Der Friedensvorschlag von Ehud Olmert und Nasser Al-Kidwa knüpft an frühere Friedensbemühungen an, setzt aber bei Landtauschplänen und dem Regierungsmodell für den Gazastreifen neue Akzente.
Jenseits der weltweiten Aufmerksamkeit über die stündlich einlaufenden Schlagzeilen zum Krieg zwischen der Hamas und Israel im Gazastreifen und der befürchteten Eskalation im Libanon zieht ein ungewöhnliches Duo durch die europäischen Hauptstädte, um einen neuen Friedensplan für den Nahostkonflikt vorzustellen: Ehud Olmert, ehemaliger israelischer Premierminister von 2006 bis 2009, und Nasser Al-Kidwa, Neffe des früheren PLO-Vorsitzenden Yasir Arafat und ehemaliger Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sowie früherer palästinensischer Vertreter bei den Vereinten Nationen.
Der Vorschlag von Olmert und Kidwa, den die beiden bereits im Sommer 2024 ausarbeiteten und nun in diplomatischen Hinterzimmern vorstellen, ist ein ambitionierter Versuch, den Friedensverhandlungen um den jahrzehntelangen Nahostkonflikt neuen Schwung zu verleihen. Aufbauend auf den Verhandlungen zwischen Olmert und dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas im Jahr 2008, formuliert der Entwurf einen Fahrplan, der viele der seit Jahren kontroversen Punkte im Konflikt – territoriale Grenzen, die Frage Jerusalems und eine integrierte Struktur der Palästinensischen Gebiete – behandelt. Während der Vorschlag unter westlichen Politikern auf vorsichtigen Optimismus stoßen könnte, erweckt er sowohl in israelischen als auch palästinensischen politischen Kreisen wenig Begeisterung.
Aktuelle Umfragen zeigen, dass ein größer werdender Teil der israelischen Gesellschaft Premierminister Benjamin Netanyahus Umgang mit der Geiselkrise und dem Kampf im Gazastreifen zunehmend ablehnt und auch die Bevölkerung im Gazastreifen sieht die Hamas nach einem Jahr Krieg verstärkt in einem kritischen Licht. Unter Palästinensern und Israelis verhärten sich die Gegensätze zwischen zwei Lagern: einem Lager der Hardliner und des Extremismus, die sich Vergeltung und Sieg auf die Fahnen geschrieben haben, und einem Lager, das sich nach Frieden und Koexistenz sehnt. Obwohl Olmert und Kidwa nicht die Regierungspolitik der jeweiligen Seite vertreten und kein aktives politisches Amt bekleiden, verdient ihr öffentlicher Friedensvorstoß und ihr Angebot möglicher Alternativen Aufmerksamkeit.
Im Zentrum des Vorschlags steht die Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967. Kalter Kaffee in neuen Tassen, höhnt es vielerorts – und es stimmt: die grundsätzlichen Ideen in dem eineinhalbseitigen Papier knüpfen an frühere Friedensbemühungen an. Doch die Herangehensweise im Olmert-Kidwa-Friedensvorschlag hebt sich vor allem durch einen pragmatischen Ansatz bei vorgeschlagenen Landtauschplänen sowie ein neu gedachtes zukünftiges Regierungsmodell im Gazastreifen hervor.
Grenzen, Territorium und Korridore
Der Vorschlag sieht vor, dass Israel weitestgehend die Grenzen von 1967 – der politischen Realität am Vorabend des Sechstagekrieges entlang der sogenannten grünen Linie – als Grundlage für die Schaffung eines palästinensischen Staates anerkennt und entspricht damit dem internationalen Konsens sowie dem Ausgangspunkt früherer Verhandlungen wie den Clinton-Parametern und den Camp-David-Gesprächen im Jahr 2000. Das Grundprinzip der 1967er-Grenzen und der Aussicht auf palästinensische Staatlichkeit im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung werden von der PLO und der Palästinensischen Autonomiebehörde ausdrücklich akzeptiert, von der israelischen Regierung jedoch fortgesetzt verweigert und erst jüngst auch von der israelischen Knesset mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Olmert und Kidwa greifen zudem einen Vorschlag wieder auf, den Olmert während des Wahlkampfes 2006 und im Zuge seiner Amtszeit als Premierminister auch Präsident Abbas unterbreitet hatte: den Landtausch eines Teils des Westjordanlandes gegen ein gleich großes israelisches Gebiet. 4,4Prozent des Westjordanlands, vorrangig Ballungsgebiete völkerrechtswidriger israelischer Siedlungen, die sich über Jahre und Jahrzehnte in eigene Kleinstädte entwickelt haben, sollen von Israel annektiert werden. Im Gegenzug sollen Gebiete in gleicher Größe aus dem Kernland Israel und entlang der grünen Linie an den zukünftigen palästinensischen Staat übergehen, um eine territoriale Kohärenz des palästinensischen Staates zu bewahren.
