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Ausstellung Welten der Muslime

Das Ende einer Trennung

Feature

Die Ausstellung »Welten der Muslime« zeigt Träger der visuellen Alltagskultur arabisch-islamischer Gesellschaften. Statt einer reinen Kunst-Schau erwarten den Besucher aufschlussreiche Puzzle-Teile eines großen Ganzen.

Wo ein Pinselstrich eine Mutprobe bedeutet, da ist eine Welt ohne Bild. Das Abbild lebt in muslimischen Gesellschaften unter der Diktatur des Verbots. Diese Unfreiheit gilt scheinbar auch in neueren Medien: In den vergangenen Wochen wird diese Auffassung genährt von den harschen Reaktionen auf die Veröffentlichung des Trailers zum Film »Unschuld der Muslime«.

 

Kopfgeldaussetzung auf die Macher, islamophobe Beschimpfungen, Absage von Staatsbesuchen – 14 Minuten Low-Budget-Bewegtbild lässt das Weltgefüge wackeln. Längst ist bekannt, dass hinter den Ausschreitungen in arabischen Ländern politischere, radikalere und vor allem kleinere Gruppierungen stehen, als dass man pauschal von einem Aufruhr der Muslime sprechen könnte.

 

Doch die Frage nach der Ursache der Reaktionen führt neben beidseitigen ideologischen Motiven und dem diffamierenden Inhalt des Films auch zum Medium an sich: Der Prophet im Bild, das Bild im Islam und Formen der Visualisierung, entfacht all das noch immer ikonoklastische Wut? Dem entgegen steht die mit allerhand -ismen ihrer Fortschrittlichkeit selbstversicherte westliche Kunst im freien Land von Avantgardismus, Postmodernismus, in jedem Fall Hegemonie.

 

Eine Welt ohne Bilder ist für die westliche visuelle Mentalität nicht zu denken. Sie ist aber entgegen gängiger Vorurteile ebenso nicht vorstellbar in gegenwärtigen wie vergangenen muslimischen Räumen. Dass das Bild vom islamischen Bild lange stark schief hing, versuchten jüngst erfolgreiche Ausstellungen anzumahnen: Die Berliner Schau »Heroische Zeiten« zum Schahname, dem persischen Buch der Könige, im Museum für Islamische Kunst 2011 und verwandte Ausstellungen in München, Bochum und Karlsruhe 2010 waren solche Beispiele.

 

Das Bildbedürfnis widerspricht der gängigen Auffassung einer visuellen Entsagung im Islam

 

Die seit November 2011 laufende Ausstellung »Welten der Muslime« im Ethnologischen Museum Berlin eröffnete mit dem Anspruch, differenzierte Perspektiven zum Leben muslimischer Gesellschaften aufzeigen zu wollen. Das schafft sie nur bedingt, da die kleine Dimension der Ausstellung mit eher wenigen Objekten diesen Idealismus kaum erfüllen kann.

 

Doch wie nebenbei beinhaltet sie eine überzeugende Fürsprache im Hinblick auf das Verhältnis des Islams zum Bild, gerade in der aktuellen Auseinandersetzung. Sie bringt zum Staunen darüber, wie stark die Ideen muslimischer Ästhetik das geprägt haben, was unter moderner Kunst firmierend in das heutige Sehen geführt hat.

 

Deswegen lohnt sich dieser ethnologische Ausflug für das kunstbeflissene Auge wie auch für all diejenigen, die sich die Frage nach der islamischen Auffassung vom Visuellen stellen –  auch ein Jahr nach Beginn der Ausstellung. Die Kuratoren versammeln keine islamische Kunst, sondern Alltagsgegenstände – Keramik-Teller, kultisches Gerät, Gewänder.

 

Der Leinwand verwandter sind einige Teppiche und wenige Kalligraphien. Und doch bestimmt optische Opulenz das Bild. Alles bezeugt die unbedingte Sehnsucht, noch das kleinste Fenster in seiner Funktion einem ästhetischen Wert zuzuführen. Das visuelle Bewusstsein islamischer Gemeinschaften war von jeher stark ausgebildet – wenn auch die ausgestellten Objekte maßgeblich der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert entstammen.

 

Solch ein Bildbedürfnis widerspricht der gängigen Auffassung einer visuellen Entsagung im Islam. Seine vermeintliche Bildfeindlichkeit findet ihren Ursprung nicht im Koran, sondern in den überlieferten Aussprüchen des Propheten, den Hadithen. Von jeher entwickelten sich dem zum Trotz reiche Ornamentik, Buchmalerei und Miniaturen.

