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Restaurant Osmans Töchter in Berlin

Pastirma-Chips bei den Kiez-Osmanen

Feature

Im Juni eröffnete mit »Osmans Töchter« ein alternativ-türkisches Restaurant im Berliner Prenzlauer Berg. Den Startschwierigkeiten trotzen die beiden Betreiberinnen mit lockerer Kreativität und kulinarischen Überraschungen.

An der Tür der Männer-Toilette hängt das alte Schallplattencover des womöglich bekanntesten türkischen Volkssängers Ibrahim Tatlises aus den Siebzigern, oder wie man ihn liebevoll in der Türkei nennt, »Imparator Ibo«. Sein pathetisch-kugelrundes Gesicht mit dem markanten schwarzen Schnurrbart passt perfekt zur Ortschaft hinter seinem Bild.

 

Dichte anatolische Schnäuzer sucht man bei den Angestellten im türkischen Restaurant »Osmans Töchter« im Berliner Prenzlauer Berg allerdings vergeblich. Denn die sind alle bis auf einen männlichen Koch – ohne Schnurrbart – ausnahmslos junge Frauen. Eric, der deutsche Koch, ist übrigens auch der einzige Nicht-Türke im Betrieb. Direkt neben ihm steht Havva Hanim, eine türkische Hausfrau wie aus dem Bilderbuch. 

 

Sie hat sich den ursprünglich von der Gattin des Dschingis Khan stammenden Titel »Hanim – Dame«, wohl verdient. Die kleine mollige Frau schaut Eric genau auf die Finger, denn sie kocht schon seit Jahren für ihre Kinder – und soll genauso auch die anspruchsvollen Gaumen des Prenzelberger Publikums zufriedenstellen.

 

Die Küche inmitten des Speisesaals, gleich neben den Tischen platziert, steht allen neugierigen oder hygieneneurotischen Besuchern offen. Doch eigentlich sollen Personal und Speisekarte mit Türkischen-Hausfrauen- und Döner-Buden-Klischees brechen und warten mit bezirksgerechter klassisch-moderner Fusion-Küche auf: als Vorspeise Honigmelone mit Pastirma-Chips, danach Schwertfischkebab mit Sellerie-Orangen-Walnuss-Salat und Knoblauchbrot, zum Dessert süße Grieß-Helva mit Vanilleeis und Orangenfilets.

 

Gourmet-Menüs zu erschwinglichen Preisen – von typisch ägäischem, blanchiertem Seegras-Salat mit Olivenöl und Knoblauch für rund sechs Euro bis zum Lammfilet mit Bohnen-Paprika-Ragout und Reis für rund 21 Euro. Und wer es nach dem ausgiebigem Essen genauer wissen will, dem sei ein kräftiger türkischer Mokka inklusive traditionell anatolischem Kaffeesatzlesen für rund zehn Euro empfohlen.

 

Das Repertoire der angebotenen Gerichte soll sich auch im Namen wiederfinden: »Das ›Osman‹ im Namen definiert uns als klar türkisch«, erklärt Chefin Lale Yanik, die mit ihrer Geschäftspartnerin Arzu Bulut ihren Lebenstraum verwirklichte. »Aber die verschiedenen Einflüsse, die im Osmanischen Reich eine große Rolle spielten, bereichern auch unser Restaurant.«

 

»Ich dachte, hier gibt es türkisches Essen?«

 

Kennengelernt haben sich die beiden Frauen auf einer Party in dem Kiez, in dem sich ihr Restaurant heute befindet. »Wir fanden uns auf Anhieb sympathisch«, erzählt Bulut. Die studierte Betriebswirtin arbeitete vorher in einigen Unternehmen, veranstaltete aber nebenbei türkische Dinner-Events unter dem Namen »Kültür Dinner«.

 

Bis sie eigenhändig ein Konzept für ihr eigenes türkisches Restaurant entwarf und es Yanik vorstellte. »Wir hatten uns schon öfter über ein gemeinsames Projekt unterhalten«, sagt Yanik. Die Finanzierung ermöglichten ihnen Bankkredite. Nach rund einem Jahr Vorbereitung öffnete ihr Lebenstraum am 5. Juni 2012 seine Pforten.

