Lesezeit: 9 Minuten
Iranische Medien zum Krieg in der Ukraine

»Wir begehen einen großen strategischen Fehler«

Feature
Presseschau

Regierungsvertreter äußern sich nur spärlich, doch in iranischen Medien wird über die russische Invasion teilweise heftig diskutiert. Befürworter und Kritiker der Regierungslinie werfen sich gegenseitig Verrat vor, haben aber auch eine Gemeinsamkeit.

Zwar äußern sich iranische Regierungsvertreter nur spärlich zum Ukraine-Krieg, doch die offizielle Linie ist klar: Die Ursache liegt in der Politik des Westens – das heißt vor allem USA und Nato. Dies betonten sowohl Revolutionsführer Ali Khamenei auf Twitter und in einer Fernsehansprache am 3. März als auch Präsident Ebrahim Raisi in einem Telefongespräch mit seinem russischen Pendant Wladimir Putin am 24. Februar, dem Beginn der russischen Invasion.

 

Außenminister Hossein Amir-Abollahian gab am selben Tag ebenfalls per Tweet der Nato die Schuld und sprach sich gleichzeitig in Allgemeinformulierungen gegen Krieg aus. Bei einem Treffen mit seinem russischen Gegenüber Sergey Lawrow Mitte März bekräftigten beide zudem die guten bilateralen Beziehungen.

 

In der UN-Vollversammlung stimmt die Islamische Republik in Bezug auf den Krieg in der Ukraine entweder im russischen Sinne ab, so zuletzt gegen den russischen Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat, oder enthält sich, so zum Beispiel bei der Verurteilung der russischen Offensive.

 

Der Fokus der iranischen Diplomatie liegt primär auf den Atomverhandlungen in Wien sowie regionalen Angelegenheiten. In der medialen Berichterstattung nimmt das Kriegsgeschehen jedoch schon einen größeren Raum ein. Hier gilt die Faustregel: Je konservativer das Medium, desto mehr werden russische Narrative und Verschwörungstheorien dargestellt oder gar übernommen.

 

Wie iranische »Russland-Versteher« den Einmarsch verteidigen, erkennt man am Beispiel von Ruhollah Modabber. Im Interview mit der konservativen Zeitung Farikhtegan Ende Februar sowie bei einem Treffen mit einem studentischen Club Anfang März erklärte der »Experte« für Internationale Beziehungen, warum Russland auch die nationale Sicherheit Irans verteidige.

 

»Wer eine neutrale Außenpolitik fordert, der ist entweder unwissend oder auf Seite des Feindes«

 

Modabber zufolge verhalte Russland sich absolut völkerrechtskonform, denn es handle sich um einen Verteidigungskrieg. Die Ukraine agiere nämlich als verlängerter Arm Washingtons – oder Langleys – und sei Teil eines Nato-Erweiterungsplans, der bis an die iranische Grenze führt. In einer ersten Phase sollen nämlich Georgien und die Ukraine, anschließend Finnland, Schweden und Aserbaidschan der Nato beitreten. Pro-ukrainische Demonstrationen in Baku sieht er als Bestätigung seiner Behauptungen: »Denken Sie, dass der aserbaidschanische Diktator Aliyev Demonstrationen zulässt? Warum fanden sie also statt? Weil Aserbaidschan in der zweiten Reihe der neuen Nato-Mitglieder steht.«

 

Um das zu verhindern, ist für ihn alternativlos, Russland zu unterstützen. »Eine Ausweitung der Nato bis an unsere Grenzen ist eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Wer eine neutrale Außenpolitik fordert, der ist entweder unwissend oder auf Seite des Feindes.« Er vergleicht diese mit den »Verrätern« im Ersten und Zweiten Weltkrieg, die mit den Kolonialmächten kollaboriert haben. Eine Rhetorik, die auch in der ultrakonservativen Tageszeitung Keyhan zu finden ist.

 

Doch im Gegensatz zu Regierungsvertretern, die ebenfalls der Nato die Schuld geben, geht Modabber noch deutlich weiter, indem er Wolodomyr Zelensky quasi als Geisel amerikanischer Spezialkräfte beschreibt und Verschwörungstheorien über amerikanische Biowaffen und Russen-tötende ukrainische Neo-Nazis aufgreift. Zudem habe die Ukraine auch bei der Ermordung Qasem Soleimanis im Januar 2020 eine Rolle gespielt.

