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Libyen, die Türkei und TRT Deutsch

Erdoğan auf allen Kanälen

Analyse
Libyen, die Türkei und TRT Deutsch
Berichterstattung von TRT World aus Libyen Screenshot TRT World

Seit Mitte Januar sendet der deutsche Ableger des Nachrichtensenders TRT World. Die Berichterstattung zum Libyen-Konflikt lässt erahnen, welche Strategie der türkische Staatsfunk verfolgt.

Bereits vor mehreren Monaten kündigte Ibrahim Eren, seines Zeichens seit 2017 Geschäftsführer von TRT World, den baldigen Sendestart von TRT Deutsch via Twitter an. Die Ankündigung war mit einem knapp dreiminütigen Video unterlegt, das die türkische Militäroffensive in Nordsyrien rechtfertigte. Musikalische Untermalung, animierte Grafiken und der Einstieg »Stell dir vor, dein Land ist seit über dreißig Jahren mit terroristischen Angriffen konfrontiert…« vermittelten einen ersten Eindruck des zu erwartende Programms von TRT Deutsch.

 

Mitte Januar startete der deutsche Ableger nun mit einer Beta-Version und ist neben einer eigenen Website auf den Social-Media-Kanälen Instagram, Facebook sowie YouTube aktiv. Erwartungsgemäß wird die Berichterstattung auf der Videoplattform YouTube das Kernstück der Berichterstattung stellen.

 

Im Vergleich zu Konkurrenten, aber auch zu Schwesterprodukten, ist TRT Deutsch auf seinen Kanälen noch verhältnismäßig inaktiv.

 

Im Vergleich zu Konkurrenten, aber auch zu Schwesterprodukten, ist TRT Deutsch auf seinen Kanälen noch verhältnismäßig wenig aktiv. Die Website besteht zu einem großen Teil aus Artikeln, die Agenturmeldungen widergeben. Der YouTube-Kanal ist mit ein-bis dreiminütigen Beiträge bestückt, die sich beispielsweise mit der Lage in Iran oder den Bränden in Australien beschäftigen. Des Weiteren finden sich dort skurril-anmutende Soft-News mit Titeln wie »Papst küsst Nonne« oder »Wie kann man Flugangst überwinden?«. Ungewöhnlich sind Videos solcher Art nicht. Der russische Sender RT, dem nicht nur eine namentliche Ähnlichkeit zu TRT nachgesagt wird, platziert Absurdes aus dem Alltag oder menschelnde Nachrichten direkt neben Artikel mit politischer Botschaft.

 

Obwohl das Programm bis zum jetzigen Zeitpunkt überschaubar ist, lassen sich Ziele und Inhalte des vom türkischen Staat finanzierten Programms bereits jetzt prognostizieren. Anhand der Berichterstattung des Muttersenders TRT World zum Bürgerkrieg in Libyen lassen sich Muster erkennen, die voraussichtlich auch beim deutschen Ableger greifen werden.

 

Fraglos ist die Vermittlung einer türkischen Perspektive, und damit vor allem die Darstellung Recep Tayyip Erdoğans, ein zentrales Anliegen von TRT World. In außenpolitischen Angelegenheiten gilt es hier, Erdoğan als legitimen und unerlässlichen Akteur auf dem internationalen Parkett zu inszenieren. So ist Erdoğan in Beiträgen von TRT World zum Bürgerkrieg in Libyen wenig überraschend der Akteur mit den meisten Sprechanteilen. Nur dem libyschen Ministerpräsidenten Fayez Al-Serraj wird aufgrund eines langen Einzelinterviews ähnlich viel Sendezeit zugestanden. Klammert man dieses Interview aus, wird aber weder Serraj (inklusive anderer Akteure der Regierung in Tripolis) noch seinem Gegenspieler General Khalifa Haftar so viel Platz eingeräumt wie dem türkischen Präsidenten.

 

Erdoğan wird auf TRT World als das Puzzlestück inszeniert, was bis jetzt zur Lösung des Libyen-Konflikts gefehlt hat.

 

Erdoğan wird auf TRT World als jenes Puzzlestück inszeniert, was zur Lösung des Konflikts gefehlt hat. Erdoğan, dessen wirtschaftliche Interessen im Programm nicht geleugnet, aber als eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten dargestellt werden, führt die Inszenierung als Friedensstifter der Region weiter und wird mit der Botschaft zitiert, »wir wollen Freunde gewinnen, keine Feinde schaffen.«

 

Die Wirkmacht einer solchen Darstellung wird stärker, wenn sie mit einer binären Ansicht auf außenpolitische Krisen untermauert wird. Ein schwarz-weißes Weltbild dient der Simplifizierung und soll in dem hier dargestellten Fallbeispiel langfristig belegen, dass die Türkei auf der richtigen Seite steht. Die libysche Regierung um Fayez Al-Serraj wird auf TRT World fast ausschließlich mit dem Zusatz »von der UN unterstützt« präsentiert. Diese Zuschreibung ist sachlich korrekt. Die ständige Wiederholung, teilweise mehrmals in einem Bericht, erinnert dabei jedoch vor allem an klassische Propagandatechniken.