 

»Jede Kleinigkeit, die wir anbringen wollten, haben wir dutzendfach mit den Architekten und unseren Freunden besprochen«, erzählt Bulut und zeigt dabei auf den Getränketresen direkt am Eingang. Perfekt sollte er sein, der Start ihres ersten eigenen Restaurants, und dennoch sei noch vieles unfertig und verbesserungsbedürftig, erzählen die beiden Frauen.

 

Die flüchtig gedruckten Speisekarten sind womöglich der beste Zeuge für diese Lücke. Und auch viele Passanten stoppen recht abrupt und mit eher irritierten als überwältigten Gesichtern vor den Schaufenstern und grünen Schreibtafeln des Lokals. Dass sich in dem Laden in der Pappelallee gleich neben dem Ballhaus Ost ein frisch eröffnetes Restaurants befindet, ist nur an einem provisorischen Kreideschriftzug auf einer unscheinbaren Tafel am Straßenrand zu erkennen.

 

»Wir finden das gut so, denn viele Menschen denken dann, sie hätten einen Geheimtipp entdeckt«, sagt die 40-jährige Bulut mit einem Augenzwinkern. Das alternative türkische Restaurant soll also das Flair eines In-Lokals versprühen, die Gäste wirken indes zuweilen etwas desorientiert: »Ich dachte, hier gibt es türkisches Essen?«, flüstert eine junge Frau ihrer Freundin leise zu. Die zuckt zustimmend mit den Schultern und schaut ein wenig überfordert auf den unerwartet hochklassigen Speiseplan. Einige Gäste müssen sich an die neuartigen Koch-Kreationen anscheinend noch gewöhnen.

 

Neu-orientalische Wohlfühlatmosphäre mit Raki und »Imparator Ibo«

 

Auffällig ist auch die Vielfalt des Publikums: Vom Hippie-Pärchen mit Kinderwagen und Jesus-Sandalen, bis zum graumelierten Geschäftsmann im Anzug. Die Palette der Besucher ist genauso facettenreich und bunt wie die Menüs der »Töchter Osmans«. Die meisten Lebensmittel für die Küche kaufen die Frauen in den türkischen Spezialsupermärkten in Berlin, das Fleisch liefert Buluts Cousin aus dem Wedding.

 

Und was ist mit des Prenzelbergers liebstem Gütezeichen, dem Bio-Siegel? »Gerichte mit Bio-Produkten sind erst in ferner Zukunft geplant«, bedauert Bulut. Gut, dass dies die anwesenden Gäste nicht zu stören scheint. Viele dieser Gäste haben sich stattdessen schnell auf die neu-orientalische Gesamtatmosphäre eingelassen und machen es sich auf den mit exotischen Zierkissen drapierten Holzbänken bequem.

 

Kleine Lämpchen in Einmachgläsern erhellen das Restaurant und zeugen von kreativer Bescheidenheit und Einfallsreichtum. »Wir verkaufen nicht nur Essen, sondern das Gesamtpaket in schöner Verpackung«, erklärt die 44-jährige Yanik und weist auf die höfliche Begrüßung eines jeden Gastes durch die beiden Geschäftsführerinnen hin.

 

»Wir sind überzeugt davon, dass 90 Prozent unserer Gäste mit unserem Angebot rundum zufrieden sind und sich bei uns wohl fühlen«, behauptet Bulut. Objektiv schwer nachprüfbar, aber zumindest an diesem Freitagabend gehören die Gäste zu den rundum zufriedenen 90 Prozent. Das liegt natürlich nicht nur an der netten Bedienung im Restaurant, sondern auch am gern und reichlich ausgeschenkten Raki.

 

Und nach ein paar weiteren Gläsern des hochprozentigen Anis-Schnaps gewährt sogar »Imparator Ibo« auf dem Schallplattencover seinen Besuchern herzlichen Einlass in sein Reich.

Von: 
Sümeyye Çelikkaya

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