 

Es gibt allerdings auch Kritik an der pro-russischen Außenpolitik. So bezeichnete Politikwissenschaftler und Journalist Foad Sadeghi in einem Interview mit Ensafnews die iranische Ausrichtung als »großen strategischen Fehler«. Es sei falsch davon auszugehen, dass Russland zu seiner Stärke während des Kalten Kriegs zurückkehrt.

 

Sadeghi hinterfragt auch den grundsätzlichen Nutzen der Loyalität dem Kreml gegenüber

 

Ganz im Gegenteil zeige sich, dass die russische Militärstärke völlig überschätzt werde. »Der Angriff auf die Ukraine ist das Ende Putins«, erklärte er. Dass US-Geheimdienste über die russischen Pläne so exakt im Bilde waren, offenbare die Probleme und Schwäche Russlands. Doch auch er bedient sich Verschwörungstheorien, denn er spricht davon, dass Moskau in eine Falle der USA getappt sei und der ukrainische Präsident Zelensky unter der Kontrolle der CIA stehe.

 

Sadeghi hinterfragt auch den grundsätzlichen Nutzen der Loyalität dem Kreml gegenüber, schließlich toleriert Moskau trotzdem die israelischen Luftangriffe auf iranische Kräfte in Syrien. Außerdem würde Russland auf israelischen Wunsch hin die Atomverhandlungen verzögern oder gar scheitern lassen und beide Länder über ihre Geheimdienste die Islamische Republik beeinflussen: »Wir müssen die Interessen unserer Nation und unserer Revolution vom Einfluss ausländischer Geheimdienste trennen, insbesondere des Mossads und der russischen Dienste FSB und SVR, die ihre eigenen Interessen als die der Islamischen Republik erklären.«

 

Sadeghi plädiert stattdessen für eine Rückkehr zu einer Politik des »Na gharb, na sharq« (Zu Deutsch: weder Westen noch Osten), ein Slogan aus Revolutionszeiten, der in den letzten Jahren immer stärker mit einer strategischen Ausrichtung gen Osten ersetzt wurde.

 

Auch Faeze Hashemi, Tochter des verstorbenen Ex-Präsidenten und politischen Magnaten Akbar Hashemi Rafsanjani, ist bereits häufiger mit deutlicher Kritik an der Führung der Islamischen Republik aufgefallen. Sie warnte, dass Iran auf dem Weg ist, von Russland und China kolonialisiert zu werden.

 

Ali Motahari vergleicht die Berichterstattung iranischer Staatsmedien mit der einer russischen Kolonie

 

Auch aus dem konservativen Lager sind solche Stimmen vereinzelt zu hören. Der ehemalige Abgeordnete Ali Motahari vergleicht die Berichterstattung iranischer Staatsmedien mit der einer russischen Kolonie und spricht ähnlich wie Reformer Sadeghi davon, dass Russland die iranische Regierung infiltriert habe. Für ihn legitimiert eine zukünftige Nato-Mitgliedschaft auch keinen Angriffskrieg: »Die Ukraine muss selbst zwischen dem Westen, Russland oder Blockfreiheit wählen.«

 

Zudem zieht er historische Vergleiche, denn auch Iran litt unter dem russischen Imperialismus. Der Verlust des Kaukasus und die aufgezwungenen Friedensverträge 1814 und 1829 zählten noch heute zu den größten Demütigungen. Um die eigene Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen, sollte die Regierung Motahari zufolge Russlands Invasion verurteilen.

 

Der konservative Ex-Präsident Mahmud Ahmadinejad ist spätestens seit dem Ende seiner Präsidentschaft unberechenbar in seinen öffentlichen Äußerungen. Er gibt inzwischen iranischen Auslandsmedien Interviews, schickt auf Twitter Weihnachtsgrüße und gibt seine Meinung zu politischen, aber auch sonstigen Themen: von Tupacs Geburtstag bis zum Tod des Basketballers Kobe Bryants.

 

In Bezug auf die russische Invasion verurteilte er den »satanischen Krieg« und drückte die Solidarität des iranischen Volkes mit der Ukraine aus. Doch auch hier dürfen Verschwörungstheorien nicht fehlen, denn er sieht im Krieg eine Absprache der Großmächte USA, Russland und China. Dass US-Präsident Biden dem ukrainischen Präsidenten Zelensky Hilfe bei der Evakuation anbot, interpretiert Ahmadinejad als eines der Indizien für diese Kooperation.

Von: 
Marc Imperatori

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.