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Filmfestival in Marokko

»Wir profitieren von den Unruhen in anderen arabischen Ländern«

Interview

Ahmed Chahid, Leiter des marokkanischen »Festival International du Film Transsaharien«, im Interview über neue Filme, leere Kassen und wie man mit Pasolini Kino aus und für die Region macht.

Marokkos Filmzentrum liegt mittlerweile in der Stadt Ouarzazate, in der 1983 die ersten marokkanischen Filmstudios, die »Atlas Corporation Studios«, gegründet wurden. Hier dreht Hollywood seine Sandalenfilme wie »Gladiator« und »Alexander«, Bernd Eichinger den »Baader-Meinhof-Komplex« und auch »Die Päpstin« entstand eigentlich nicht in Rom, sondern in Ouarzazate. Das »Festival International du Film Transsaharien« in der südlich von Ouarzazate gelegenen Stadt Zagora legt den Blick jenseits der internationalen Produktionen. Vom 20. bis 25. Oktober 2014 zeigte das Filmfestival in der Wüstenregion zum mittlerweile elften Mal neben marokkanischen auch Filme aus Iran, Afghanistan, Kasachstan, China und Irak.

 

zenith: Ihr Festival nennt sich »Festival International du Film Transsaharien«, also Filme, die durch die Wüste gehen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ahmed Chahid: Wir zeigen Filme, die sowohl geografisch in der Sahara spielen, als sich auch kulturell mit dieser Region beschäftigen. Unser Ziel ist es darzustellen, dass die Kulturen der Sahara anders als die Traumbilder der Europäer sind. Die Sahara hat eine ganz eigene reiche Kultur und eigene Traditionen. Das wollen wir realistischer zeigen. Es geht uns daher nicht nur darum, die Filmwirtschaft dazu zu bewegen, irgendetwas zu drehen. Wir wollen auch das Augenmerk der Filmemacher auf die Themen dieser Region lenken und damit zu deren Entwicklung beitragen.

 

Richtete sich das Festival vor allem an internationale Filmproduzenten oder werden auch die Menschen vor Ort in das Festival eingebunden?

Eine wichtige Zielgruppe sind für uns die Jugendlichen hier vor Ort. Im Rahmen des Festivals haben wir mehrere Workshops vorbereitet, in denen junge Menschen die Möglichkeit hatten, verschiedene Formen des Filmemachens auszuprobieren. Von der Realisierung eines Skriptes, hin zur Kameraführung bis zur Schneidetechnik durften die Jugendlichen ihre eigenen kleinen Filme drehen. Außerdem gehen wir im Rahmen des Festivals in Schulen und zeigen dort einen ausgewählten Film. Wir wollen die Jugendlichen dazu ermuntern, in diesem Bereich auch professionell aktiv zu werden und dort Perspektiven zu sehen.

 

Das klingt sehr optimistisch. Wird die marokkanische Filmindustrie bald von jungen Menschen aus Zagora überrannt werden, die alle Filmemacher werden wollen?

Nein, unsere Idee ist sicherlich nicht, dass alle Schüler aus Zagora später in die Filmwirtschaft gehen sollen. Klar, wenn der eine oder andere sich dazu entscheidet, finden wir das natürlich auch gut. Uns ist aber vor allem wichtig, dass sie sich Filme bewusster anschauen. Leider ging die Anzahl der Kinobesucher und dadurch auch die der Kinosäle in den letzten Jahren stetig zurück. Was allerdings nicht heißt, dass die Marokkaner die Filme nicht zu sehen bekommen.

 


Ahmed Chahid

wurde 1968 in Zagora geboren und hat seinen Abschluss in Literaturwissenschaft an der Universität Agadir erworben. Er ist Präsident des Provinzrats für Tourismus in Zagora und des transsaharischen Filmverbandes (»L'Association Zagora pour le film transsaharien«) sowie Mitbegründer des Filmfestivals.


 

Sie besorgen sie sich also auf dem Schwarzmarkt?

Auf jedem Markt hier gibt es Raubkopien zu erwerben. Wenn eine DVD von einem Film veröffentlicht wurde, wird sie kopiert, kopiert, kopiert und für ganz wenig Geld auf der Straße verkauft. Zu den Aufgaben des staatlichen Institut »Centre cinomategraphic marocain« gehört zwar der Schutz der Autorenrechte gegen Piraterie, aber das ist absolut hoffnungslos. Wenn die Polizei kommt, packen die Händler ihre Ware ein und holen sie wieder heraus, wenn die Luft rein ist. Als die Behörden einmal 10.000 Raubkopien auf den Märkten beschlagnahmt, wurden sie eine Woche später aus dem »Centre cinomategraphic marocain« gestohlen und waren wieder an den Marktständen zu finden.