Der sogenannte Konvergenz-Plan von Olmert wurde niemals umgesetzt. 2006 brach der Libanonkrieg aus und bei den israelischen Wahlen 2009 löste eine rechtsgerichtete Regierung unter Führung von Benjamin Netanyahu Olmerts Regierungskoalition ab – der Olmert-Plan versank in der Schublade.
Angesichts der Eskalation im Nahostkonflikt haben Kidwa und Olmert die über fünfzehn Jahre alte Landtausch-Karte wieder entstaubt und als Grundlage für ihren vagen Friedensvorschlag herangezogen. Teil des Landtausches soll laut den beiden auch ein Korridor sein, der den Gazastreifen mit dem Westjordanland verbindet, um die geographische Trennung der palästinensischen Gebiete zu überwinden. Glaubt man den beiden früheren Staatsmännern, würde eine solche Verbindung in Zukunft nicht nur die wirtschaftliche und soziale Integration fördern, sondern auch politische Stabilität ermöglichen.
Die Frage der Heiligen Stadt
Für eine der schwierigsten Fragen im israelisch-palästinensischen Konflikt – den Status Jerusalems – finden die beiden auch eine Antwort. Nach ihrer Vision sollte der Großraum Jerusalem entsprechend dem Status quo ante von 1967 in einen israelischen und einen palästinensischen Teil aufgeteilt werden. Die Altstadt von Jerusalem würde von einer internationalen Treuhänderschaft verwaltet, die fünf Staaten umfassen soll, darunter Israel und Palästina. Die besondere historische Rolle des Haschemitischen Königreichs Jordanien in Bezug auf Jerusalem wird in dem Dokument gewürdigt. Aufbauend auf Olmerts Plan von Anfang der 2000er könnten die anderen beiden Staaten Saudi-Arabien und die USA sein.
Der Ansatz erkennt die tief verwurzelten und sich überschneidenden Ansprüche auf die Stadt an. Durch die internationale Verwaltung der Altstadt soll verhindert werden, dass ein Land exklusive Souveränität über die heiligen Stätten beanspruchen kann, und die freie Religionsausübung für Juden, Muslime und Christen zugesichert werden. Jüdische Viertel, die nach 1967 erbaut wurden, sollen unter israelischer Kontrolle bleiben, während arabische Viertel, die vor 1967 nicht zu Israel gehörten, Teil der palästinensischen Hauptstadt Jerusalem werden.
Zukünftige Verwaltung des Gazastreifens
Vor dem Hintergrund des andauernden Krieges im Gazastreifen spielt die Zukunft Gazas eine besondere Rolle in dem vorgebrachten Vorschlag. Dabei stützt er sich explizit auf einen dreistufigen Waffenstillstandsplan, der von der Biden-Administration vorgestellt und vom UN-Sicherheitsrat im Juni Unterstützung erhielt. Für die zukünftige Regierungsführung der Enklave schlagen Olmert und Kidwa die Einrichtung eines »Rats der Kommissare« vor, der aus technokratischen, nicht-parteipolitischen Vertretern zusammengesetzt sein soll und die Verwaltung des Küstengebiets nach dem Ende der Kampfhandlungen und einem Rückzug der israelischen Armee übernehmen könnte, um das Gebiet zu verwalten und den Wiederaufbau zu beaufsichtigen. Dieser Rat solle »organisch« mit der PA verbunden sein und Wahlen (im Gaza-Streifen und dem Westjordanland) innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre vorbereiten.
Dieser Zeitraum nach Kriegsende müsse genutzt werden, um die Kriegsfolgen zu verarbeiten und den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur voranzutreiben – wofür Kidwa und Olmert eine internationale Geberkonferenz vorschlagen. Eine »Vorübergehende Arabische Sicherheitspräsenz« (Temporary Arab Security Presence, TASP) soll in Gaza stationiert werden, um Angriffe auf Israel zu verhindern und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
Zum aktuellen Zeitpunkt scheint es unwahrscheinlich, dass sich die israelische Regierung – auch nach erklärtem Sieg über die Hamas und einem Ende der Kampfhandlungen – für einen militärischen Rückzug aus dem gesamten Territorium des Gazastreifens entscheiden wird. Erklärungen von Premierminister Netanyahu und einiger seiner Minister bestätigen die Absicht, entscheidende Teile des Küstengebiets vor allem entlang der Grenzen als Pufferzonen und Operationsbasis zu halten. Arabische Länder davon zu überzeugen, in Koordinierung mit und zumindest aus palästinensischer Sicht in den Diensten der israelischen Regierung in Teilen des mitunter vollständig zerstörten Gazastreifens Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten – vorrangig Sicherheit für Israel – und den Wiederaufbau anzuleiten, könnte ein mühsamer Akt werden.
