Präsident Javier Milei nimmt Torah-Lesekurse und ist von Israel fasziniert. Was bedeutet das für Argentiniens jüdische Gemeinschaft, die fünftgrößte der Welt?
Der israelisch-palästinensische Konflikt diente in Argentinien immer dazu, unterschiedliche politische Positionen auf die internationale Ebene zu übertragen. So haben der Hamas-Angriff am 7. Oktober und die anschließende israelische Invasion im Gazastreifen nicht nur die wichtigen jüdischen und arabischen Minderheiten in Argentinien weiter polarisiert, sondern auch die Agenda des gerade erst im Dezember gewählten Präsidenten Javier Milei mitbestimmt.
Für seine erste Auslandsreise wählte Milei – wie bereits sein Vorgänger Alberto Fernández – Israel. Kaum war er am Ben-Gurion-Flughafen aus der Maschine gestiegen, sprach er sich beim Empfang durch Außenminister Israel Katz für die Verlegung der argentinischen Botschaft nach Jerusalem aus. Allerdings soll der ausgewählte Ort in Westjerusalem liegen, dem Teil mit einer jüdischen Mehrheit, der auch die Knesset beherbergt.
Nur fünf Staaten unterhalten ihre Botschaft in Jerusalem: Honduras, Guatemala, Kosovo, Papua-Neuguinea und die Vereinigten Staaten. Mit den oben genannten Ausnahmen befinden sich die übrigen Botschaften in Tel Aviv oder Herzlia – so bislang auch die diplomatische Vertretung Argentiniens.
Obwohl diese Verlautbarungen als die pro-israelischste Haltung eines argentinischen Staatsoberhaupts gesehen werden können, unterstreichen sie eher eine kontinuierliche Politik der Nähe zu Israel. Ein Kurs, den die letzten drei Amtsinhaber Mauricio Macri, Alberto Fernandez und Javier Milei allesamt teilen. Die Kehrtwende im vergangenen Jahrzehnt soll sich vor allem von der Ära Cristina Kirchner (2007-2015) abgrenzen. In die Amtszeit der Peronistin fiel die Unterzeichnung einer umstrittenen Absichtserklärung mit Iran – ein Tiefpunkt im Verhältnis zu Israel.
Für seine erste Auslandsreise wählte Milei – wie bereits sein Vorgänger Alberto Fernández – Israel
Die Befürworter dieser Kooperation hatten damals argumentiert, dass die Vereinbarung zwischen dem argentinischen und dem iranischen Außenminister darauf abzielte, die Verurteilung iranischer Bürger wegen Terroranschlägen in Argentinien voranzutreiben. Die Gegner befürchteten genau das Gegenteil: dass solche Ermittlungen in den Aktenschränken verschwinden sollten.
Diese gesamte politisch-religiöse Situation steht im Zusammenhang mit dem bevorstehenden 30. Jahrestag des Terroranschlags auf die argentinisch-jüdische Organisation »Asociación Mutual Israelita Argentina« (AMIA) vom 18. Juli 1994, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen. Wie auch beim Anschlag auf die israelische Botschaft im Jahr 1992 bleiben die Ermittlungen bis heute echte Aufklärung schuldig. Trotz Anklage und Haftbefehlen ist immer noch nicht mit Sicherheit geklärt, ob und in welchem Maße etwa die Hizbullah und Iran in den größten Terroranschlag der argentinischen Geschichte involviert waren.
Auch darüber hinaus verbindet Israel und Argentinien eine lange, komplizierte Geschichte. Obwohl sich Buenos Aires 1947 bei der Abstimmung über den UN-Teilungsplan enthielt, entsandte man als eines der ersten Länder eine diplomatische Delegation in den entstehenden jüdischen Staat. Die erste Regierung von Juan Domingo Perón, der bereits 1947 die Gründung eines jüdischen politischen Zweigs des Peronismus gefördert hatte, beschloss damals, argentinische Diplomaten jüdischer Herkunft nach Israel zu entsenden. Bereits in der Verfassung von 1949 hatte der Peronismus das Verbot von Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit in der Verfassung verankert. Die Beziehungen zu Israel blieben ausgezeichnet – bis Präsident Perón 1955 durch einen Militärputsch gestürzt wurde.
