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Anklage gegen Iraks Vize al-Haschemi

Neustart nach dem Crash?

Feature

Nach Verhaftungen mutmaßlicher Verschwörer und der Anklage gegen Vize al-Haschemi schien die Allparteienkoalition in Bagdad am Ende. Nun sollen alle Differenzen zwischen den zerstrittenen Partnern in einer Konferenz ausgeräumt werden.

Seit der Parlamentswahl vom März 2010 befindet sich der Irak in der politischen Dauerkrise. Damals ging Premierminister Nuri al-Maliki als klarer Favorit in die Wahlen. Doch seine schiitisch-religiöse Rechtsstaatsallianz blieb knapp hinter dem sunnitischen Parteienbündnis Iraqiyya von Iyad Allawi zurück. Seither ist die Entwicklung des Landes wie gelähmt. Acht Monate benötigten die Parteien allein zur Bildung einer neuen Regierung. Am Ende wurde sie nicht vom Wahlgewinner Allawi, sondern von Nuri al-Maliki angeführt.

 

Als Königsmacher hatten sich die kurdischen Parteien betätigt, die Maliki als Premier akzeptierten, aber darauf bestanden, dass auch die Iraqiyya Teil der Regierung sein müsse. Mit einer Allparteienkoalition sollten die Sunniten, die seit dem Sturz von Saddam Hussein ihre traditionell starke Position in der Staatsverwaltung verloren hatten, wieder an der Macht beteiligt werden.

 

In dem so genannten Erbil-Abkommen musste sich Maliki verpflichten, für seinen Kontrahenten Allawi den Kabinettsposten eines Nationalen Sicherheitskoordinators zu schaffen und die Ministerien für Inneres und Verteidigung seinen Partnern zu überlassen. Den Kurden sollte Maliki mit einem neuen Ölgesetz entgegenkommen, das ihnen die Vertriebsrechte für die eigenen Bodenschätze zusicherte.

 

Die Dauerkrise als Normalzustand

 

Das Erbil-Abkommen ermöglichte im November 2010 die Wiederwahl Nuri al-Malikis. Die politische Krise war damit jedoch keineswegs überwunden. Im Winter zog sich die Bildung des Kabinetts in die Länge und während andernorts der Arabische Frühling begann, erschöpften sich die Parteien in Bagdad immer noch in Diskussionen über die Ämtervergabe.

 

Trotz der intensiven Personaldebatten blieben Kernforderungen aus dem Erbil-Abkommen dennoch unerfüllt: Für die Posten des Verteidigungsministers und des Innenministers konnte keine konsensfähigen Kandidaten gefunden werden. Die Ministerien wurden daher dem Premierminister kommissarisch anvertraut.

 

Zudem verschlechterte sich im Sommer das Verhältnis zwischen Maliki und Allawi so weit, dass auch die Idee, für die Iraqiyya den Posten eines Nationalen Sicherheitskoordinators zu schaffen, fallengelassen wurde. In der Frage der kurdischen Ölressourcen gab es ebenfalls keinen Fortschritt, so dass die autonome Region schließlich einen Großvertrag mit Exxon Mobil unterzeichnete, bevor es zu einer Einigung mit Bagdad gekommen wäre.

 

Ein Jahr nach dem Beschluss des Erbil-Abkommens und dem Beginn seiner zweiten Amtszeit entzog Nuri al-Maliki seiner Allparteienkoalition mit drei Aktionen endgültig die Geschäftsgrundlage.

 

Zunächst ließ der Premierminister am 29. Oktober 2011 kurzerhand 615 Personen wegen einer angeblichen Verschwörung gegen den Staat ohne richterliche Untersuchung oder die Einbindung lokaler Behörden festnehmen. Unter den Betroffenen waren zahlreiche Ex-Funktionäre, Lehrer und Militärs des gestürzten Regimes Saddam Husseins.

