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Interview zu der Rohingya Krise in Myanmar

»Der Westen versteht Myanmar nicht richtig«

Interview
Buddha-Statuen der Shwedagon Pagoda
Foto: Florian Guckelsberger

Hans-Bernd Zöllner, führender Myanmar-Experte, erklärt die widersprüchliche Rolle der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in der Rohyinga-Krise und erklärt, weshalb das mangelnde Fachwissen der UN-Beauftragten besonders problematisch ist.

zenith: Die Vereinten Nationen haben vor kurzem die Untersuchungsergebnisse zur Rohingya-Krise veröffentlicht. Darin werfen sie der Regierung Myanmars systematische Menschenrechtsverletzung vor. Was unternimmt die internationale Gemeinschaft dagegen?
Hans-Bernd Zöllner: Die internationale Gemeinschaft versucht das Militär, die Tatmadaw, zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings ist das schlichtweg unrealistisch, denn keine der beiden Seiten kann dabei als Gewinner hervorgehen. Auf der Suche nach Verantwortlichen schieben Mitglieder der UN Kommission die Schuld also weiter hin und her. Zwar versucht man die Tatmadaw für das Leid der Rohingya verantwortlich zu machen und Gerechtigkeit herzustellen, doch dabei rückt ein Kompromiss in weite Ferne. Letztendlich gibt es keine konstruktive Lösung, klar ist nur, wer weiterhin darunter leiden wird: die Rohingya.

 

Anfang 2018 haben Bangladesh und Myanmar einen zeitlichen Rahmen für die Rückführung der Rohingya festgelegt. Was halten Sie von dieser Abmachung?
Die Abmachung zwischen Myanmar und Bangladesh ist absurd. Die Menschen, die Myanmar verlassen haben, wollen nicht zurück. Und das buddhistische Volk der Arakanesen, die zuvor mit den Rohingya zusammen gelebt haben, wollen deren Rückkehr auch nicht. Das gilt für die meisten anderen Menschen, die in Myanmar leben. 

 

»Inder – ob Muslime oder Hindus – wurden seit dem Tag diskriminiert, als Burma zur Nation wurde«

Es ist nicht das Erste Mal, dass eine große Anzahl von Rohingya aus Myanmar flieht. Was war früher anders?
Anders als heute sind nach den massenhaften Fluchtwellen in den Jahren 1978 und 1992 die meisten der ungefähr 250.000 geflüchteten Menschen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Grund hierfür war Berichten zufolge der Druck der Behörden in Bangladesh. Der Flucht von 1978, zur sozialistischen Zeit unter Ne Win hat man international so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Anders aber 1992, da die Verleihung des Friedensnobelpreises an Aung San Suu Kyi ein Jahr zuvor den Konflikt bekannt machte. Aus westlicher Sicht wurde Burma damit zum Schlachtfeld zwischen einer mutigen Verteidigerin der Demokratie und Menschenrechte und einem bösartigen Militär. Die Muslime aus Myanmar aber, die in Flüchtlingslagern leben, wurden an der Seite der burmesischen Heldin zu Opfern, die zu diesem Zeitpunkt unter Hausarrest stand. Das Problem war und ist heutzutage immer noch, dass die internationale Gemeinschaft nicht genug über Myanmar und die tiefen Wurzeln des Konflikts zwischen Buddhisten und Muslimen weiß. Erst nach 2000 hat man ausgiebige Nachforschungen angestellt.

 

Sie erforschen den Konflikt der Rohingya jetzt schon seit einigen Jahren. Was sind die tieferen Ursachen der Spannungen?
Der Konflikt der Rohingya ist – wie viele andere postkoloniale Konflikte – die Folge eines komplexen geschichtlichen Geschehens, das nicht einfach zu verstehen ist. Viele Faktoren wie politische Kulturen, ökonomische Interessen, religiöse Unterschiede und nationales wie internationales Recht sind ineinander verflochten. Trotzdem verlangen Menschen auf beiden Seiten einfache Antworten. Das Ergebnis ist eine Konfrontation, bei der die Flüchtenden leiden.

 

Die Situation ist kompliziert – was ist ein mögliches Szenario für die Zukunft der Rohingya?
Niemand kann diese Probleme lösen, nicht einmal Allah oder Buddha. Und Lösungsansätze, die wir üblicherweise anwenden, würden hier nicht funktionieren, da es momentan keine Grundlagen für Kompromisse gibt. Hinzu kommt, um es offen zu sagen, dass die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen die Situation in Myanmar nicht verstehen. Sie haben keine Ahnung, wie tief die Wurzeln des Konfliktes reichen und welche geschichtlichen Hintergründe zu der jetzigen Situation in und um Myanmar geführt haben. Es wird zum Beispiel außer Acht gelassen, dass das erste Staatsangehörigkeitsrecht von Burma aus dem Jahr 1948, Menschen mit chinesischer oder indischer Herkunft das Recht verwehrt, sich als einheimische Staatsbürger zu bezeichnen. Diese waren nämlich noch unter britischer Kolonialherrschaft in das Land eingewandert. Man kann also sagen: Inder – egal ob Muslime oder Hindus – werden seit dem Tag diskriminiert, an dem Burma eine Nation wurde.