 

Nie nur Gegenstand – sondern immer auch Chiffre optischer Kultur

 

Die Ausstellung entführt in eine Mind-Map dieser Seh-Kultur: Im ersten Raum versammelt sind lose Einzelobjekte, von denen jedes stolz die Spitze der Entwicklung einer bestimmten Gattung zu repräsentieren scheint: ein pakistanisches Fliesenportal, Kupferwerk, besagtes Holzfenster, ein Filzteppich, begleitet durch fotografische Impressionen von Ländern und Leuten auf einem Bildschirm. Im Folgenden verwandeln sich diese einzelnen Stücke zu Geschichtenerzählern.

 

Das Fenster erzählt von privater Häuslichkeit. Kannen und Vasen berichten von materieller Identität. Gewänder und liturgische Utensilien öffnen das Buch über die Dimensionen des Islams im Alltag. Nie sind sie nur Gegenstand – immer sind sie auch Chiffre optischer Kultur. Auch Architektur fließt in diesen Kanon ein: Zwei geschnitzte Portale des frühen 20. Jahrhunderts stammen aus der Region des Swat-Tals in Pakistan.

 

Solcherlei Tore haben eine lange Tradition in den Regionen der arabischen Welt. Frühe und die hier gezeigten jungen Erzeugnisse bebildern einen Kern des Werts, den die muslimische Kunst in Architektur, Kunsthandwerk und bildenden Werken besitzt: ihre im westlichen Sinn außerordentliche Modernität. Es verbinden sich Arabesken in komplexesten Strukturen, um stets auf geometrische Prinzipien zurückzukommen.

 

Nicht der Hauch einer Asymmetrie. Überwältigung durch Wiederholung. All das wird veredelt durch Farben, die sich nicht aufspielen, die ihre Verbindung zur Natur suchen: Granit, Senf, Rosen, Zederngrün. Kein Gegenstand ist ohne Ornament. In allem glänzt die realisierte Sehnsucht nach optischem Luxus. Islamische und arabische Kunst hat sich häufig, aber nie vollständig figürlicher Darstellung entsagt.

 

Sie gelangt damit Jahrhunderte früher zu der Sprache, zu der die europäische erst im 20. Jahrhundert findet und das macht ihre Faszination aus: Früh ist sie florales Element, Symmetrie und Expression. Früh beschreibt sie abstrakte Form, Ornament und intermediale Nutzung von Motiven. Sie ist interessiert an hellenistischen, indischen und persischen Einflüssen.

 

Damit ist sie interkulturell. Ihre Medien sprechen die Sprache der Natur, sie sind Ton, Holz, Seide, Tinte und Textil. Sie vereinen sich mit der Wertschätzung menschlicher Schaffenskraft in stilisierter Form. All das zeigt sich noch auf dem kleinsten Fußband, im scheinbar banalsten Brot­tuch wie auch in der Frontfassade eines afghanischen Gästehauses. Europa musste seine Figürlichkeit in einem Kraftakt erst loswerden, um diese Formfreiheit zu erlangen.

 

Dieses Andere ist längst unser Eigenes – wie auch umgekehrt

 

Wer sich vor einigen kirgisischen Schirdak-Teppichen wiederfindet, die in Türkis, Braun und Rot das abstrakte Motiv der gebundenen Jute zeigen, der versteht etwas vom Beitrag dieser Auffassungen zu der heute so populären Entwicklung des frühen 20. Jahrhunderts in Europa. Es ist allgemein bekannt, dass viele seiner Künstler eine Faszination für »das Orientalische« besaßen.

 

Doch können die Scherenschnitte Matisses, die expressionistischen Formen Miros, die Holzschnitte Picassos nicht mehr gewürdigt werden, ohne gleichzeitig eines zu entwickeln: eine ungeheure Wertschätzung für den Beitrag, den die so oft als primitiv titulierte islamische Kunst und ihr Handwerk unserer Sehkultur zubrachte.

 

Ihre Dichte entsteht, weil jedes Zeichen Ornament ist, jedes Ornament Form oder Körper, diese wiederum Objekt oder Architektur. Das lässt sich besonders in dem nachvollziehen, was zunächst gemeinhin nicht als Kunst gilt und doch ihren Charakter so tief in sich trägt. Wer auf die ethnologischen Artefakte schaut, der erkennt: Dieses Andere ist längst unser Eigenes, wie auch umgekehrt.

 

Die Bildwelten aus Orient und Okzident sind heute keineswegs identisch, haben sich aber so sehr durchdrungen, dass ein Wir entstanden ist. Sie haben sich beide auf ihre Weise alle Freiheit dazu genommen.

Von: 
Philip Geisler

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