 

Ihre Assoziation mit dem sunnitisch-arabischen Bevölkerungsteil ließ rasch den Verdacht aufkommen, der Polizeieinsatz sei Teil einer Kampagne mit der die Sunniten politisch ausgegrenzt werden sollten. In der Folge kam es zu massiven Protesten.

 

Doch Nuri al-Maliki ließ sich von dem Aufruhr, den er mit seinem Vorgehen auslöste, nicht beeindrucken. Die Initiativen zur Schaffung von autonomen Regionen, die in mehreren Landesteilen als Reaktion auf die Verhaftungswelle aufkamen, disqualifizierte Maliki als Versuch, den Irak zu spalten und Rückzugsräume für Terroristen zu schaffen.

 

Auch gegen den Unmut in seiner eigenen Regierung ging der Premierminister kompromisslos vor: Während die Spitze der Iraqiyya über einen Rückzug aus der Regierung beriet, gab Maliki am 17. Dezember 2011 bekannt, dass er im Parlament die Entlassung seines Stellvertreters Saleh al-Mutlaq beantragen wolle. Der Politiker aus der Iraqiyya hatte ihn vier Tage zuvor in einem CNN-Interview heftig kritisiert. Maliki, so hatte Mutlaq getönt, sei schlimmer als Saddam Hussein.

 

Nur einen Tag darauf berichteten die Medien, dass die Leibwächter des irakischen Vizepräsidenten Tariq al-Haschemi von den Sicherheitskräften des Premiers festgenommen worden seien. Ihnen wurde die Beteiligung an Terroranschlägen vorgeworfen. Auch der Vizepräsident selbst sei darin verwickelt. Vor seiner drohenden Verhaftung flüchtete Haschemi in den Nordirak, wo er sich unter den Schutz der kurdischen Autonomieregierung stellte. Mit Haschemi war ein weiterer Repräsentant der Iraqiyya und der sunnitischen Bevölkerung zum Ziel des Premierministers geworden.

 

Allawis Iraqiyya protestiert nur schwach

 

Auf die Ereignisse reagierte die Iraqiyya zögerlich. So wurde die Verhaftungswelle im Oktober zwar offen kritisiert, doch die Spitze des Parteienbündnisses war uneins darüber, ob sie mit den Protesten auch die Autonomieforderungen der Provinzen unterstützen sollte. Während Iyad Allawi diese als Gefahr für die nationale Einheit ablehnte, sympathisierte der sunnitische Parlamentspräsident Osama al-Nujaifi mit der Idee, die Föderalisierung des Iraks zum Ziel zu erheben. Daraufhin verstrickte sich das Bündnis bis zu den Angriffen auf Mutlaq und Haschemi in langwierige Diskussionen.

 

Doch selbst auf die Verdrängung ihres eigenen Führungspersonals reagierte die Iraqiyya nur mit halber Kraft. Statt ihre Teilhabe an der Regierung offiziell zu beenden, wurde am 18. Dezember ein Boykott der Parlamentssitzungen gestartet. Einen Tag später wurden auch die Kabinettssitzungen einbezogen. Wiederum waren die Spitzen des Bündnisses uneins über die richtige Strategie. Osama Nujaifi riet von einem offenen Bruch ab und sprach sich für Verhandlungen aus. Iyad Allawi und Tariq al-Haschemi rieten hingegen dazu, die Allparteienkoalition mit einem Gang in die parlamentarische Opposition zu sprengen. Das Ausscheiden der Iraqiyya würde entweder Neuwahlen auslösen oder zur Ablösung von Maliki führen.

 

Die Uneinigkeit der Iraqiyya wurde schnell deutlich, als sechs ihrer Abgeordneten nicht an dem Boykott teilnahmen. Weitere Absagen und sogar eine Spaltung des Parteienblocks zeichneten sich ab. Die Tagung des Parlaments am 5. Januar 2012 hob zudem die Ineffektivität des Boykotts hervor. Denn die Sitzung ging auch ohne die Iraqiyya weiter und die Abstimmung über die Lesung des Haushalts für 2012 verfügte über ein ausreichendes Quorum. Es zeigte sich, dass Maliki auch ohne den sunnitischen Block weiterregieren konnte. Am 29. Januar 2012 brach die Iraqiyya daher ihren Boykott ab.