Später sah sich die gestürzte peronistische Regierung dem Vorwurf ausgesetzt, einen geheimen Fluchtplan für Kriegsverbrecher aus dem Dritten Reich entwickelt zu haben. Ein nachweislich Perón oder seinem Kabinett zuzuordnender Befehl ist aber nie zutage getreten. Ohnehin reisten die meisten der untergetauchten NS-Kriegsverbrecher unter falschem Namen ein und versuchten, nicht viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als Mossad-Agenten während der Präsidentschaft von Alberto Frondrizi im Jahr 1960 Adolf Eichmann entführten, konnten die Israelis kaum glauben, dass einer der Architekten des Holocaust in einer derart heruntergekommenen Bruchbude in einem Vorort von Buenos Aires gehaust hatte.
Mileis Herangehensweise an die argentinische jüdische Gemeinschaft selbst unter den eigenen Anhängern umstritten
Mileis Ausrichtung auf Israel vervollständigt auch einen Ansatz des argentinischen Präsidenten gegenüber dem Judentum, der einige Jahre zurückreicht. Der an einer traditionellen katholischen Schule ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler war eigener Aussage nach nie religiös gewesen, bis er 2017 nach dem Tod seines Hundes Conan eine tiefe persönliche Krise durchlitt. Der Journalist Juan González berichtet in seiner Milei-Biografie »El Loco«, zu Deutsch: »Der Verrückte«, über den Zusammenhang zwischen Politik, Religion und dem verstorbenen englischen Mastiff, den Milei hat klonen lassen und durch den er glaubt, mit Gott kommunizieren zu können.
Im Juni 2021 begann Milei, Tora-Lesekurse bei Shimon Axel Wahnish, dem Oberrabbiner der marokkanisch-jüdischen Gemeinde in Argentinien, zu besuchen. Wahnish wurde auch als nächster argentinischer Botschafter in Israel ausgewählt, obwohl er über keinerlei Erfahrung im diplomatischen Dienst verfügt.
Sobald er zum Präsidenten gewählt wurde, unternahm Milei seine erste Reise mit religiösem Hintergrund: Er flog nach New York ans Grab von Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994). Der »Rebbe« der chassidischen Chabad-Bewegung war Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass die Übergabe aller von Israel eroberten Gebiete – selbst, wenn sie verhandelt werden sollte – verboten sei. Denn die Rückgabe würde gegen das jüdische Religionsgesetz verstoßen und das Leben aller Juden im »Eretz Israel« gefährden.
Milei drückte auch seinen Wunsch aus, zum Judentum zu konvertieren (obwohl er bei der Vereidigung seinen Schwur mit der Hand auf dem Neuen Testament ablegte). Solche vollmundigen Ankündigungen sind Teil von Mileis Politikstil. Mit den Vorschriften des Judentums scheint sich Milei indes nur oberflächlich beschäftigt zu haben. Die Legislaturperiode des argentinischen Parlaments eröffnete er etwa am Schabbat, dem traditionellen jüdischen Ruhetag. Lautstarke Unterstützung der Besatzungspolitik der gegenwärtigen israelischen Regierung gehört dagegen eher zu seinem politischen Repertoire.
Mileis Herangehensweise an die argentinische jüdische Gemeinschaft (die fünftgrößte der Welt) ist unter den eigenen Anhängern, aber auch seinen politischen Gegnern umstritten. Die Angst eines Teils der jüdischen Gemeinschaft beruht auf der Sorge, dass die argentinische Gesellschaft etwa die drastische Sparpolitik, die Milei angekündigt hat, mit dem Judentum oder ihrer örtlichen jüdischen Gemeinschaft in Verbindung bringen könnte, was sie letztendlich der Gefahr antisemitischer Übergriffe aussetzt.
Ezequiel Kopel ist 1978 in Buenos Aires geboren und studierte Journalismus, Fotografie und Film. Er lebte mehr als ein Jahrzehnt im Nahen Osten und schreibt unter anderem für Publikationen wie Le Monde Diplomatique, Nueva Sociedad und Panamá Revista.