Amtsinhaber Hassan Ruhani ist ein Herausforderer erwachsen: Irans Erzkonservative setzen ihre Hoffnung auf Ebrahim Raisi – nicht nur für die Präsidentschaftswahlen im Mai.
Noch zu Beginn des Jahres rechneten die meisten Beobachter damit, dass Amtsinhaber Hassan Ruhani bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen am 19. Mai die erfolgreiche Wiederwahl gelingen dürfte. Zwar ist Ruhani kein Politiker, der unter seinen Anhängern Begeisterung entfacht, wie beispielsweise der einstige Reformer und Ex-Präsident Mohammad Khatami. Auch der Popularitätsschub, den der Präsident nach Abschluss des Nuklearabkommens zwischen Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland im Sommer 2015 erfahren hat, war nicht von Dauer.
Obwohl Ruhani durchaus positive Zahlen bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes präsentieren kann, zeigen sich viele Iraner dennoch von seiner bisherigen Amtszeit enttäuscht. So ist es Ruhani gelungen, nach seinem Amtsantritt die Inflationsrate im Land von 40 Prozent auf einen einstelligen Wert zu senken und das Wirtschaftswachstum zu steigern. Diese Erfolge hängen aber zu einem nicht unerheblichen Teil mit dem Anstieg der Ölexporte nach Aufhebung der Nuklearsanktionen zusammen. Der Arbeitsmarkt hingegen hat von diesen Entwicklungen nicht profitiert. Offiziellen Angaben zufolge ist die Arbeitslosigkeit im dritten Quartal des Jahres 2016 auf über 12 Prozent gestiegen
Ebenso haben sich bisher die von der Regierung als Lösung der wirtschaftlichen Probleme angekündigten ausländischen Investitionen in die iranische Wirtschaft seit Inkrafttreten des Nuklearabkommens nicht auf dem erhofften Niveau eingestellt. Ausländische Banken und Firmen fürchten bei Iran-Geschäften gegen weiterbestehende unilaterale US-Sanktionen zu verstoßen, was für Unternehmen und Geldhäuser hohe Geldstrafen durch die USA zur Folge haben könnte. Nicht zuletzt hatte das Staatsoberhaupt, Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, in seiner Ansprache zum iranischen Neujahr am 20. März die Regierung dafür kritisiert, seine Erwartungen und die der Bevölkerung nicht erfüllt zu haben.
Einer aus fünf soll Ruhani die Stirn bieten
Trotz aller Ernüchterung fehlte es den politischen Gegnern Ruhanis jedoch lange Zeit an der notwendigen Geschlossenheit und echten Alternativen, um den Präsidenten in seiner Position zu gefährden. Seit einigen Jahren leidet das Lager der Ruhani-Gegner unter einem Auseinanderdriften der konservativen Kräfte, von denen einige, darunter der einflussreiche Parlamentspräsident Ali Laridschani, sich hinter den Kurs des Präsidenten stellten. Im Gegensatz dazu hatten sich die Unterstützer Ruhanis, eine breite Front bestehend aus Zentristen, Reformern und gemäßigten Konservativen, bereits früh geschlossen hinter den Präsidenten als ihren favorisierten Kandidaten gestellt.
In einem Versuch, ihre inneren Konflikte zu überwinden, gründeten einige konservative Gegner des Präsidenten am 25. Dezember 2016 schließlich die »Volksfront der Kräfte der Islamischen Revolution«. Ihr Ziel: für die anstehenden Wahlen die Ruhani-Gegner auf einen Konsenskandidaten verständigen. Am 6. April präsentierte man schließlich die Namen von fünf präferierten Kandidaten, die die Front unterstützen würde. Vier dieser Kandidaten sollten sich im Wahlkampf schließlich zugunsten desjenigen Prätendenten mit den besten Gewinnaussichten zurückziehen. Als Topkandidat wurde die Liste von Ebrahim Raisi angeführt, einem engen Vertrauten von Revolutionsführer Ayatollah Khamenei, der der Stiftung des Imam-Reza-Schreins in Maschhad vorsteht.
Linientreu und unverbindlich
Raisis Nominierung kam wenig überraschend, denn der Geistliche ist zweifelsohne seit einigen Monaten ein aufstrebender Stern unter den konservativen Vertretern des Establishments. Raisi, der bis zu seiner Ernennung zum Vorsitzenden der Stiftung im März 2016 der Öffentlichkeit kaum bekannt war, blickt auf eine Karriere von über drei Jahrzehnten in der iranischen Judikative zurück. Der Justizapparat gilt als eine Bastion der erzkonservativen Geistlichen innerhalb des Systems. Der 56-Jährige arbeitete über viele Jahre als Staatsanwalt und diente schließlich von 2004 bis 2014 als stellvertretender Oberster Richter Irans, danach von 2014 bis 2016 als Generalstaatsanwalt.
Darüber hinaus ist Raisi auch als Strafverfolger für das Sondergericht für die Geistlichkeit tätig. Dort werden Verfahren gegen Kleriker verhandelt, die das Prinzip der »Herrschaft des Rechtsgelehrten«, die Grundlage der Vormachtstellung des Klerus im politischen System Irans, aktiv infrage stellen. Seit 2006 ist Raisi überdies Mitglied im Expertenrat, ein Gremium von Rechtsgelehrten, das für die Wahl des Revolutionsführers zuständig ist.