 

In welcher Lage befindet sich die marokkanische Filmindustrie momentan?

Die Branche ist in den letzten 20 Jahren deutlich gewachsen. Im Jahr 2013 gab es alleine an marokkanischen Produktionen, 25 Spielfilme, 130 Kurzfilme und 70 Dokumentarfilme. Vergangenes Jahr wurden außerdem 21 internationale Spielfilme in Marokko gedreht. Dazu kommen Koproduktionen, beispielsweise mit arte und dem ZDF. Die Industrie wird außerdem vom »Centre cinematographic marocain« unterstützt, das Gelder aus einem Fond für Filmregisseure, Festivals und Kinos vergibt. Heute zählt Marokko neben Nigeria, Ägypten und Südafrika zu den größten Filmproduktionsländern in Afrika.

 

Wo sehen Sie die Gründe für diesen Aufschwung?

Die marokkanische Filmindustrie profitiert von den Unruhen in anderen arabischen Ländern, weil es hier politisch stabil ist. Auch Syrer und Ägypter kommen hierher, um ihre Filme zu drehen, weil es in ihren Ländern momentan zu gefährlich ist. Externe Ereignissen haben unsere Filmwirtschaft aber auch schon früher beeinflusst. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 haben die Versicherer der Filmproduzenten eine höhere Summe verlangt, weil die Region dadurch als unsicher galt. Das hat bewirkt, dass die Dichte der Filmproduktionen in der Zeit danach etwas abgenommen hatte.

 

Wo landet das Geld, das in der marokkanischen Filmindustrie erwirtschaftet wird? Was kommt bei den Menschen an, die in diesen Gegenden leben?

Viele Menschen in unserem Land leben davon. In Ouarzazate arbeiten inzwischen professionelle Komparsen, sie sind sogar in einer eigenen Gewerkschaft organisiert. Außerdem braucht jede Filmproduktion Kulissen, die hier hergestellt werden müssen. Davon profitieren die lokalen Schreiner, Maler und weitere Handwerker. Natürlich wirkt sich eine große Filmproduktion vor allem auch positiv auf die Einnahmen der lokalen Hotels aus.

 

Ihr Festival findet mittlerweile seit elf Jahren statt. Was haben Sie bisher erreicht?

Das Festival ist deutlich größer geworden. Das lässt sich alleine schon an der publizistischen Reaktion messen. Es erscheinen mittlerweile mehr als 100 Artikel über das Festival und damit auch über die Region. Außerdem gab das Festival den Anstoß, ein Kulturzentrum in Zagora zu bauen, in dem Filme gezeigt werden. Das Filmfestival lieferte außerdem ein gutes Argument, den Flugverkehr wieder aufzunehmen. Bereits vor fünf Jahren wurde hier ein Flughafen fertig gestellt, der immer mal wieder geöffnet und geschlossen wurde. Jetzt ist er endlich wieder geöffnet und bietet regelmäßig Flüge von Zagora nach Casablanca an.

 

Welchen Einfluss hat das Festival auf die Filmindustrie?

Es wurden bereits fünf Filme als Resultat des Festivals gedreht, beziehungsweise die Realisierung der Filme auf dem Festival ausgehandelt. Der erste hieß »En attendant Pasolini – Warten auf Pasolini« (2007) und handelte vom Leben eines Komparsen aus Ouarzazate, der im Film »Edipo Re« (1967) des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini mitspielte. Hier wurde wunderbar ein ungewöhnliches Thema aus der Region aufgegriffen. Der Film konnte auch internationale Erfolge feiern.

 

Wie soll sich dir Region in Bezug auf die Filmindustrie weiterentwickeln? Haben Sie da schon konkrete Pläne?

Wir möchten, dass zukünftig ein großer Teil der marokkanischen Filmwirtschaft sich neben Ouarzazate auch in Zagora ansiedelt. Hier wurden zwar schon viele Filme gedreht, aber es gibt noch kein Studio. Wir wollen hier ein Filmzentrum bauen: mit einem Filmmuseum, einem Filmarchiv, Kinos, aber auch Arbeitsräumen für die Postproduktion.

Von: 
Isabelle Büchner

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