 

Nationale Konferenz soll die Grundlage der Regierung wiederherstellen

 

Das Scheitern der Blockade, mit der die Iraqiyya den Sturz von Nuri al-Maliki erzwingen wollte, ist in erster Linie auf die Taktik der kurdischen Parteien zurückzuführen. Sie hatten Maliki 2010 zu seinem Amt verholfen und gleichzeitig die Iraqiyya in die Koalition einbezogen. In der aktuellen Regierungskrise hielten sie ihre Unterstützung für den Premierminister weiterhin aufrecht, während sie gleichzeitig eine nationale Konferenz einforderten, auf der alle Streitigkeiten entschärft werden sollten. Damit betätigten sie sich erneut als Vermittler zwischen den politischen Lagern.

 

Bislang wurden Koordinationstreffen abgehalten, um die nationale Konferenz vorzubereiten. In ihnen wurde vor allem darüber gestritten, welche Fragen auf die Tagesordnung gesetzt werden sollten. Zu entscheiden war, ob die Konferenz auf die auslösenden Ereignisse der Krise, die Massenverhaftungen und die Angriffe auf Mutlaq und Haschemi, eingehen sollte, oder ob sie ausschließlich die grundsätzlichen Fragen behandeln würde, die bereits im Erbil-Abkommen besprochen worden waren. Aus Sicht der Kurden wäre letzteres wünschenswert. Sie bleiben daran interessiert, die Allparteienkoalition auf der Basis des Erbil-Abkommens fortzusetzen.

Am 20. Februar 2012 wurde bekannt gegeben, dass sich die politischen Kräfte auf eine Tagesordnung für die Konferenz geeinigt hätten. Die anschließende Sitzung wurde jedoch prompt verschoben. Die Konferenz soll in den kommenden Wochen stattfinden, doch ein genauer Termin bleibt weiter unklar. So ist die holprige Vorbereitungsphase selbst ein Zeichen für die verfahrene politische Situation: Die Zeit vergeht mit Koordinationstreffen für eine koordinierende Konferenz, die dabei helfen soll ein zerstrittenes Kabinett wieder zusammenzubringen. Derweil regiert Maliki.

 

Maliki geht aus der Krise gestärkt hervor

 

Die Position des Premierministers ist durch die von ihm initiierte Krise gestärkt worden. Nuri al-Maliki hat Schlüsselfiguren der Iraqiyya aus ihren Ämtern vertrieben und die Uneinigkeit ihres Bündnisses öffentlich vorgeführt. Mit seinem entschlossenen und einschüchternden Auftreten setzte er sich als kompromissloser Kämpfer gegen den Terrorismus und als Hüter der nationalen Einheit in Szene. Gleichzeitig signalisierte er bei Treffen mit sunnitischen Scheichs und mit Respektsbezeugungen vor der Verfassung Kompromissbereitschaft.

 

Mit seinem Vorgehen ist es Maliki gelungen, den Widerstand gegen sich zu spalten und sogar Verbündete aus den Reihen der Iraqiyya zu gewinnen. Dafür musste er bisher keinen Preis entrichten und es ist fraglich, ob er in einer kommenden nationalen Konferenz mehr leisten muss, als vage Zusicherungen für die Zukunft abzugeben. Es ist durchaus vorstellbar, dass es Maliki in den nächsten Wochen gelingt, weitere Abtrünnige aus der Iraqiyya um sich zu scharen und den Parteienblock letztlich zu spalten. Für Neuwahlen wäre dann der richtige Zeitpunkt gekommen.

Von: 
Hauke Feickert

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