Zwar hat Raisi bisher keine Exekutivämter bekleidet hat, dies gleicht der Kleriker, so sehen es seine Befürworter, jedoch durch seine Linientreue und die Nähe zum Revolutionsführer aus. Dies dürfte ihm auch Fürsprache innerhalb der Führungsebene des iranischen Sicherheitsapparats gesichert haben. So wurde auch der Besuch mehrerer hochrangiger Befehlshaber der Revolutionsgarden bei Raisi im Mai vergangenen Jahres als klares Indiz für seine wachsende Rolle im konservativen Establishment des Systems gedeutet. Die Tatsache, dass Raisi im Jahr 1988 für die Hinrichtung tausender politischer Häftlinge verantwortlich gewesen sein soll, macht ihn jedoch außerhalb ultrakonservativer Kreise zu einer kontroversen Figur.
Raisi inszeniert sich vor allem als Anwalt der Armen und Frommen im Land, über seine konkreten politischen Positionen, besonders zur Wirtschaft und Außenpolitik, ist bisher nur wenig Konkretes bekannt. Seine Ansichten dürften jedoch weitgehend die des Revolutionsführers widerspiegeln, der zwar das Atomabkommen unterstützt hat, eine weitreichende politische und wirtschaftliche Annäherung an den Westen jedoch ablehnt.
Über den Schrein in die erste Reihe der Prätendenten
Mit seiner Ernennung zum neuen Vorsitzenden der Stiftung des Imam-Reza-Schreins durch Ayatollah Khamenei stieg Raisi schließlich zum Leiter eines wirtschaftlichen Konglomerats auf, das als eine der einflussreichsten Organisationen des Landes gilt. Für den Revolutionsführer, der wie Raisi aus Maschhad stammt, bedeutet das religiöse Establishment der Stadt einen wichtigen Rückhalt seiner Machtposition. So sicherte Khamenei mit der Ernennung Raisis auch den Einfluss der Maschhad-Fraktion im Expertenrat, um über seine Nachfolge mitzubestimmen. Raisis Schwiegervater, Ayatollah Ahmad Alamolhoda, der als Freitagsprediger in Maschhad und Sachwalter des Revolutionsführers in der Provinz Khorasan-Razavi fungiert, ist ebenso ein prominentes Mitglied unter den Hardlinern im Expertenrat.
Auch der Tod von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, einer der Säulen der Islamischen Republik, im Januar 2017, könnte mit dazu geführt haben, dass sich die Gewichte innerhalb des Gremiums zugunsten der Verbündeten Khameneis aus Maschhad verschoben haben. So gilt Raisi selbst mittlerweile als aussichtsreicher Nachfolgekandidat für das Amt des Revolutionsführers. Mit seinem Werdegang und politischen Positionen könnte sich Raisi durchaus auch für die anderen Machtzentren in der Islamischen Republik, beispielsweise die Revolutionsgarden, als akzeptable Option für die Nachfolge Khameneis empfehlen.
Umso wichtiger ist unter dieser Prämisse, dass Raisi unbeschädigt den Wahlkampf übersteht und ihn idealerweise sogar für sich entscheidet. Als Präsident hätte Raisi die Möglichkeit, notwendige Regierungserfahrung zu sammeln, um dem Revolutionsführer schlussendlich in einem stabilen Übergang nachzufolgen. Wie weit seine Unterstützer bereit sind zu gehen, um Raisi den Wahlsieg zu sichern, ist nur schwer einzuschätzen. Eine Niederlage könnte jedoch die möglichen Ambitionen Raisis nachhaltig gefährden. So wird bereits über eine Disqualifizierung Ruhanis spekuliert, um eine direkte Konfrontation zugunsten Raisis zu vermeiden. Ein solcher Schachzug wäre jedoch äußerst riskant und dürfte nicht ohne Konsequenzen für die Atmosphäre bleiben, in der die Wahlen stattfinden.
Bringt sich der Hoffnungsträger der Ruhani-Gegner in Wirklichkeit für ein anderes Amt in Stellung?
Der Zusammenhalt unter den konservativen Gegnern des Präsidenten ist jedoch weiterhin brüchig und die »Volksfront der Kräfte der Islamischen Revolution« erfasst bei weitem nicht alle Faktionen, die gegen Ruhani mobilmachen. Zwar hat sich auch die als extrem eingestufte »Front des Fortbestands der Revolution« für Ebrahim Raisi als Kandidaten ausgesprochen. Deren geistliches Oberhaupt Ayatollah Mohammad Taghi Mesbah Yazdi soll diesen jedoch Medienberichten zufolge aufgefordert haben, als unabhängiger Kandidat ins Rennen zu gehen. Als einer der fünf Volksfront-Kandidaten hätte sich Raisi verpflichtet, eventuell zugunsten einer der anderen vier Personen zurückzutreten. Bei der Registrierung seiner Kandidatur am 14. April sah sich Raisi schließlich gezwungen seine Unabhängigkeit zu betonen: sowohl von der Volksfront als auch von anderen Parteien.
So besteht weiter das Risiko, dass die Verständigung auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten letztendlich doch scheitern könnte. Einige andere Bewerber haben bereits klargestellt, dass sie sich im Falle einer Bestätigung ihrer Kandidatur durch den Wächterrat, der die Eignung aller Kandidaten überprüft, nicht vorzeitig zurückziehen wollen. Dabei könnte sich das Szenario der letzten Präsidentschaftswahlen 2013 wiederholen. Damals hatte die Zersplitterung der Konservativen Ruhani den Sieg bereits im ersten Wahlgang ermöglicht. In einem solchen Fall bliebe Raisi jedoch auch der vorzeitige Rückzug von der Kandidatur, um einer drohenden Niederlage zu entgehen.
Ein mögliches Szenario wäre jedoch auch, dass Raisi die Kandidatur nicht ernsthaft anstrebt. Dann würde Raisi das derzeitige Medienecho im Vorfeld der Wahlen lediglich dazu nutzen, sein Profil in der Öffentlichkeit zu schärfen, um sich in den kommenden Jahren für höhere Weihen zu empfehlen.