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Web-Sitcom »Dolma Diaries« über Kaukasus-WG in Berlin

Das Blatt ist halb voll

Feature
»Dolma Diaries«

Treffen sich ein Armenier, ein Aserbaidschaner und ein Georgier. Die Pointe? Mehr als nur ein Lacher. Die Web-Sitcom »Dolma Diaries«, ein Projekt der Candid Foundation, schlägt Vorurteilen und Misstrauen mit kaukasischer Nonchalance ein Schnippchen.

In einem georgischen Restaurant in Berlin erzählt mir ein Armenier einen alten Witz: Fängt ein Zyklop einen Armenier und einen Aserbaidschaner. Er zwingt die beiden zu einem Wettrennen zu einem Baum und zurück. Den Verlierer will der Zyklop zum Frühstück verspeisen, den Gewinner erst zum Abendessen. Der Armenier und der Aserbaidschaner rennen los und als der Aserbaidschaner siegessicher wieder beim Zyklopen ankommt, stellen sie fest, dass der Armenier hinter dem Baum einfach weitergerannt ist.

 

Das ist nicht unbedingt ein Nachweis für den großartigen Humor der Kaukasier, aber dieser Witz enthält alles, was eine Erwähnung der Nachbarn in der Region braucht: einen Wettbewerb, den die eigene Seite clever gewinnt, während die andere Seite dumm dasteht. Und das ist auch völlig in Ordnung so; humorvolle Abwertungen muss die Nachbarschaft stolzer Nationen aushalten.

 

Das ist ganz sicher besser als das, was Armenier und Aserbaidschaner sonst übereinander erzählen und was zuletzt im April 2016 während des sogenannten Vier-Tage-Kriegs um Bergkarabach wieder einmal eskalierte. Vor allem in den sozialen Medien las man hasserfüllte Beleidigungen, dämonisierende Vorwürfe und (Todes-) Drohungen. Das deutet darauf hin, dass die zahlreichen Annäherungstreffen, -konferenzen und Workshops, die die internationale Gemeinschaft in den letzten Jahren unterstützt hat, im gesellschaftlichen Diskurs bisher wenig bewegt haben. Bei vielen internationalen Beobachtern und der Zivilgesellschaft vor Ort blieben Enttäuschung und die schmerzhafte Erkenntnis, dass der Austausch einiger Engagierter gegen die breite, ständige Präsenz nationalistischer (Regierungs-)propaganda kaum eine Chance hat.

 

Der Austausch einiger Engagierter hat gegen die ständige Präsenz nationalistischer Propaganda kaum eine Chance

 

Wenn die Zivilgesellschaft dieser Schieflage etwas entgegensetzen will, müssen also neue Ansätze her. Es braucht etwas, das die Menschen in der Region kontinuierlich erreicht und ungezwungen verbindet. So entstand die Idee einer gemeinsamen armenisch-aserbaidschanisch-georgischen Comedy-Serie, die das Potential hat, ein großes Publikum Woche für Woche auf humorvolle Weise mit einer Botschaft von nachbarschaftlicher Freundschaft zu erreichen.

 

2017 wurde mit Unterstützung des Auswärtigen Amts ein großer Schritt zur Realisierung der Serie gemacht – Comedians und Fernsehmacher aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien schrieben bei Treffen in Berlin und Tiflis gemeinsam das Drehbuch für die ersten Folgen. Die Ausgangssituation: Drei Studenten aus dem Südkaukasus kommen nach Berlin und werden von der Universität in eine gemeinsame WG eingeteilt. Ein Georgier muss dabei sein, weil eine Geschichte über Feindschaft und Freundschaft im Kaukasus ohne ihn unvollständig wäre.

 

Für die Autoren stand zunächst die Entwicklung der Charaktere im Mittelpunkt. Wer sind die Protagonisten, was macht sie aus, welche Hobbies und Ziele haben sie? »Man fühlt sich ein bisschen wie Doktor Frankenstein, wenn man sein Monster, den Charakter, bearbeitet und irgendwann glücklich feststellt: Es lebt!«, beschreibt Vagif Muradov, Journalist und Humorist aus Aserbaidschan, den spannendsten Teil der Arbeit. Im Unterschied zu anderen Serien bestand eine besondere Herausforderung darin, Helden zu schaffen, die ihr jeweiliges »eigenes« Publikum in den drei Ländern ansprechen und als Ensemble Menschen in drei verschiedenen Gesellschaften begeistern. Es kann also nicht den einen guten und mutigen und den anderen bösen, durchtriebenen Hauptcharakter geben.

