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Das Treffen im amerikanischen Annapolis

Fünf Seiten unter Tausenden

Analyse

Das Treffen im amerikanischen Annapolis am 27. November 2007 zählt zu den überflüssigsten Kapiteln im israelisch-palästinensischen Friedensprozess. Doch auch in den 27 Jahren zuvor ging es um alles Mögliche, aber nur selten um Frieden.

Es entspricht nicht dem, was man vom Abschlussdokument einer internationalen Konferenz erwartet. Auf fünf schief eingescannten und grau gesprenkelten A4-Blättern finden sich die Rahmenvereinbarungen zur Lösung des Nahostkonfliktes. Hier und da werden sie ergänzt durch kurze, teils unlesbare Anmerkungen, Unter- und Wegstreichungen. An einer Stelle wurde der Begriff Terrorismus geschwärzt, woanders ein paar Sternchen und Kreise oder die handschriftliche Forderung nach der Rückgabe Gilad Schalits hinzugefügt.

 

Zugegeben, es handelt sich hierbei um eine frühe, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Rohfassung des Dokumentes. Die Aufmachung der fünf Seiten wirkt jedoch weitaus bezeichnender als jene Hochglanzfassung, die der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und der israelische Premierminister Ehud Olmert 2007 in Annapolis überreicht bekamen.

 

Aus diplomatischen Floskeln zusammengestückelt spiegelt sie, da waren sich Kommentatoren und Analysten vor vier Jahren einig, vor allem die Verhandlungsmüdigkeit eines 27-jährigen  Friedensprozesses wieder. Flüchtlinge, Grenzen, Siedlungen, der Status von Jerusalem – nichts davon war Gegenstand der Konferenz. Sie war eine Friedenskonferenz ohne Friedensverhandlungen, die als alleiniges Ergebnis das utopische Ziel ausgab, innerhalb des nächsten Jahres alle Probleme des Nahostkonfliktes lösen zu wollen.

 

Medien verspotteten Annapolis als reinen Fototermin. Als Versuch des glücklosen Nahostpolitikers George W. Bush kurz vor Ende seiner Amtszeit wenigstens einen positiven Geschichtsbucheintrag zu ergattern, wurde der Konferenz zu Recht jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen. Doch die Kritik an Annapolis als singuläres Kuriosum eines zwar nicht erfolgreichen,  aber zumindest ambitionierten Friedensprozesses, verschleiert die ernüchternde Historie israelisch-palästinensischer Verhandlungen. 

 

Ein Friedensprozess, der mit seinem Scheitern begann

 

Der nahöstliche Friedensprozess endete nicht nur, er begann auch mit seinem Scheitern. Schon der Erfolg der Osloer Geheimverhandlungen Anfang der 1990er ist in Wahrheit Ausdruck des Misserfolgs israelisch-palästinensischer Kompromissbemühungen. Die Gespräche, die in Folge der Madrider Friedenskonferenz im Jahr 1991 in Washington zwischen Israelis und Palästinensern stattfanden, standen kurz vor ihrem Abbruch.

 

Schon damals war es der israelische Siedlungsprozess, den der palästinensische Chefunterhändler Haidar Abd Al-Shafi als Grund für die Krise der Verhandlungen ausmachte. Yassir Arafat, so berichten die Memoiren palästinensischer Unterhändler, schickte daraufhin ein zweites Team nach Oslo, um sich dort mit Vertretern des israelischen Außenministeriums zu treffen. Dieses mit weit weniger diplomatischer Erfahrung, dafür aber umso mehr Kompromissbereitschaft ausgestattete Team brachte schließlich die Einigung – allerdings zu einem Preis, den außerhalb von Arafats Führungszirkel kaum ein Palästinenser bereit war zu zahlen.

 

Das Team hatte mit dem Segen Arafats so ziemlich alle roten Linien überschritten. Das klare Ziel palästinensischer Souveränität, das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge und einen vordefinierten Zeitplan für die Umsetzung – all dies beinhalte das Übereinkommen nicht. Stattdessen galt von nun an als neues Ziel des Oslo-Prozesses kein konkretes Ziel zu haben. Vom palästinensischen Selbstbestimmungsrecht bis hin zur Farbe der Polizeiuniformen wurden alle Aspekte palästinensischer Selbstverwaltung Verhandlungssache – und damit abhängig von israelischer Zustimmung.

 

Diese Abhängigkeit in Fragen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder der Ausübung von Polizeigewalt wurde zum Konstitutionsmerkmal der Palästinensischen Autonomiebehörde. Ihren Ursprung hat sie, so befindet der palästinensisch-amerikanische Historiker Rashid Khalidi, in der diplomatischen Unerfahrenheit palästinensischer Unterhändler und dem Versäumnis der PLO, zuvor Leitlinien für die Verhandlungen aufzustellen.

 

Der Mythos von Oslo

 

In Europa entstand unterdessen der Mythos von den Osloer Friedensjahren. Das Narrativ von bilateralen Verhandlungen etablierte sich, die über einen mehr oder weniger geplanten Ablauf hinzu Frieden, Wohlstand und Selbstbestimmung führen sollten. Der Verhandlungstisch, an den man in der Regel zurückkehren sollte, die »Partner for Peace«, die Lösung der Kernfragen, wurden zu den ständig wiederholten Floskeln. Sie wurde zur Antipode zum deprimierenden Alltag aus Besatzung, Terror und Siedlungsprozess.

