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Bürgerjournalisten in Syrien

Die Macht der Medienzentren

Feature

Im syrischen Bürgerkrieg beschreiten Bürgerjournalisten einen schmalen Grat zwischen Aufklärung und Propaganda. Die Professionalität der vielen Pressecenter erleichtert und erschwert ausländischen Journalisten das Arbeiten gleichermaßen.

Der syrische Bürgerkrieg ist die Stunde der Autodidakten – und ein solcher ist Mahmoud*. Nie zuvor hatte er eine Videokamera in der Hand, nie zuvor hat er einen Film gedreht. Umso größer ist sein Stolz, als er seine zwanzigminütige Dokumentation über die Kinder von Homs auf seinem Laptop zeigt. Im Unterschied zu den tausenden Clips, die Aktivisten auf Youtube hochladen, lief sein Film jedoch auf dem saudisch finanzierten Satellitensender Al-Arabiya. Mit Anmoderation, Off-Sprecher und kaum von einer professionellen Reportage zu unterscheiden.

 

Gerade sitzt Mahmoud auf dem roten Teppichboden des Medienzentrums einer Kleinstadt, wenige Kilometer von der umkämpften Millionenstadt Aleppo entfernt, aus der er gerade zurückgekehrt ist. »Mir geht es darum, die Geschichten der Opfer und die Verbrechen des Regimes festzuhalten. Das Ziel ist die Demokratie für alle Syrer gleichermaßen zu erreichen und meine Arbeit hat nicht erst mit der Revolution im vergangenen Jahr begonnen«, erklärt er seine Motivation.

 

Im Kreis sitzen mehrere Jugendliche und diskutieren die jüngsten Fernsehbilder, im Abstand weniger Minuten krächzten Stimmen aus dem Funkgerät in der Ecke des Raums. Erst vor zwei Monaten übernahm die Freie Syrische Armee die Kontrolle in dem Ort, das Medienzentrum ist noch immer in den Hinterzimmern eines Ladengeschäfts versteckt.

 

Die Atmosphäre bewegt sich zwischen militärischem Kommandozentrum und Männer-exklusiver Politkommune. »Wir haben inzwischen mehrere Abkommen mit großen Fernsehsendern, die unsere Videos abnehmen. Teils bestehen sie dabei auf Exklusivität der Bilder«, erklärt Tariq*, der Leiter der Gruppe. Für alle Beteiligten ist es ein Gewinn.

 

Auf die Aktivisten strahlt die Glaubwürdigkeit der großen Redaktionen ab und die Sender gelangen an Material, das für eigene Reporter nur schwer zu bekommen ist. »Geld erhalte ich für meine Filme nicht. Gerade sammle ich Material für eine weitere Dokumentation, die ich gerne auch ins Englische übersetzen würde, damit westliche Sender sie zeigen können«, erklärt Mahmoud.

 

Eine Waffe würde er aus Überzeugung nie in die Hand nehmen, betont er. Dass im Pressecenter auch Kämpfer ein- und ausgehen, stört ihn nicht. Man kämpfe ja auf verschiedenen Wegen für die gleiche Sache – und auch Bürgerjournalisten seien auf den Schutz und die militärische Expertise der Milizen angewiesen. In den Augen der Regierungsarmee sind sie jedoch das Sprachrohr der »Terroristen« und werden oft gezielt beschossen.

 

Ohne Fixer wäre das Berichten aus Syrien unmöglich

 

In der Szene der westlichen Krisenjournalisten hat dieses Pressecenter inzwischen einen guten Ruf. Hier können auch Profi-Journalisten kostenlos unterkommen, das langsame Internet ermöglicht den Kontakt zur heimischen Redaktion. In nahezu jeder Stadt im FSA-kontrollierten Nordsyrien haben Oppositionelle inzwischen solche Anlaufstellen eingerichtet – manche von ihnen haben aus dem Bereitstellen von Fahrgelegenheiten und Übersetzern jedoch ein erfolgreiches Geschäftsmodell entwickelt.

 

Denn so genannte Fixer sind die wichtigsten Kontakte für Auslandskorrespondenten – für teils mehrere hundert Dollar am Tag recherchieren sie die effektivsten Routen zu den Hotspots des Krieges, managen Behördenkontakte und organisieren Passierscheine. Ohne sie wäre das Berichten aus Syrien unmöglich. Alle geben sie vor, aus Idealismus zu handeln und doch verfolgt jeder einzelne von ihnen, bewusst oder unbewusst, eine Agenda, das Ziel den Geschichten seiner Geschäftspartner einen gewissen Spin zu geben.

 

Das richtig einzuschätzen ist wohl die größte Herausforderung. Ist das schwarze Schahada-Grafitto an der Wand eines Zentrums bereits ein Bekenntnis zum radikalen Islam, oder nur Ausdruck selbstbewussten Sunnitentums? Tariq betont, alle politischen Fraktionen seien bei ihnen vertreten und die beiläufigen Gespräche mit vielen der anwesenden Aktivisten scheinen ihm Recht zu geben, obwohl auch hier während der wöchentlichen Freitagsdemonstrationen Sprechchöre gegen die USA und Israel zahlreich zu hören waren.

 

Gleichwohl ist ein großer Teil von Tariqs Arbeit weniger an das Ausland, als an die eigene Bevölkerung gerichtet. Über die Facebook-Seite des Pressezentrums werden die Anwohner über Beschlüsse der Stadtverwaltung informiert und mit Nachrichten von der Front versorgt. »Heute versuche ich unsere Leser daran zu erinnern, dass sie die Getreideernte nicht verkaufen, sondern an der Sammelstelle abgeben müssen.

 

Nur so können wir das Essen an alle Familien verteilen«, erläutert Tariq, während er vor seinem Laptop kniet. Bis zu 15 Updates schreibt er pro Tag. Zwar zieht die örtliche Brigade inzwischen auch mit Kämpfern der radikalen Jabhat al-Nosra ins Feld, doch in den späten Abendstunden mischen sich im Medienzentrum »Allahu Akbar«-Rufe, Kindergeschrei und das anti-faschistische Kampflied »Bella Ciao« ineinander. Zumindest hier ist das Gewirr an Meinungen und Ideologien noch weitgehend ungebrochen. *Namen geändert

Von: 
Nils Metzger

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