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Die Angst vor dem Endspiel

Die Angst vor dem Endspiel

Feature

Während die Gewalt in Syrien eskaliert, verfallen viele libanesische Parteien wieder in alte Argumentationsmuster. Die Angst der Bürger, dass der Konflikt übergreift, können sie nicht entkräften.

Die Jahrzehnte des Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1990 haben den Libanon religiös entmischt. Aus ganzen Landstrichen wurden die jeweiligen Minderheiten, ob sie nun Sunniten, maronitische Christen oder Schiiten waren, vertrieben, die Viertel der Hauptstadt Beirut sind ebenso unter den Glaubensrichtungen aufgeteilt. Und doch sitzen am Abend des 19. Juli im mehrheitlich christlichen Vorort Dura die Menschen um die Fernseher und lauschen angestrengt dem der Hizbullah nahe stehenden Satellitensender al-Manar.

 

Gespannt erwartet wird eine Rede des Hizbullah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah, dem sprachgewaltigen Gesicht der schiitischen Partei und Miliz, die es wie kaum eine andere Fraktion im Libanon vermag, Anhänger auf die Straße zu bringen. Im kleinbürgerlichen, von Marienstatuen gesäumten Dura sehen viele Anwohner in ihm einen gefährlichen Menschenfänger. Doch um den Politiker war es ruhig geworden, seit Revolutionen und Aufstände die arabische Welt, insbesondere Syrien, erschüttern.

 

Dass Nasrallah seinem politischen Unterstützer Assad die Treue hält, ist für die Anwesenden klares politisches Kalkül: »Das neue Syrien würde einen Keil zwischen Hizbullah und den Iran treiben. Die wichtigsten Versorgungslinien würden zusammenbrechen«, beschreibt Patrick Manolli, einer der Jugendlichen, die Lage der Hizbullah. Die Lage in Syrien dominiert gegenwärtig die libanesische Innenpolitik und die Gespräche der Bürger.

 

Nachdem es in den vergangenen Monaten bereits mehrfach zu Schießereien zwischen Assad-Gegnern und -Unterstützern in der nördlich gelegenen Stadt Tripoli gekommen war, verhärten sich inzwischen auch die Fronten zwischen den beiden Parteibündnissen 8. März und 14. März, wobei letztere syrischen Einfluss auf den Libanon deutlich ablehnen, erstere jedoch die aktuelle Regierung stellen. Beide Fraktionen hatten sich 2005 formiert, als die libanesische Zedernrevolution die fast 30 Jahre andauernde syrische Militärpräsenz beendete.

 

Während Patrick mit gekünstelter Stimme und erhobenen Zeigefinger den moralisierenden Predigtstil Nasrallahs imitiert, preist das Original in seiner Rede die Tapferkeit der gestern bei einem Attentat ums Leben gekommenen syrischen Generäle. Sie seien Waffenbrüder im Kampf gegen Israel gewesen: »Syrien riskierte seine Bestehen und sein politisches System für den libanesischen Widerstand.«

 

Politisches Spiegelfechten vor Wahlen

 

Aussagen wie diese blockieren seit Wochen die libanesische Innenpolitik, die aufgrund knapper Mehrheitsverhältnisse ein fragiles Konstrukt ist. Samir Geagea, Parteichef der christlichen Lebanese Forces und einer der Wortführer im Bündnis 14. März, bezeichnet seine Gegner von Hizbullah und der Syrischen Sozial-Nationalisten Partei (SSNP) inzwischen nur noch als »Werkzeuge Assads«. Geagea hofft, aus dem Lavieren anderer Parteien politischen Profit schlagen zu können.

 

Während die Lebanese Forces im aktuellen Parlament nur auf acht von 128 Sitzen kommen, konnten sie vergangene Woche eine medial im ganzen Land begleitete Nachwahl in einem Vorort von Tripoli gegen einen pro-syrischen Kandidaten gewinnen – für Geagea ein Omen für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr. Viele Menschen in Dura, eigentlich traditionell Anhänger der Lebanese Forces, sind weniger euphorisch: »Auch den christlichen Parteien liegen die Menschen nicht am Herzen. Sie verkünden, was sie glauben, dass ihre Anhänger es hören wollen und die nehmen es anschließend für bare Münze.«

 

Was diese Rhetorik für den Libanon bedeuten könne, habe kaum einer im Blick, ergänzt Patrick, der wie er selbst sagt, den Tag kaum erwarten kann, an dem er den Libanon verlässt, um im Ausland als Neurochirurg arbeiten zu können. Während Beobachter im syrischen Geschehen immer öfter religiös motivierte Gewalt sehen, steigt auch im Libanon die Angst vor erneuten Kämpfen. Richtig zur Ruhe gekommen, ist das Land nach 1990 nie und noch tragen zu viele Menschen lebhafte Erinnerungen an das Kämpfen und Sterben vor 30 Jahren mit sich.

 

Es sind Menschen wie Patricks Vater, der bis 1980 als Mitglied der christlichen »Tiger-Miliz« gegen syrische Soldaten kämpfte. Er werde den Tag feiern, an dem Baschar al-Assad endlich tot sei, postuliert er von seinem blauen Gartenstuhl aus. Auch wenn von seinem aufgedunsenen Körper keine Gefahr mehr ausgeht, könnte sein Geist jeden Tag erneut gegen all die Kräfte ins Feld ziehen, die die Unabhängigkeit des Libanon bedrohen, seien es nun Syrien, Israel, die USA oder Russland.

 

Salafisten rufen zum Widerstand gegen Hizbullah auf

 

Dabei treten in diesen Wochen auch neue Figuren auf die Bühne der libanesischen Politik. Seit mehreren Wochen demonstrieren in Saida, Distrikthauptstadt im Süden des Landes, die Anhänger des zuvor unbekannten salafistischen Predigers Ahmad al-Assir und blockieren wichtige Straßen. Nachdem im Mai im nördlichen Akkar-Distrikt zwei prominente, Syrien kritische sunnitische Prediger erschossen wurden, gingen in mehreren Städten des Landes orthodoxe Sunniten auf die Straße.

 

Inzwischen avancierte besonders al-Assir zu ihrem Star, indem er lautstark die Dominanz der Hizbullah in der libanesischen Politik kritisiert. Politiker diverser Parteien warnten bereits vor religiösen Ausschreitungen in Saida, insbesondere da es der mehrheitlich sunnitischen Future-Bewegung des früheren Premierministers Saad Hariri nur mit Einschränkungen gelingt, strenggläubige Aktivisten in ihre Reihen einzugliedern. In seinen Reden sprach al-Assir bereits davon, eine »Revolution gegen die Hizbullah« zu starten.

 

Viele seiner jugendlichen Anhänger haben es der Hizbullah noch nicht verziehen, dass sie im Mai 2008 weite Teile der Beiruter Innenstadt handstreichartig besetzten und insbesondere der Future-Bewegung das militärische Genick brachen. Bis heute bleibt Hizbullah die einzige Partei mit nennenswerten Milizkräften. So nimmt der Handlungsdruck auf pro-syrische Kräfte wie die Hizbullah Tag für Tag zu. Ob tatsächlich hinter den Kulissen bereits die Vorbereitungen für ein Umschwenken laufen, wie es manche Beobachter in der libanesischen Presse prophezeien, ist schwer einzuschätzen. Und während die Zukunftsangst der Jugend zunimmt, bleibt das Denken der Alten meist von ihrer Vergangenheit bestimmt.

Von: 
Nils Metzger

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