Über die letzten zwölf Kriegsmonate hat sich die »arabische Straße« in Nachbarländern wie Jordanien klar mit dem Kampf der Palästinenser identifiziert und eine Beteiligung an den »Aufräumarbeiten« des Krieges würde den innenpolitischen Druck auf einige arabische Regime erhöhen. Ausgehend von der Prämisse, dass die Hamas als Organisation, Bewegung und Ideologie im Gazastreifen nicht zerstört werden wird, stellt sich hier auch die Frage, wie die vorgeschlagene TASP mit Kontakt zur Hamas oder sogar bewaffneten Auseinandersetzungen mit ihr umgehen würde.
Entmilitarisierte Staatlichkeit
Zu einem Modell der Zwei-Staaten-Lösung gehört ohne Zweifel auch ein lebensfähiger palästinensischer Staat an der Seite Israels. Dieser soll nach den Vorstellungen von Olmert und Kidwa entmilitarisiert sein. Bewaffnete Sicherheitskräfte wären nur für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung innerhalb des Staatsgebiets zugelassen. Dies solle Israels Sicherheitsbedenken Rechnung tragen und die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Konflikte reduzieren.
Die Idee einer Entmilitarisierung wurde bereits in früheren Friedensplänen vorgeschlagen und entspricht weitestgehend der aktuell bestehenden Realität der palästinensischen Sicherheitskräfte. Diese sind heute nur in dem knapp 20 Prozent des Westjordanlandes umfassenden A-Gebiet tätig und koordinieren sich auch dort mit israelischen Stellen bei regelmäßigen Razzien und Militäroperationen. Auf die Frage der Sicherheitskoordination und dem Recht Israels, auch in einem zukünftigen palästinensischen Staat militärisch operieren zu dürfen – oder die Möglichkeit palästinensischer Sicherheitskräfte, gegen Angriffe radikaler Siedler vorzugehen – gehen Olmert und Kidwa nicht ein.
So nachvollziehbar es auch wäre, dies aufrechtzuerhalten, löst es eines der Grundprobleme der Illegitimität der PA und ihrer Sicherheitskräfte in den Augen vieler Palästinenser nicht, die aus ihrer Sicht nicht dem Schutz der eigenen, sondern der Durchsetzung israelischer Sicherheitsinteressen dienen. Die Bedeutung des Begriffs Souveränität für einen palästinensischen Staat der Zukunft wird sicherlich Gegenstand ausführlicher Debatten. Für die Grenze des Staates Palästina entlang des Jordan-Flusses – eine neue Idee – schlagen Ehud Olmert und Naser Al-Kidwa die Stationierung internationaler Sicherheitskräfte für die Gewährleistung von Stabilität vor.
Echo und Erfolgsaussichten
International hat der Vorschlag zwar keine große Resonanz, aber vereinzelt vorsichtigen Optimismus hervorgerufen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell würdigte in einer Rede vor der Arabischen Liga im September den Vorschlag als konstruktive Initiative für den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern. Aus israelischen und palästinensischen Regierungskreisen heißt es nur, Olmert und Kidwa vertreten als frühere Staatsmänner weder eine Regierungsposition noch den Willen der palästinensischen oder israelischen Bevölkerung.
Premierminister Netanyahu lehnt größere Kompromisse in Bezug auf Jerusalem und sicherheitspolitische Fragen ab und für seine rechtsextremen Koalitionspartner wie den Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir, der regelmäßig für eine Zerschlagung der PA wirbt, sind nicht nur territoriale Zugeständnisse inakzeptabel, sondern die Schaffung eines palästinensischen Staates allgemein eine existenzielle Bedrohung für den Staat Israel.
Präsident Abbas hält zwar weiterhin an dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der Grenzen von 1967 fest, betonte in der Vergangenheit jedoch wiederholt, dass sowohl die Frage des palästinensischen Rückkehrrechts als auch der vollständigen Kontrolle über Ostjerusalem als Hauptstadt für die Palästinenser nicht verhandelbar seien. Auch der vorgeschlagene Verbleib einiger israelischer Siedlungen im Westjordanland inklusive Ostjerusalem im Rahmen des Landtausches ist in den Augen vieler Palästinenser keine Option.
Der Olmert-Kidwa-Plan baut auf vergangenen Modellen und Überlegungen auf, fügt aber Vorschläge für internationale Sicherheitsmechanismen und konkrete Ansätze für einen Wiederaufbau und die Integration des Gazastreifens vor. Die kooperative Verwaltung für Jerusalem könnte weitgehende internationale Akzeptanz finden, aber zusätzlich zu den komplexen Realitäten vor Ort stehen einer Umsetzung starke politische Widerstände auf beiden Seiten im Weg. Dennoch unterstreicht der Plan die Notwendigkeit für Dialog und neue Denkansätze, wenn der Nahostkonflikt jemals nachhaltig gelöst werden soll.
Simon Engelkes leitet seit Februar 2024 das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Zuvor war er als Referent in der Abteilung Naher Osten und Nordafrika tätig.