 

Während der israelische Premierminister Jitzchak Rabin längst einen Großteil seiner Bevölkerung gegen sich hatte und seine Politik oft nur mit Hilfe arabischer Abgeordneter durch die Knesset bringen konnte, etablierte sich in den palästinensischen Gebieten Anfang der 1990er das Feindbild einer Clique realitätsfremder Machtpolitiker. Die »Tunesier«, wie man Arafat und seine aus dem tunesischen Exil zurückgekehrte Mannschaft abfällig nannte, taugten im Gegensatz zur lokalen Widerstandsführung nicht als Identifikationsfiguren. Zu kompromisslos war ihr Auftreten gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und zu kompromissbereit gegenüber den israelischen Verhandlungspartnern.

 

Die Osloer Friedensjahre, in denen die Gewaltrate höher stieg als in den Jahren der Ersten Intifada, speisten sich in den Augen der meisten Palästinenser aus Pragmatismus, Korrumpierung und dem Dilettantismus Arafats. 

 

Verhandlungen über Verhandlungen über Verhandlungen

 

Das europäisch-amerikanische Dogma des Verhandlungsprimats, wann auch immer die Lage in Nahost ein bestimmtes Maß an Gewalt überschritt, verlieh den Osloer Jahren eine ganz eigene Charakteristik. Verhandlungen gab es immer wieder dann, wenn außenpolitischer Druck oder innenpolitische Erfordernisse es für Palästinenser oder Israelis als vorteilhaft erschienen ließen.  Auch inhaltlich hatten die vielen Gespräche, Konferenzen und Verhandlungsrunden, welche vor allem die Tagungshotels in den ägyptischen Badeorten Sharm El-Sheikh und Taba auslasteten, selten einen Mehrwert zu bieten.

 

Verhandlungsgegenstand waren nicht visionäre Ziele, sondern immer wieder die Aufschiebung, Aufhebung oder Reanimierung bereits getroffener Vereinbarungen. Allein die Neuverhandlung des Wye-Abkommens von 1998, welches selbst nur ein Folgeabkommen des 1995er Interimsabkommen war, beanspruchte dutzende Termine in Gaza, Tel Aviv und Kairo, zog sich über Monate hin und wurde letztendlich doch nie in die Tat umgesetzt. »Abkommen zur Umsetzung von Abkommen zur Umsetzung von Abkommen«, wie der Journalist Lee Michael Katz es 1999 formulierte, stellten einen Großteil der Osloer Dokumentenmasse.

 

Wie war das noch mit der Zweistaatenlösung?

 

Der Glaube an eine zielgerichtete Verhandlungsführung auf Augenhöhe mag der generell verklärten Erinnerung an Arafat und einer fehlenden Detailkenntnis über die Abkommen geschuldet sein. Ein zweites Problem in der Wahrnehmung Oslos lässt sich dagegen fast nur pathologisch erklären. »False memory syndrome« nennt man jenes Phänomen, welches Menschen glauben lässt, den Fall der Mauer live miterlebt zu haben, obwohl es doch nur die unzähligen Wiederholungen im Fernsehen waren, die sich in ihr Gedächtnis eingebrannt haben. Im Rahmen des Oslo-Prozesses sind es heute die ständigen Wiederholungen des Slogans von der Zweistaatenlösung, die zuweilen auch die Erinnerung von Wissenschaftlern verklären.

 

Das Kerndokument Oslos und zugleich eine Art Gründungscharta des Friedensprozesses ist die Prinzipienerklärung, die Rabin und Arafat im Garten des Weißen Hauses neben einem zufriedenen US-Präsident Bill Clinton und vor einer euphorischen Weltgemeinschaft 1993 unterzeichneten. Die Zweistaatenlösung scheint seitdem das Ziel aller Verhandlungen zu sein. Das Ziel der Zweistaatenlösung findet sich allerdings weder in der Prinzipienerklärung, noch in irgendeinem nachfolgenden Dokument der nächsten zehn Jahre. Weder im Gaza-Jericho-, noch im Interimsabkommen oder in den vielen anderen Verträgen findet das Ziel eines palästinensischen Staates Erwähnung. Und selbst während Amerikaner, Israelis und Palästinenser sich in Camp David an die Endstatusfragen heranwagten, war von einer Zweistaatenlösung als Weg zum Frieden nie die Rede.

 

Der eilig einberufene Fototermin von Annapolis hat somit doch etwas erreicht, was Oslo nie vermochte. Irgendwo zwischen den Unterstreichungen und handschriftlichen Anmerkungen findet sich das »Ziel von zwei Staaten, Israel und Palästina, die in Frieden und Sicherheit Seite an Seite leben«. Sicher klingt auch diese Formulierung in heutigen Ohren wie eine der ewigen Floskeln des Nahost-Friedensprozesses. Doch 27 Jahre nach Beginn der Osloer Verhandlungen, deren Ergebnisse dicke Lederbände in Bibliotheken füllen, war es die unbedeutende Konferenz in einer amerikanischen Marineschule und ein fünfseitiges Fax, die dieses Ziel für Israelis und Palästinenser erstmals festschrieben.

Von: 
Fabian Köhler

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