Die Lehren des vergangenen halben Jahres waren für Ägyptens Salafisten wie ein Crashkurs in Sachen Politik. Zwischen Desillusionierung und Emanzipation versuchen islamistische Politiker und ihre Anhänger ihren Platz zu finden.
Als Newcomer in der Politik – und doch bereits zweitstärkste politische Kraft im Land – machten die Salafisten in den letzten Wochen einige wichtige Erfahrungen.
Die erste Erfahrung ging mit dem für die Salafisten bitterem Ausschluss ihres Präsidentschaftskandidaten Abu Ismail einher. Nach seiner Disqualifikation demonstrierten viele seine Anhänger tagelang, erst auf dem Tahrir-Platz, dann zogen sie nach Abbasseya vor das Verteidigungsministerium, was dann schließlich in blutigen Zusammenstößen mit dem Militär endete. Bereits während der Kämpfe äußerten sich besonders junge Salafisten, genau wie viele junge Revolutionäre, kritisch: »Wir sind jetzt genau da, wo sie uns haben wollten. Jetzt machen die Medien und das Militär uns Salafisten für Chaos und Gewalt verantwortlich«, so ein junger Aktivist der Salafisten. Es sei ein politischer Fehler, sich so kurz vor den Wahlen auf gewalttätige Kämpfe einzulassen – zudem hätten die letzten Monate mit ihren zahlreichen vergleichbaren Straßenschlachten gezeigt, dass diese Auseinandersetzungen nichts bringen.
Und noch etwas haben die Salafisten im Protest in Abbasseya gelernt: man demonstriert nicht für eine Person, sondern für eine Sache. Als sie für Abu Ismail auf die Straße gingen, war ihr Protest isoliert und delegitimiert, als sie jedoch gegen die vom Militärrat eingesetzte Wahlkommission demonstrierten, schlossen sich ihnen viele Gruppen an. Politik ist eben mehr als das Unterstützen einer Person. Die Salafisten lösten sich so aus der Schockstarre und konzentrierten sich auf ihre politischen Ziele. Abu Ismail wird nun nicht mehr als Leuchtgestalt gesehen, wie in den Wochen zuvor, sondern eben nur als ein (ehemaliger) Kandidat, von dem nicht alles abhängt.
Befreiung aus der Umarmung der Muslimbrüder?
Die nächste Lektion lehrten ihnen die Muslimbrüder. Noch vor wenigen Wochen sahen die Salafisten in ihnen einen natürlichen Partner und nutzten die gemeinsame Mehrheit für die Bildung der verfassungsgebenden Versammlung, die so islamistisch dominiert war. Als ihnen daraufhin der Protest der (islamischen und säkularen) Öffentlichkeit entgegen schlug, befreiten sich die Salafisten jedoch aus der Umarmung der Muslimbrüder. Nicht nur für die Salafisten, sondern für das gesamte islamische Lager stand die wichtigste Währung der Politik auf dem Spiel, die Glaubwürdigkeit.
Der Unterschied der beiden politischen Konkurrenten ist nun klar: die Muslimbrüder wollen die (exekutive) Macht, die Salafisten nicht, sie wollen zunächst einmal nur ihre Vorstellungen von Religion und Politik verbreiten. Zu ambitionierte Muslimbrüder, die die Menschen gegen das islamische Lager aufbringen, seien dafür kontraproduktiv.
Demonstrativ und völlig überraschend erklärten wichtige Gruppen der Salafisten, darunter die salafistische »Partei des Lichts«, dass sie nicht den Präsidentschaftskandidaten der Muslimbrüder, sondern den islamischen, aber unabhängigen Kandidaten Abdel Moneim Abu El Fotouh bei den Wahlen unterstützen würden. Man wolle damit die Ängste vor einer kompletten Machtübernahme der Muslimbrüder zerstreuen. Abu El Fotouh sei zwar ein »Moderater«, dafür repräsentiere er aber die gesamte ägyptische Gesellschaft – und nicht nur die Muslimbrüder.
Ein herber Rückschlag für die Muslimbrüder, die damit eine wichtige Unterstützung für ihren Kandidaten verlieren. Durch die Unterstützung der Salafisten, die in den Parlamentswahlen im November ganze 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnten, verschieben sich die Chancen deutlich zugunsten des von moderaten Islamisten wie Liberalen unterstützte Abu El Fotouh.