 

Ohnehin zeigen sich in der Berichterstattung zum Bürgerkrieg in Libyen häufig klassische Propagandamerkmale. TRT World arbeitet mit starken Personalisierungen und zieht diese häufig einer sachbezogenen Berichterstattung vor. Entweder beinhalten die Personalisierungen Einzelpersonen der Zivilgesellschaft als Opfer des Kriegs oder sie überzeichnen politische Akteure als Aggressoren oder Helden.

 

Soll TRT das Vertrauen in westliche Institutionen und Öffentlichkeiten untergraben?

 

Weitere relevante Propagandatechniken sind in diesem Kontext unter anderem eine einseitige Darstellung von Konflikten, die Präsentation nationaler Symboliken oder Versprechungen beziehungsweise Sanktionen, wenn bestimmte politische Handlungen (nicht) getätigt werden. Diese Merkmale lassen sich in den meisten Beiträgen von TRT World zum Libyen-Konflikt finden. Whataboutism, also das Ablenken von der eigentlichen Sachlage durch die Einführung eines neuen Arguments, wie er dem russischen Medium RT häufig vorgeworfen wird, ist hingegen nur in einem von 20 Beiträgen erkennbar.

 

Dass die Betonung von Konflikten in der Kriegsberichterstattung besonders hoch und in fast allen Beiträgen prägnant ist, überrascht nicht. Neben den prominenten Unterstützern der Serraj-Regierung, wie Erdoğan selbst, sendet TRT World kürzere Beiträge aus Kriegsgebieten in Libyen. Libysche Soldaten, die gegen die Haftar-Milizen kämpfen, werden an der Front interviewt und die zerstörerischen Folgen des Krieges durch Journalisten vor Ort präsentiert. Die Berichterstattung knüpft auch hier an Propagandatechniken an, indem sie vor allem an die Emotionen und die Menschlichkeit ihres Publikums appelliert.
Neben der Darstellung der aktuellen Gegebenheiten des Konflikts fließen auch im Rahmen der Berichterstattung zum Bürgerkrieg in Libyen Aspekte ein, die zu Grundpositionen im von Erdoğan propagierten Weltbild zählen und beim Publikum verankert werden sollen. Dazu gehört zum Beispiel die Stilisierung Griechenlands zum dauerhaften Antagonisten der Türkei.

 

Die Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union sind nicht nur diesen Konflikt stark belastet. Das lässt die These zu, dass TRT auch eine Destabilisierung im Vertrauen in westliche Institutionen und Öffentlichkeiten zum Ziel hat. Bei Teilen des Publikums scheint diese Strategie zu wirken. So kommentiert ein Rezipient unter einem Video: »In den westlichen Mainstream-Medien bekommt man diese Seite der Geschichte nie zu hören.«

 

Die größte Wirkmacht kann ein Sender wie TRT dann entfachen, wenn unübersichtliche außenpolitische Krisen auftreten.

 

Es ist zu vermuten, dass TRT sich am ehesten mit Akteuren wie der BBC oder auch dem früheren Al-Jazeera verglichen sehen würde. Die ideologische Prägung sowie die gesendeten Inhalte verweisen allerdings in eine andere Richtung. Der Vergleich zum russischen Medium RT Deutsch liegt nahe und ist bei näherer Betrachtung zumindest teilweise auch zulässig. TRT Deutsch erinnert in seiner digitalen Erscheinungsweise und vor allem seiner ideologischen Prägung an sein russisches Pendant. Bemerkenswerterweise sind RT und TRT die einzigen internationalen Nachrichtensender, die einen deutschsprachigen Kanal gegründet haben. Deutlich wird, dass RT und TRT Destabilisierung und das Sähen von Zweifeln in westlichen Öffentlichkeiten als eines ihrer Hauptziele auserkoren haben.

 

Ob Erdoğan TRT Deutsch in künftigen Wahlkämpfen zudem als strategisches Mittel zur Mobilisierung von in Deutschland lebenden Wahlberechtigten nutzt, bleibt allerdings abzuwarten. Angesichts vergangener Wahlkampfauftritte Erdoğans in Deutschland ist eine solche Strategie zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen.

 

Die größte Wirkmacht kann ein Sender wie TRT dann entfachen, wenn unübersichtliche außenpolitische Krisen auftreten. Ein klares Freund-Feind-Schema, Personalisierungen, Emotionalisierungen und Simplifizierungen werden besonders bei komplexen Vorgängen vom Publikum angenommen. Die verschiedenen Weltbilder, die internationale Nachrichtensender in ihren Programmen verbreiten, konkurrieren dabei miteinander. Sofern sie propagandistisch geprägt sind, wollen sie bei ihrem Publikum verstärkt überzeugend wirken. Die Vielzahl an medialen Angeboten trägt hier jedoch erwartungsgemäß nicht dazu bei, dass sich eine Mehrheit hinter einem gemeinsamen Weltbild versammelt. Viel mehr sind weiterhin Fragmentierungs- und Polarisierungsprozesse zu erwarten, die durch ein Nebeneinander medialer Echokammern geprägt sind.


Lennart Hagemeyer promoviert an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema »Propagandistische Weltbilder von internationalen Nachrichtensendern«.

Von: 
Lennart Hagemeyer

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