Lesezeit: 7 Minuten
»Türkisch für Feinschmecker«

Sprachen sind zum Kochen da!

Feature

Rezepte zum Sprachenlernen gibt es zuhauf, doch nur wenige sind auch wirklich eine Gaumenfreude. Aus einem Sprachkurs ein Gericht wie ein Gedicht zu machen wird seit Neuestem in Neukölln vorgemacht – zenith gibt einen Vorgeschmack.

Durch den Berliner Bezirk haben zahllose Garküchen bereits eine Fährte gelegt. Wie aromatische Lianen wabern ihre Gerüche durch die Straßen, sie führen mich ins Sprach- und Kochatelier von »Türkisch für Feinschmecker« in die Weisestraße 59. Die orientalischen Düfte der Straße in der Nase, kleinasiatische Wortfetzen noch im Ohr, erreiche ich den Koch- und Sprachkurs von Deniz Julia Güngör. Auf Türkisch besprechen die geübten Teilnehmerinnen das Rezept.

 

Sechs Anfänger wie Fortgeschrittene verteilen sich auf zwei Kurse in der Woche – gekocht wird an diesem Abend gemeinsam. Dann geht es auditiv gesättigt ans lukullische Werk. »Türkisch für Feinschmecker« heißt Sprachunterricht mit allen Sinnen. Über die Landungsbrücke der Sprache tauchen auch mein Körper und Geist für einige Stunden in die Alltag gewordene, doch in vielerlei Hinsicht fremd gebliebene kulinarische Kultur der Türkei und ihre Geschichte ein. Eintauchen und Verstehen lernen sind auch die Antriebsfedern der sprachlernenden Köchinnen, an diesem außergewöhnlichen »Langolab« – so der ruchvolle Name dieser experimentierfreudigen Sprachschule.

 

Die Zutaten: In der Abkunft vieler türkischer Gerichte schimmert jene multikulturelle Reise hindurch, die sie über die Jahrhunderte bis ins kartoffelkarge Berlin zurücklegten. So wie die Osmanen im Windschatten Dschingis Khans aus den Weiten Zentralasiens über Persien nach Anatolien huschten, nahmen ihre Kochtöpfe unterwegs die Geschmacksvielfalt der lokalen Traditionen und Ingredienzen in sich auf. An tulipangeschwungenen Teegläsern nippend vereinigt sich dieses Gastarbeiter gewordene Aroma und Ambiente in und mit mir.

 

Ein Sprachlernkonzept, das das Thema Essen und das praktische Kochen integriert

 

Den Klang Anatoliens verströmen die Worte, erobern mein Gehör, dunkel gleich süßem Mokka zergehen sie mir auf der Zunge. »Sprache und Essen« sagt Deniz, »haben etwas gemeinsam: beides ist kulturspezifisch, aber global.« Wie auf ein »Susam, öffne dich« ersteht hier ein Menü der fleischlichen Begierden und vegetarischen Verlockungen aus dem fremdsprachig bedruckten Blatt.

 

Sechs verschiedene Leben tragen ihre ganz persönlichen Erfahrungen zum Gelingen von Sprach und Speise bei. Verständigung geht sprichwörtlich durch den Magen. Die Köchinnen kleben sich den obligatorischen Schnauzbart alla Turca auf die Schürzen – und beginnen mit der Handarbeit.

 

Zubereitung: Im Takt der melodischen Anweisungen im Rezept hacken und schneiden die Messer im Gleichklang: Würfeln, mischen, kneten Sie – rühren, wellen, schälen Sie – pressen, dünsten, schmelzen Sie. Auf dem Mantı-Teigfladen wellen wir unsere Erinnerungen aus. Jede hinzu geriebene Brise Salz versetzt uns an die Meereswogen der Ägäis. Die bunten Basare Istanbuls entfalten ihre verführerische Süße im Biss auf die gebrannten Mandeln. Geröstete Kichererbsen zerstieben im Mund wie der vom flinken Huf der Janitscharen aufgewühlte Staub Anatoliens. Sultane und Sultaninen würzen das Fleisch, beißend heißer Pul biber verleiht die Chilinote.

 

Eine Kalligrafie des Geschmacks, eine mystische unio culinaria

 

Vom knisternden Fett und brodelnden Wasser zwiebelglasige Augen, die immer gieriger werden, befeuert durch den quälenden Drang des Magens nach Teilhabe an dem Erlebnis. Geschmack und Klang des Türkischen resonieren dumpf in Ohr und Magen. In einem sind sich alle einig: Auberginen und Knoblauch sind die überbetörenden Aromen in der Sprachküche.

 

Servieren: Es werde Hunger, es sei Appetit – afiyet olsun! Was zu Beginn des Abends in Sprache gewandt noch schwer verdaulich schien, kommt schließlich in eleganter Vollendung auf den Tisch. Die Türkei liegt in ihrer herzhaften Begehrlichkeit auf der Tafel ausgebreitet vor uns, gewillt sich unseren Gaumen hinzugeben. Wie eine Kalligrafie des Geschmacks zelebrieren Zunge und Zähne diese mystische unio culinaria des Türkischen.

 

Im fahlen Licht der vielen Lampen vollzieht sich mit jeder Kostprobe die Wandlung des kargen Kochateliers in einen turkosmanischen Gourmetpalast. Perlgekühltes Efes begleitet die Spinat- und Hack befüllten kleinen Mantı-Maultäschchen die Schlunde hinab. An diesem Abend endet die Migrationsgeschichte der Speisen in meinem Magen und findet dort seine symbiotische Erfüllung. Der Name dieses veredelten Gerichts: »Gazeteci bayıldı«.

 

Auf den Geschmack gekommen? Der sechswöchige Kurszyklus beginnt wieder am 20.01.2014 im Langolab in der Weisestr. 59, 12049 Berlin.

Anmeldungen an: info@tuerkischfuerfeinschmecker.de www.tuerkischfuerfeinschmecker.de

Von: 
Ruben Schenzle

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