Mehr als eine Propagandashow ist von der Weltklimakonferenz in Baku ohnehin nicht zu erwarten. Grund genug, die Aufmerksamkeit auf die wirklichen Missstände zu lenken.
Im November wird Aserbaidschan Hunderte von Gästen zur Weltklimakonferenz COP29 begrüßen – nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wird also zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres das wichtigste globale Forum zu Klimawandel und Energiewende an einen Erdölproduzenten vergeben. Auch das massive Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft ab November 2023 hat die Entscheidung der Vereinten Nationen nicht ins Wanken gebracht.
Parallel zur Verfolgungs- und Verhaftungswelle setzt die aserbaidschanische Regierung die Vorbereitungen für die Veranstaltung fort. Präsident Ilham Aliyev lässt sich dabei filmen, wie er das Austragungsareal beucht und die Arbeiten vor Ort verfolgt. Doch was geschieht im Land selbst? Wie wirkt sich die COP29 neben der Zivilgesellschaft auf das Leben der Menschen in Aserbaidschan aus?
Seit 1993 regiert die Familie Aliyev Aserbaidschan, seit 21 Jahren hat Ilham Aliyev die Zügel der Macht fest in der Hand – und hat kein Interesse, irgendetwas daran zu ändern. Die letzten Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan fanden im Februar 2024 statt und waren von ähnlichen Verstößen begleitet wie auch die vorherigen. Zudem ließ Aliyev zum zweiten Mal innerhalb der vergangenen zehn Jahre den Urnengang vorziehen und ließ sich diesmal für sieben weitere Jahre im Amt bestätigen.
92 Prozent standen am Ende zu Buche, dabei hatten sich die insgesamt sechs Gegenkandidaten nicht mal die Mühe gemacht, die Farce eines vermeintlich demokratischen Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Stattdessen überschütteten sie während der Live-Debatten im Staatsfernsehen den »siegreichen Führer Ilham Aliyev« mit Lobeshymnen.
Aliyevs Gegenkandidaten machten sich nicht mal die Mühe, die Farce eines vermeintlich demokratischen Wettbewerb aufrechtzuerhalten
Dass er de facto die Macht von seinem Vater Heydar geerbt hat, weiß Aliyev rhetorisch zu verschleiern und fabuliert, dass sein Vorgänger »einen möglichen Bürgerkrieg in Aserbaidschan verhindert hat«. Zuweilen geht Aliyev sogar so weit zu behaupten, dass er und seine Familie Opfer von politischer Verfolgung gewesen seien.
Wer die Drangsalierungen des Aliyev-Regimes am eigenen Leib zu spüren bekommen hat, dem klingen solche Worte wie Hohn in den Ohren. Jedes Jahr sperren die Behörden Journalisten und politische Aktivisten ein – oft in Form von Verwaltungshaft. Ein weiteres Druckmittel neben willkürlichen Anklagen ist das Reiseverbot. Die Folge: Das Heimatland dieser Menschen wird zu einem noch größeren Gefängnis.
Diejenigen, die das Land verlassen mussten, können nicht zurückkehren und müssen das Geschehen in Aserbaidschan weiterhin aus dem Ausland verfolgen – so wie auch ich. Es sind bereits mehr als sechs Jahre vergangen, seitdem ich das letzte Mal mit meinem Medienunternehmen Mikroskop Media aus meinem Heimatland berichtet konnte. Nun ist es im vor dem Hintergrund der Weltklimakonferenz wieder ins Rampenlicht – das bietet die Möglichkeit, wieder auf die zahlreichen Missstände in Aserbaidschan aufmerksam zu machen: Hunderte politische Häftlinge sitzen in aserbaidschanischen Gefängnissen. Nicht weniger sind ins Exil getrieben worden, einige wurden gar Opfer von Anschlägen.
Im Sommer und Herbst laufen die Vorbereitungen auf die COP29 auf Hochtouren. Während Baku und insbesondere das Austragungsareal in und rund um das Nationalstadion hergerichtet werden, macht das Regime die letzten verbliebenen kritischen Stimmen im Land mundtot.
Der Drang, ständig neue Großveranstaltungen ins Land zu holen, führt jedes Mal zu erheblichen Einschränkungen für die Einwohner
Die Führungsriege von Abzas Media, die Journalisten von Toplum TV, die Direktoren von Kanal13 und Kanal11, das Gründungsmitglied der politischen Initiative »Plattform der Dritten Republik«, der Leiter des Zentrums für Wahlbeobachtung und Demokratiestudien – sie alle sowie zahlreiche Friedens- und Arbeitnehmerrechtsaktivisten sind in den vergangenen Monaten verhaftet, angeklagt oder zur Flucht gezwungen worden.
Während sich die aserbaidschanische Regierung darauf vorbereitet, ihr Image mittels Weltklimakonferenz aufzupolieren, warten diejenigen, die seit Monaten in Verwaltungshaft verharren, weiterhin auf die offiziellen Anklagen. Einigen von ihnen drohen nach dem aserbaidschanischen Strafgesetzbuch mindestens zwölf Jahre Freiheitsentzug. Etwa 300 politische Gefangene sitzen derzeit ein. Diejenigen die, die ohnehin ständig Druck und Verfolgung ausgesetzt sind, werden im Zuge der jüngsten Verhaftungswelle nun zusätzlich Opfer staatlicher Verleumdungskampagnen regierungstreuer Medien.
Hinter den Kulissen der COP29-Vorbereitungen treibt das Aliyev-Regime nicht nur die Verfolgung politischer Gegner voran, sondern greift dabei auch ungefragt in den Alltag der Bürger ein, insbesondere der Hauptstadt. Denn der Drang, ständig neue Großveranstaltungen ins Land zu holen, führt jedes Mal zu erheblichen Einschränkungen. Bei einem Ereignis von der Tragweite der Weltklimakonferenz ist davon auszugehen, dass nicht nur die Absperrungen im Stadtgebiet weitläufiger ausfallen als bei dem seit 2016 jährlich stattfindenden Gastspiel der Formel 1. Zugang und Bewegungsfreiheit werden ebenso beschnitten – sicher mit Verweis auf Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere für hochrangige Gäste.
Völlig unabhängig davon, was diese Weltklimakonferenz tatsächlich inhaltlich erreichen kann, steht bereits ein Ergebnis fest: Das Aliyev-Regime wird auch in Zukunft prestigereiche Großveranstaltungen ins Land holen, sich als zukunftsgewandtes Land inszenieren – und im selben Atemzug jeglichen Dissens im Keim ersticken. Was wir nicht wissen: Wann Menschen wie ich endlich wieder ihrer Arbeit nachgehen, über Missstände berichten und in ihre Heimat zurückkehren können.
Fatima Karimova ist eine aserbaidschanische Journalistin. Sie und ihr Mann haben 2018 im lettischen Exil das unabhängige Nachrichtenportal Mikroskop Media gegründet. Mittlerweile leben und arbeiten die beiden in Berlin.