 

Die Protagonisten sind keine glattgebügelten Vorzeige-Charaktere, sondern überzogene Sitcom-Figuren, mit manchen für ihre Völker als typisch wahrgenommenen Eigenheiten 

 

Trotzdem sind die Protagonisten natürlich keine glattgebügelten Vorzeige-Stereotypen, sondern überzogene Sitcom-Figuren, mit manchen für ihre Völker als typisch wahrgenommenen Eigenheiten. So drückt sich der Nationalismus des Aserbaidschaners Ali darin aus, dass er sich für jede noch so verrückte Randsportart wie Elephantenfußball oder Wasserpolo begeistert – solange die aserbaidschanische Nationalmannschaft spielt.

 

Gio der Georgier ist ein sich selbst überschätzender Möchtegern-Aufreißer, der sich dem Paradox stellen muss, dass er eine Abneigung gegen Schwule, aber großes Interesse an Lesben hat. Und Hayk aus Armenien beginnt Gespräche gerne damit zu fragen, ob man denn schon wisse, dass diese oder jene mehr oder weniger berühmte Person armenische Wurzeln hat. Er sieht sich als WG-Anführer und behandelt seine Mitbewohner mal besserwisserisch, mal zynisch.

 

Mit der Entwicklung der Charaktere ging auch die Erzählung ihrer gemeinsamen Geschichte einher. Wo sollen die drei Studenten nach acht Folgen stehen? Sind sie zum Ende der ersten Staffel Freunde oder nimmt das zu früh die Spannung raus? Zunächst stehen in der Beziehung der drei Hauptdarsteller natürlich Vorurteile und Feindbilder im Vordergrund, die ein mögliches friedliches Zusammenleben in der WG sabotieren. In jeder Folge gibt es aber auch Momente, die sie einander näherbringen.

 

In der ersten Episode rufen die armenischen und aserbaidschanischen Eltern per Skype an und es wird ihnen vorgegaukelt, der jeweilige Mitbewohner sei aus Estland

 

In der ersten Folge rufen die armenischen und aserbaidschanischen Eltern per Skype an und es wird ihnen vorgegaukelt, der jeweilige Mitbewohner sei aus Estland. So verhindern die beiden im Teamwork, dass die Eltern dem Deutschland-Aufenthalt ein jähes Ende setzen, weil sie mit dem »Feind« zusammenwohnen. Im Verlauf der Serie werden die Sabotageakte seltener, da die Protagonisten beim gemeinsamen Abenteuer Berlin immer stärkere Sympathien füreinander entwickeln und die Ressentiments ihrer Herkunft in den Hintergrund rücken.

 

Die große Herausforderung des Drehbuchschreibens bestand darin, die persönliche Entwicklung der Hauptcharaktere, ihren Konflikt und andere gesellschaftliche Themen, das Abenteuer Berlin und die Situationskomik ihres alltäglichen Lebens in einer zeitlich eng gerahmten Erzählung zusammenzubringen, die dazu auch noch lustig ist. Und was lustig ist, ist ja sowieso eine Frage des Geschmacks. Ganz besonders gilt das natürlich für Witze unter der Gürtellinie: In einer Folge stellt Gio seine besten Geschäftsideen vor, darunter Chacha-Boobs, künstliche Brüste, die man mit georgischem Chacha-Schnaps füllen kann. »Deine Brüste werden größer und du gießt Chacha aus den Nippeln – so wirst du zur Königin auf jeder Party!«, präsentiert er voller Begeisterung. Das ist natürlich nicht jedermanns Geschmack.

 

Wegen der Reisebarrieren stand den Autoren für diese anspruchsvolle Aufgabe nur relativ wenig Zeit zur Verfügung, um Ideen im persönlichen Gespräch auszutauschen, während Skype-Gespräche über vier Länder oft mit mindestens einem eingefrorenen Bildschirm endeten. Sergey Sargsyan, Macher und Moderator einer Politiksatire-Sendung in Armenien, war hinterher dennoch beeindruckt, »wie viel wir von der Interaktion innerhalb des Autorenteams und von unseren spontanen Witzen im Drehbuch festgehalten haben«. Zugleich flossen Ideen und Feedback der lokalen Partnerorganisationen sowie von zahlreichen Freunden und Bekannten aus der Region ins Drehbuch ein. Um eine Serie zu schaffen, die wirklich von den Menschen für die Menschen im Südkaukasus gemacht wurde.