 

»Aung San Suu Kyi wurde gegen ihren Willen zur Symbolfigur«

 

War es nicht, zumindest teilweise, ein Ziel der Erkundungsmission der Vereinten Nationen, den komplexen Konflikt zu verstehen?
Die Mission war von Anfang an voreingenommen und nicht wirklich unabhängig, weil sie Teil des bürokratischen Apparats der Vereinten Nationen war. Die hatten jedoch selbst noch nie auf vertrauensvoller Basis mit der Regierung Myanmars zusammengearbeitet. Das belegen auch meine Nachforschungen zur Beteiligung der Vereinten Nationen während des Aufstands 1988 in Myanmar. Die Vorhaben der Vereinten Nationen, Aung San Suu Kyi zu befreien und die Demokratie zu befördern sind damals gescheitert. Nun ist die Ironie, dass heutige Menschenrechtseinrichtungen der Vereinten Nationen Aung San Suu Kyi in Ihren Berichten anklagen.

 

Was ist Ihr Vorschlag?
So wie im deutschen Justizsystem sollten wir jedem einen Vertrauensvorschuss einräumen. Niemand ist schuldig, solange keine Beweise vorliegen. Dieser Grundsatz, welcher in Myanmar schwer verletzt wird, sollte eingehalten werden.

 

Wie bewerten Sie die Rolle von Aung San Suu Kyi? Die westlichen Medien haben sie stark dafür kritisiert, nicht deutlich genug einzugreifen.
Noch einmal: Der Westen versteht Myanmar und dessen komplexe Gesellschaft nicht richtig. Als Aung San Suu Kyi auftauchte haben wir den Informationsmangel plötzlich komplett vergessen und sie zu einem Symbol der Demokratie und Menschenrechte gemacht. Heute wissen wir aber, dass sie das nicht ist. Aung San Suu Kyi wurde gegen ihren Willen zur Symbolfigur.

 

»Es scheint, dass die meisten Buddhisten in Myanmar die Rohingya nicht als ›natürliche Bürger‹ des Landes anerkennen«

Wie kann ihre Rolle besser beschrieben werden?
Ich versuche, Aung San Suu Kyis Rolle im Zusammenhang mit der traditionellen Buddhistisch-Politischen Kultur zu verstehen. Personen wie sie und ihr Vater wurden aufgrund ihrer Tugenden und nicht aufgrund ihrer politischen Einstellungen gewählt. Die Politik ist durch ein hierarchisches Konzept gekennzeichnet. Es scheint, dass die meisten Buddhisten in Myanmar die Rohingya nicht als »natürliche Bürger« des Landes anerkennen. Ein altes Sprichwort besagt: »Burmese sein, heißt Buddhist sein«. So gesehen gilt die buddhistische Lehre als Lebensart. Der Buddhismus wird als »Staatsreligion« geachtet und der Islam wird, wie in vielen anderen Ländern auf der Welt, als fremd und bedrohlich für die eigene Nation gesehen.

 

Was ist Ihre Meinung zu den jüngsten Wahlen in Myanmar?
Es gab schon einmal Wahlen. Die ersten Wahlen wurden von den Briten 1922 erzwungen, mit dem Ergebnis dass die Wahl komplett boykottiert wurde, da Nationalisten keine Demokratie aus dem Ausland haben wollten – sie sahen den Buddhismus als »demokratische« Religion. Bis heute haben Wahlen in Myanmar nie zu einer starken Opposition und einem friedlichen Machtwechsel beigetragen. Freiwillig zurückgetreten sind ironischerweise nur die »Militärdiktatoren« Ne Win und Than Shwe – Anführer der Militärjunta, die Myanmar von 1988 bis 2011 regierte. Dasselbe gilt für Ex-General Thein Sein nach dem Wahlsieg der Partei von Aung San Suu Kyi im Jahr 2016.

 

Sie erforschen Myanmar seit Jahrzehnten. Was fasziniert Sie an diesem Land?
Seit 1984 bin ich immer wieder in diesem Land. Damals war ich protestantischer Pfarrer und wurde nach Bangkok in Thailand geschickt, um mich dort um die deutschsprachige Gemeinde zu kümmern. Was viele Menschen nicht wissen: Vor 1988 war Deutschland Burmas zweitgrößter Partner hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, direkt nach Japan. Ne Win, Vorsitzender der einzigen sozialistischen Partei, besuchte Westdeutschland – niemals Ostdeutschland – jedes Jahr auf seinen Reisen durch Europa und unterhielt enge Kontakte mit den führenden Politikern. Als ich 1990 nach Deutschland zurückkehrte, habe ich die deutsch-burmesischen Beziehungen erforscht. Das war der Ausgangspunkt für meine Forschungen über Myanmar. Ich hatte das Gefühl, dass Deutschland nicht verstanden hatte, was mit Burma in der sozialistischen Zeit geschehen war. Heute, muss ich leider sagen, hat sich das nicht großartig geändert.

 


Hans-Bernd Zöllner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Numata Center für buddhistische Studien in der Universität Hamburg.

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Journalistenaustauschprogramms „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts. Weitere Informationen finden Sie unter www.goethe.de/nahaufnahme und unter #goethecloseup.

Von: 
Mratt Kyaw Thu
Fotografien von: 
Foto: Florian Guckelsberger

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