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Das marokkanische Gesellschaftsdrama Hadda im Heimathafen Neukölln

»Gott, jetzt antworte mir mal!«

Feature

Zwischen Koranschule und Bordell: Das marokkanische Gesellschaftsdrama »Hadda« im Heimathafen Neukölln will, anhand des Schicksals einer jungen Berberin, die gegenwärtige Geschichte Marokkos erzählen.

»Das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits« flüstert der unheimliche Ziegenmann der schönen Hadda zu. Diese steht regungslos mitten auf der Bühne. Um sie herum flattern lange Tücher, auf denen arabische Wörter stehen. Eine Uhr tickt bedrohlich laut – oder ist es etwa eine Bombe? Das Stück von Jaouad Essounani spielt in Marokko. Anhand von der Hauptfigur Hadda, die der Autor als Metapher für sein Heimatland benutzt, will er dem Zuschauer einen ganz anderen Einblick in die Lebenswelten junger Araber gewähren.

 

Wie beeinflussen die politischen Geschehnisse das Leben des Einzelnen? Die junge Frau muss viel erleiden in den kommenden anderthalb Stunden – Kolonialherren, Islamisten und Kommunisten toben sich an ihr aus. Im Dauermonolog mit Gott versucht Hadda auf naiv-humorvolle Weise ihr Leben zu verstehen: »Gott, jetzt antworte mir mal! Wo geht es hier zu dir? Ich weiß, dass du da bist.«

 

In schonungslos deutlicher Sprache sprüht das Stück vor Humor und Energie

 

Zwischen Olivenhainen wächst die Berberin in einem kleinen Bergdorf in der Nähe von Fes auf. Nachdem ein Großgrundbesitzer sie vergewaltigt hat, jagt ihre Familie sie fort. Orientierungslos zieht es Hadda nach Casablanca, wo sie in die Prostitution rutscht. Sie verliebt sich – erst in einen Marxisten, später in einen Imam. Zerrissen von lauter gegensätzlichen Einflüssen, die auf sie einwirken, versucht sie ihren Weg zu finden. Und irgendwie führt sie dieser Weg in einem Bus, mit einem tickenden Koffer auf dem Schoß. Aber, anders als in der marokkanischen Version des Stücks, endet die Geschichte nicht hier.

 

Essounani will provozieren und das gefällt der Regisseurin Lydia Ziemke. Sie reiste ein Jahr lang durch den Nahen Osten, um die dortige Theaterszene kennenzulernen. Zurück in Berlin begann sie Arabisch zu lernen und entwickelte mit anderen Theaterschaffenden die Reihe »Lila Risiko Schachmatt«. Zeitgenössische arabische Autoren wie Essounani, die Ziemke vor Ort traf, lieferten die Texte. Im Heimathafen Neukölln hat Ziemke mit ihrem Ensemble die Stücke auf das deutsche Publikum zugeschnitten, daher das veränderte Ende von »Hadda«. In schonungslos deutlicher Sprache sprüht das Stück vor Humor und Energie.

 

Die drei Darsteller überzeugen, trotz der schwierigen Aufgabe, sich die Figur der Hadda zu teilen. Ohne zumindest ein grobes Verständnis für die marokkanische Geschichte können ein paar Aspekte am Zuschauer vorbeigehen, trotzdem reißt das Stück das Publikum mit – vielleicht muss man auch nicht immer jedes Detail begreifen. »Hadda« ist vielmehr auch eine sinnliche Erfahrung. Die Musik umzingelt den Zuschauer. Manchmal sind es schrille Elektrotöne, die in den Ohren schmerzen, manchmal exotische Tabla-Klänge, die zum Tanzen auffordern. In Wechselwirkung mit den Darstellern untermalt die Musikerin und Produzentin Houwaida Goulli das Stück mit gewaltiger Live-Musik. Wem es gelingt, sich darauf einzulassen, der erlebt einen bewegenden Abend.


Hadda – Ihr Leben eine Grenzüberschreitung

Aus der Reihe »Lila Risiko Schachmatt«

Regie: Lydia Ziemke, Musik: Houwaida Goulli

Mit: Alois Reinhardt, Javeh Asefdjah, Houwaida Goulli

Aufführungstermine: 22. und 23. März 2013

www.heimathafen-neukoelln.de

 


Von: 
Mai-Britt Wulf

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