Suha Arafat lässt den Leichnam ihres Mannes exhumieren und erhebt in Frankreich Anklage wegen Mordes an dem 2004 verstorbenen PLO-Chef. Ein Fall zwischen kriminalistischer Neubewertung und nostalgischer Verklärung.
Diesmal reicht für George Clooney smartes Auftreten nicht aus. Zumindest werden arabische Zuschauer seine Hauptrolle in der Verfilmung der Biografie von »Jassir« hermeneutisch aus- und auf die Goldwaage legen. Denn Jassir Arafat ist für viele Ü30-Araber so etwas wie Marx für Marxisten. Wieso hängen aber dermaßen starke Emotionen an einem Mann, der es zu Lebzeiten versäumt hat – auch wegen seines Egozentrismus – den Nahen Osten zu befrieden? Und warum lassen ihn arabische Medien nun von den Toten auferstehen?
Der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera kennt die Emotionen seines Publikums – und zauberte vor einigen Wochen eine Investigativrecherche aus einem Lausanner Labor: In Haar-, Blut- und Urinrückständen auf Arafats Kleidung wiesen Schweizer Wissenschaftler das radioaktive Polonium-Isotop 210 nach.
An diesem giftigen Stoff – von dem pro Jahr nicht mehr als 100 Gramm aufwendig hergestellt wird – verelendete im Jahr 2006 nachweislich auch der Ex-KGB-Offizier und Putin-Kritiker Alexander Litwinenko in London: Die Einnahme von geringsten Mengen führt zu inneren Blutungen, permanentem Brechreiz, Durchfall, einem langsamen Tod. Doch die Aufarbeitung der Todesumstände des einstigen Freiheitskämpfers ist keine medizinische Frage, sie ist hoch politisch.
Arafats Witwe Suha spielt in der Inszenierung von Al-Jazeera die Hauptrolle, obwohl man ihr eher mit Verachtung begegnet, ja sie als »Hexe« tituliert, als »Göre eines reichen christlich-palästinensischen Handelsclans«, die den »letzten palästinensischen Messias« mit ihrer Gier nach Luxus weichspülte. Vor den Kameras hat Suha Arafat sich also entschlossen, die Leiche ihres Mannes aus dem Mausoleum in Ramallah exhumieren zu lassen.
Nicht um simple Gewissheit oder Gerechtigkeit zu erlangen, denn sie ist eine von mehreren Akteuren im Spiel mit der Legende Arafat. Ihr geht es um Rehabilitation beim palästinensischen Volk – und als B-Promi um ein bisschen Publicity. Doch auch wenn man eine tödliche Dosis Polonium in der Leiche nachweisen würde, ist noch lange nicht bewiesen, wer hinter dem Mord steckt.
Der damalige Machtzirkel um Arafat? Die Hamas? In diesen Fällen wäre es ein Jahrhundertskandal, egal wer das kostbare Polonium-210 geliefert hat. Wenn der Mossad oder die Amerikaner für den Mord verantwortlich gemacht werden könnten, wäre diese Erkenntnis für viele Araber zwar interessant, aber auch nicht mehr als das.
Nostalgischer Kit für panarabische Träume und den Sieg in Palästina
Weil Arafats Konterfei heute noch einige arabische Klassenzimmer und Frisörsalons schmückt, denken Kinder er sei Gott, Erwachsene würden ihn so nennen, käme das nicht einer Gotteslästerung nahe. Dabei spielt seine objektive politische Bilanz keine Rolle, eher denkt man an den großen Chef der PLO und den Klang seiner Stimme für die Palästina-Frage, die über vier Jahrzehnte in der ganzen Welt Gehör fand.
Das Bild des greisen Arafat, wie er mit Tränen in den Augen den Palästinensern, den Muslimen, den Linken, allen Arabern Luftküsse zuwirft, bevor er zum Sterben in ein Pariser Militärkrankenhaus geflogen wird, ist in das kollektive Gedächtnis zwischen Casablanca und Jakarta eingebrannt: Nostalgischer Kit für panarabische Träume und den Sieg in Palästina.
Was für Birma und den Westen Aung San Suu Kyi, ist Arafat weit über Palästina hinaus. Der Bericht von Al-Jazeera und die hitzige Diskussion in arabischen Medien möchten zumindest mit der Arafat-Lästerung aufräumen. Die Botschaft: Er ist trotz aller sündigen Gerüchte weder an AIDS oder Kokain, noch an Altersschwäche gestorben. »Jassir« wird von Al-Jazeera per Labortest zum Märtyrer erklärt.
Die Arabische Liga hat auf ihrem letzten Treffen in Doha ebenfalls das von Al-Jazeera geschnürte Paket ausgepackt und rief den UN-Sicherheitsrat dazu auf zu ermitteln: Mit vereinter Stimme, zur Abwechslung, wie zu besten Zeiten Arafats. Als dieser neue Dreh der Geschichte über arabische Fernsehbildschirme lief, schallte es bestimmt oft und laut: Er ist sowieso unsterblich. Clooney wird es wahrlich nicht leicht haben.