit diesem Jahr vom Institut für Auslandsbeziehungen ifa als Träger verantwortet, finanziert durch das Auswärtige Amt (AA). Was genau hat sich im Vergleich zu vorher strukturell geändert?
Sie sagen es: der Träger. Und das Redaktionsteam. An den Projektzielen ändert sich nichts. Auch die Finanzierung durch das AA ist nicht Neues. Soweit ich weiß, hat das ifa die neuen Stellen nach dem Vorbild der alten Redaktion geschaffen, wobei meines Wissens nach der Großteil des bisherigen Teams nicht bei der Deutschen Welle festangestellt war. Genaueres müssten Sie aber bei der Deutschen Welle erfragen.
Im Vorfeld Ihrer Amtsübernahme hat es in der deutschen Nahost-Community einige Debatten gegeben. Die Redaktion unter dem langjährigen Leiter Louay Mudhoon ist zurückgetreten, weil, wie es heißt, man die Unabhängigkeit des Portals nicht mehr gewährleistet sieht. Wie unabhängig war Qantara.de vorher, wie unabhängig ist es jetzt?
Viele der Kritikpunkte sind bereits ausgeräumt, etwa was die befürchtete Löschung der vielen guten bisher veröffentlichten Beiträge angeht, die seit 2003 erschienen sind. Was die Unabhängigkeit betrifft: Wir werden uns inhaltlich nicht reinreden lassen, weder vom ifa noch vom AA. Qantara ist dem Auftrag nach eine Dialogplattform. Die Ziele des Projekts bleiben gleich, an erster Stelle steht die Verständigung zwischen Deutschland und stärker muslimisch geprägten Gesellschaften. Wer das ernst meint, muss auch kritische Stimmen aushalten.
Im vergangenen Jahr hat die Zeitschrift Lettre International gegen die institutionelle, öffentliche Finanzierung mehrerer Kulturzeitschriften geklagt. Ein Gericht hat dazu im Grunde festgestellt, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, dauerhaft journalistische Angebote zu finanzieren, vor allem nicht, wenn diese auch von anderen, unabhängigen Medien angeboten werden. Zumindest das deutschsprachige Angebot von Qantara.de scheint in diese Kategorie zu fallen. Ist das ein Problem?
Ich denke, Qantara hat die deutsche Medienlandschaft bislang bereichert. Für Leser*innen, aber auch für andere Medien war die Plattform ein Gewinn. Und was mir als bisheriger Qantara-Autor immer wichtig war: Qantara bietet aufgrund der englischen und arabischen Übersetzungen deutschen Nahost-Journalist*innen die Möglichkeit, mit ihren Themen auch an ein internationales Publikum heranzutreten. Es ist für einen Journalisten, der sich mit internationalen Themen befasst, nicht gut, sich in einer deutschsprachigen Blase zu bewegen.
Ich würde die Stelle nicht antreten, wenn mir nicht versichert worden wäre, dass wir redaktionell komplett unabhängig arbeiten können
Als unabhängiges Medienprojekt zum Nahen Osten und der muslimischen Welt haben wir uns bei zenith schon das eine oder andere Mal gefragt, wie es kam, dass Qantara.de jahrelang ohne Ausschreibung durchgehend staatlich finanziert wurde. Projektförderungen erhalten normalerweise nicht mehr als zwei oder drei Anschlussfinanzierungen. War diese Schieflage auch ein Grund für die Umstrukturierung?
Das müssen Sie das AA fragen. Was ich sagen kann: Beim ifa besteht die Absicht, Qantara aus der Projektfinanzierung herauszuholen und dauerhaft zu sichern.
Haben Sie mit Ihren Vorgängern bei Qantara.de Kontakt und gab es die Möglichkeit zur kollegialen Übergabe?
Ich persönlich habe keinen Kontakt. Das ifa hat eine Übergabe bekommen, aber wie eng die Kontakte waren und sind, kann ich nicht sagen.
In der deutschen Nahost-Community, auch von Autorinnen und Autoren der Plattform, wurde gemutmaßt, die Übernahme von Qantara.de durch das ifa, also ein staatsnahes und staatlich finanziertes Institut, folge der Bestrebung, die Plattform an die Leine zu nehmen und insbesondere deutschlandkritische Positionen in der Nahost-Debatte einzuhegen. Ist da etwas dran?
