Bei religiös motivierten Ausschreitungen sterben im Westen Myanmars mindestens 29 Menschen. Wenn die Militärjunta das Land weiter öffnen möchte, muss sie auch Jahrzehnte der Diskriminierung religiöser Minderheiten aufarbeiten.
Rund 2,4 Millionen Muslime leben im südostasiatischen Myanmar, kaum mehr als vier Prozent der Gesamtbevölkerung und eine Minderheit ähnlich zahlreich wie die Christen im Land. Je nach Provinz unterscheiden sich die Anteile der Muslime jedoch stark. Insbesondere der sich die Westküste entlang ziehende Rakhaing-Staat besitzt mit knapp 800.000 Rohingyas auf 2,7 Millionen Menschen insgesamt einen relativ großen Anteil an Muslimen.
Hinzu kommt, und darum kann man die Konflikte in der Region nicht als ausschließlich religiös motiviert interpretieren, dass die Rohingyas sich als eigenständige Ethnie, quasi als Volk ohne Staat, innerhalb Myanmars verstehen. Die Vorfälle, die nach Regierungsangaben inzwischen zum Tod von mindestens 29 Menschen sowohl muslimischen als auch buddhistischen Glaubens führten, nahmen ihren Anfang bereits vor Wochen.
Am 3. Juni lynchte eine Gruppe aufgebrachter Buddhisten in der Ortschaft Toungup zehn Mitglieder einer muslimischen Nachbargemeinde, da diese für die Vergewaltigung und Ermordung einer Frau verantwortlich gemacht wurden. Daraufhin stürmten über die nächsten Tage tausende Angehörige beider Religionsgruppen Dörfer der Umgebung – nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters wurden mehr als 1600 Häuser niedergebrannt, mehr als 30.000 Menschen wurden von Armeeeinheiten in Flüchtlingslager, meist in Schulen und Klöstern, umquartiert und in der Bezirkshauptstadt Sittwe ein Notstand ausgerufen.
Inzwischen konnte das Militär die öffentliche Ordnung weitestgehend wieder herstellen. Die Fälle von Selbstjustiz in Toungup waren jedoch Auslöser und nicht Ursache der aktuellen Eskalation, wie die NGO International Crisis Group in einem Essay betont. Die zugrunde liegenden Konflikte bestünden bereits seit Jahrzehnten, wie auch die Beziehungen zwischen beiden beteiligten Dorfgemeinschaften schon lange schwierig seien. »Wenn die Regierung nicht Schritte unternimmt, die nicht nur die Gewalt stoppen, sondern auch ein Fundament zum Schutz von Minderheiten schaffen, besteht das Risiko, dass sich die Gewalt ausbreitet.«
Bangladesch schiebt Flüchtlinge ab
Zuletzt gelang es Myanmar, das lange international wegen seiner Militärregierung international geächtet war, seine Beziehungen zu westlichen Staaten, insbesondere den USA, zu erneuern. Im vergangenen Jahr traten die Generäle erstmals einen Teil ihrer Macht an eine reformorientierte Regierung ab – deren Entscheidungsbefugnisse jedoch noch immer eng abgesteckt sind.
Ob die Staatsführung ebenfalls bereit dazu ist, die in weiten Teilen institutionalisierte Benachteiligung zahlreicher Minderheiten, darunter auch die Rohingya-Muslime, zu beseitigen, ist eine Belastungsprobe für den demokratischen Wandel im Land. Über Jahrzehnte war es den Rohingyas nahezu unmöglich, im Militär oder öffentlichen Ämtern Karriere zu machen. Obwohl sie seit Generationen im Land leben, besitzen nur wenige die myanmarische Staatsangehörigkeit, zehntausende sind in den letzten 30 Jahren ins benachbarte Bangladesch teils ausgewandert, teils geflohen.
Dort jedoch hat man inzwischen ein Einreiseverbot für Rohingyas verhängt. Insbesondere mit willkürlichen Hauszerstörungen durch das myanmarische Militär hatte die Bevölkerungsgruppe zu kämpfen, in deren Augen die Ethnie kulturell und politisch zu Bangladesch gehöre. Auch in diesen Tagen versuchten zahlreiche Rohingyas mit Booten den Golf von Bengalen zu überwinden, um so illegal nach Bangladesch einzureisen. Ein Mitglied der Küstenwache in Teknaf teilte Reuters mit, man habe allein in der Grenzstadt 110 Flüchtlinge aufgegriffen. Noch am gleichen Tag habe man ihre Abschiebung zurück nach Myanmar vornehmen wollen: »Wir sind bereits mit myanmarischen Muslimen überlastet. Unter keinen Umständen können wir weitere aufnehmen.«