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Scholl-Latours-Erben: Nicola Albrecht

»Dann flogen Eier und Tomaten«

Portrait
Scholl-Latours-Erben: Nicola Albrecht

Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet Nicola Albrecht, Leiterin des ZDF-Nahostbüros in Tel Aviv.

Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche: Nicola Albrecht, Leiterin des ZDF-Nahostbüros in Tel Aviv.


 

  • Geboren: 2. März 1975 in Frechen
  • Wohnort: Tel Aviv
  • Ausbildung: Vergleichende Literaturwissenschaft, Anglistik, Kunstgeschichte (Universität Bonn und Université Sorbonne Paris, Magister & Promotion)
  • Karriere: Seit 2001 beim ZDF. Erst in der Kultur, dann im Landesstudio NRW, später als Kriegs- und Krisenreporterin in der Welt mit dem Schwerpunkt »Arabischer Frühling«. Ab Ende 2011 als feste Korrespondentin in China für den Fernen Osten zuständig und seit 2014 Leiterin des ZDF-Nahostbüros in Tel Aviv.

 


 

Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalistin zu werden?

Als ich das erste Mal bei der Ausreise aus Israel von einem Grenzbeamten gefragt wurde: »Warum waren Sie in Gaza und worin haben Sie überhaupt promoviert?“, antwortete ich: »Ich habe dort für meinen Sender über die Zustände berichtet und promoviert habe ich über Kafka.« Darauf lautete seine Antwort: »Kafka? Das qualifiziert sie natürlich für die Zustände hier.« Da wusste ich, ich muss in den Nahen Osten. Nein, im Ernst: Meine Drehreisen nach Libyen, Tunesien und dann nach Israel und die palästinensischen Gebiete haben mich extrem fasziniert, so dass ich immer gehofft habe, länger in dieser Region berichten und auch leben zu dürfen.

 

Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ich kann »Blender-Arabisch« mit palästinensischem Akzent, will meinen: Ich kann mit lustigen Sprüchen das Eis brechen oder auf Arabisch einem Hamas-Milizionär sagen, dass ich die Chefin des Teams bin, ob es ihm passt oder nicht. Das bringt mich ganz gut voran, aber wenn Gespräche Tiefgang bekommen, brauche ich einen Übersetzer. Hebräisch spricht mein Sohn, aber er will nicht immer übersetzen.

 

Der Orient riecht nach ...
Gegrilltem Kebab, Kaffee mit Kardamom und Schweiß – zumindest an einem guten Tag.

 

Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Im jüdisch-muslimisch gemischten Kindergarten meines Sohnes. Dort wird immer frisch und viel zu viel gekocht, viel gelacht, im Garten laufen Hühner und Ziegen herum, die Kinder spielen auf Beduinenteppichen, die arabische Betreuerin spricht den Shabbat-Segen und die jüdische versucht sich mal an einem Dabka. Fake News? Nein, eine Oase, die es wirklich gibt.

 

Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Den Tee nicht anrühren, den Kaffee nicht anrühren. Vorgeben man sei Vegetarier, weil man Angst vor der Wirkung des Hühnchens hat. Den heimlich mitgebrachten Alkohol am Beduinen-Feuer stehen lassen.

 

Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Auf dem Weg zu einem Dreh in Jerusalem führte mich das Navigationssystem an einem Shabbat durch das ultra-orthodoxe Viertel Mea Shearim. Die Panzersperre habe ich einfach umfahren, kurz über den ohnehin leeren Gehweg… dann flogen Eier und Tomaten und ich musste anhalten und mit dem weißen Taschentuch wedeln…berichtet habe ich darüber dann aber nicht…

 

Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
Im China-Restaurant »The Golden Key« in Kabul, bei den Beduinen in der Wüste und eigentlich an jeder Straßenecke. Und da ich noch nicht jede Straßenecke kenne, habe ich auch definitiv noch nicht ausgelernt.

 

Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Palast der Sehnsucht« von Nagib Mahfouz. »Der Weg nach Ein Harod« von Amos Kenan und »Während die Welt schlief« von Susan Abulhawa.

 

Peter Scholl-Latour war für mich ...
Ein Pionier, ein Abenteurer, ein Welterklärer. Jemand, dem man anmerkte, dass er das getan hat, wofür er brannte.

 

Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Die Macht der Frau in der arabischen Welt. Wäre ein längerer Film.

Von: 
zenith-Redaktion

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