Ich kenne auch nur diese Mutmaßungen, wie Sie es nennen. Wir werden uns nicht an eine Staatsräson-Leine nehmen lassen.
Mich ärgert der Text. Unter dem künftigen Qantara-Team wäre der Artikel in dieser Form nicht erschienen
Als ehemaliger Nahost-Redakteur der linken Tageszeitung taz stehen Sie nicht gerade im Verdacht, ein Spin Doctor zu sein, den man anheuert, um einer angesehenen, aber nicht gerade reichweitenstarken Plattform wie Qantara.de eine regierungsfreundliche Linie zu verpassen. Aber vielleicht können Sie ja aufklären: Wer hat außer Ihnen noch Einfluss auf die redaktionelle Linie, das Wording und die Haltung des Mediums? Wer ist Ihr Vorgesetzter und welche Institutionen und Gremien entscheiden mit?
Ich würde die Stelle nicht antreten, wenn mir nicht versichert worden wäre, dass wir redaktionell komplett unabhängig arbeiten können. Es wird - wie bislang auch schon - einen Beirat geben, der beratende Funktion hat. Meine künftigen Teammitglieder und ich werden ab Anfang bzw. Mitte August beim ifa angestellt sein. Eine redaktionelle Linie wurde uns nicht vorgegeben und außer mir wird niemand die Beiträge abnehmen.
Derzeit entzündet sich Kritik an Qantara.de an einem Meinungsartikel von Sineb El-Masrar über Voreingenommenheit und mangelnde Empathie zum Gaza-Konflikt auf Ihrer Startseite. In einer Passage äußert sich die Autorin – missverständlich, wie man zu ihren Gunsten wohl annehmen muss – dahingehend, dass die arabischen Öffentlichkeiten anders als die Deutschen die NS-Vergangenheit »nicht aufgearbeitet« hätten. Der Historiker Jürgen Zimmerer mutmaßte auf X, dies sei die neue Linie von Qantara.de, welche das für seine Unterstützung Israels in einem Krieg mit inzwischen fast 39.000 palästinensischen Todesopfern international kritisierte Deutschland in Schutz nehmen wolle. Was analytische Tiefe und Differenziertheit betrifft, so ist der kritisierte Beitrag wohl nicht gerade preisverdächtigt. Aber abgesehen davon: Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Mich ärgert der Text. Unter dem künftigen Qantara-Team wäre der Artikel in dieser Form nicht erschienen. In Gaza hungern die Menschen, teilweise auf katastrophalem Niveau. Die Lage darzustellen, als sei das Gerede über eine Hungersnot reine Propaganda, ist nichts, was auf Qantara zu lesen sein sollte. Freigegeben wurde er von der aktuellen kleinen Übergangsredaktion, die insgesamt aber sehr gute Arbeit gemacht hat, um die Zeit zu überbrücken, in der das alte Team nicht mehr und das neue noch nicht arbeitet. Andererseits muss ich sagen: Wenn Qantara jetzt wegen eines Artikels Staatstreue und Staatsüberwachung vorgeworfen wird, wenn eine Geheimdienststruktur unterstellt wird und Gerüchte gestreut werden, dass wir als Redaktion vom AA installiert worden sind, dann gehe ich nicht mehr mit. Ich verstehe die Skepsis beim Thema Gazakrieg, denn auch ich beobachte von staatlicher Seite in Deutschland antidemokratische Entwicklungen, insbesondere was pro-palästinensische Proteste und Stimmen angeht. Mich erschreckt auch, wie wenig in großen Medien die präventiven Einreiseverbote oder das Verbot bestimmter Parolen hinterfragt wurden. Aber was Qantara gerade teilweise unterstellt wird, bevor das neue Team überhaupt angefangen hat, ist keine seriöse Kritik mehr. Ich appelliere an alle bisherigen Autor*innen, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass Qantara eine kritische Plattform bleibt, gemeinsam daran zu arbeiten.
Jannis Hagmann, 40, Journalist, übernimmt im August die Redaktionsleitung von Qantara. Zuletzt hat er als Fachredakteur für die MENA-Region bei der Tageszeitung taz gearbeitet.