 

Es gibt bereits einige Erfahrungen mit dem Ansatz, Unterhaltung zur Völkerverständigung zu nutzen. Die US-Organisation »Search for Common Ground« hat eine Reihe von Unterhaltungsserien in mehreren afrikanischen Post-Konfliktgesellschaften produziert, in denen die Helden unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen über ihre gemeinsame Leidenschaft für den Fußball Freundschaften entwickeln. Die israelische Serie »Arab Labour« über einen arabischen Journalisten, der für eine jüdische Zeitung arbeitet, greift nicht nur humoristisch Vorurteile und Identitätskonflikte zwischen Arabern und Juden in Israel auf, sondern erwies sich auch als großer kommerzieller Erfolg.

 

Ausgerechnet der wohl populärste Film im Südkaukasus, »Mimino«, ist ein weiteres erfolgreiches Beispiel für Unterhaltung als Beitrag zur Völkerverständigung. Die sowjetische Komödie über Vorurteile und Freundschaft zwischen einem Armenier und einem Georgier gewann 1977 den Goldenen Preis beim Internationalen Filmfestival in Moskau.

 

Die Protagonisten entwickeln im gemeinsamen Abenteuer Berlin immer stärkere Sympathien füreinander und die Ressentiments ihrer Herkunft rücken in den Hintergrund 

 

Unser Serienprojekt trägt den Arbeitstitel »Dolma Diaries«, in Anspielung auf die zwischen Armeniern und Aserbaidschanern umstrittene Erfindung des Nationalgerichts Dolma – gefüllte Weinblätter. Die Lächerlichkeit dieser Auseinandersetzung deutet sich schon beim ersten gemeinsamen Abendessen, zu dem die WG-Bewohner einige Bekannte eingeladen haben, an, als Ali stolz verkündet: »Ich habe unser Nationalgericht gekocht - Dolma!« und Hayk kontert: »Nein, ich habe unser Nationalgericht gekocht - Dolma!«

 

In einem Konflikt, in dem alles politisiert und skandalisiert wird, sind solche Nahrungsmittel-Wettstreite noch am ehesten als Gegenstand von Humor akzeptiert. Bei allem was darüber hinausgeht, stellt sich die Frage, wie sehr man sich über scheinheilige oder lächerliche Vorurteile lustig machen darf, ohne dabei Grenzen zu überschreiten. Was eine Grenzüberschreitung darstellt, war immer wieder Gegenstand intensiver Diskussionen zwischen den Autoren, die in der Welt der medialen Unterhaltung zuhause sind, und den lokalen Partnern, die aus dem sensiblen Umfeld der Zivilgesellschaft kommen. Die größte Debatte gab es über über den Stereotyp, Aserbaidschaner würden sich an Schafen, Armenier an Eseln vergreifen. Aus Sicht der Zivilgesellschaft ist die Erwähnung dieses sensiblen Themas eine Grenzüberschreitung, während es aus Sicht der des Autorenteams zentral für die Serie ist, dieses Vorurteil aufzugreifen und der Lächerlichkeit preiszugeben.

 

Grundsätzlich stellte sich zu Beginn auch die Frage, ob man überhaupt Witze über das Verhältnis zweier Völker machen darf, deren Konflikt im Wochentakt Todesopfer fordert. Es liegt jedoch für alle Beteiligten auf der Hand, dass die Serie sich nicht über die Opfer des Konflikts lustig macht, sondern über Feindbilder, die so tief in den Gesellschaften verankert sind, dass es akzeptabel ist oder sogar gefeiert wird, jemanden auf der anderen Seite zu töten. Dieser Zustand verdient jeden Witz, der uns eingefallen ist.


Dolma Diaries
Oliver Müser ist Projektleiter von »Dolma Diaries«. Die Candid Foundation plant noch in diesem Jahr die ersten Folgen der gemeinsamen Comedy-Serie für den Südkaukasus zu drehen. Wenn Sie Anregungen haben oder das Projekt unterstützen möchten, wenden Sie sich gerne an: om(at)candid-foundation.org.

Von: 
Oliver Müser

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