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Fluten in Tansania

Hilflose Retter

Feature

Heftige Regenfälle überfluteten in den Weihnachtstagen 2011 die tansanische Hauptstadt Dar es Salaam – und stellten die überforderten Rettungskräfte vor kaum lösbare Herausforderungen. Eine junge deutsche Rettungsassistentin war vor Ort.

Während man in Berlin vergeblich auf weiße Weihnachten hoffte, goss es in Tansanias größter Metropole wie aus Kübeln. Die schlimmsten Regenfälle seit 57 Jahren. Weite Stadtteile Dar es Salaams standen unter Wasser. Während die Media Markt-Werbung fragte, ob Weihnachten nun unterm Baum entschieden wird, hatte die Feuerwehr in Dar es Salaam für die Rettung der Flutkatastrophenopfer nur ein Boot zur verfügen und kein technisches Equipment. 5000 Menschen haben kein Dach über dem Kopf.

 

Tag 1

 

Seit den frühen Morgenstunden regnete es in Strömen. Zwar gaben die Meteorologen Warnungen aus, doch wirklich ernst hat sie keiner genommen. Die Wassermassen rollten über die vielen Wellblechdächer hinunter und strömten in kürzester Zeit durch die Straßen.

 

Janne Börbold, Studentin der HAW Hamburg, die bei Feuerwehr in Dar es Salaam ihr Praktikum absolviert, ist besorgt, sie weiß, dass es in der einzigen Feuerwehrwache der Stadt kaum Gerätschaften gibt, um auf eine eventuelle Flut adäquat zu reagieren.

 

Es gießt weiter. Das Naturschauspiel zieht Hunderte von Schaulustigen auf die Straßen. Viele werden von den Wassermassen mitgerissen, die schnell zu reißenden Flüssen anschwellen. Wer die Gefahr erkannt hat, flüchtet auf das Dach seines Hauses oder auf einen Baum. Fahrzeuge werden von der Straßen gedrängt, Brücken unterspült.

 

Die Feuerwehr rückt aus, Janne ist mit dabei. Sehnsüchtig werden sie von den Flutopfern erwartet, doch sie können kaum etwas tun; es gibt weder ein Rettungsboot, um die vielen Menschen zu erreichen, noch Schwimmwesten. Mit Entsetzen muss Janne feststellen, dass ihre tansanischen Kollegen nicht schwimmen können. Wegen des Wetters kann auch der Polizeihubschrauber nicht starten. Janne findet im Feuerwehrauto – einem ausgesonderten Fahrzeug der Hamburger Feuerwehr, die ihre Kollegen in Dar es Salaam unterstützt – eine Rettungsleine. Sie steigt selbst ins Wasser und wird von ihren Kameraden gesichert. Der Regen strömt ihr übers Gesicht, behindert die Sicht.

 

Immer wieder rufen ihr Menschen von Bäumen und von Dächern zu. So können sie vielen helfen wieder trockene Grund unter den Füssen zu erreichen. Sieben Menschen bringen sie in ein Krankenhaus. Janne ist müde, erschöpft aber glücklich, dass sie etwas tun konnte. Immer noch kann sie es nicht fassen, dass obwohl die 2,6 Millionen-Metropole direkt am Indischen Ozean liegt, ihre hiesigen Kollegen nicht schwimmen können und für derartige Katastrophen völlig unvorbereitet sind.

 

Tag 2

 

Der Regen hat nachgelassen, man kann sich einen ersten Überblick verschaffen: Ein Großteil der tiefer liegenden Stadtteile ist überflutet, das Armenviertel, die Slums, die um die städtische Mülldeponie liegen, stehen komplett unter Wasser. Hunderte von Menschen wissen nicht, dass sie in hochkontaminiertem Wasser stecken. Es findet sich ein Boot, mit dem vor allem Säuglinge und Kinder ins Trockene gebracht werden. Viele sind unterkühlt.

 

Ein Parlamentsabgeordneter, der vor Ort ist fordert ein weiteres Boot an und dazu Schwimmwesten. Nach geraumer Zeit kommen 20 Rettungswesten an, das Boot trifft nie ein. Später ereignen sich mehrere Explosionen in einer Stoffverarbeitungsfabrik, nachdem Wasser in einen Chemikalienbereich eindringt. Die Brandbekämpfung gestaltet sich schwierig, da der »City Fire And Rescue Service« über keinen Atemschutz verfügt. Die Brandbekämpfer haben keine Schutzhandschuhe und tragen größtenteils nur Baumwollwesten statt Kleidung aus feuerfestem Material, die auch Chemikalien standhalten könnte.

 

Janne hat eine Idee für ein Projekt, das sie dem Verein »KAWAIDA – Sozialer Dienst in Afrika« vorstellt, der sie bereits am Anfang ihrer Praktika hier unterstützt hatte: sie möchte unter dem Motto »Feuerwehrleute werden Rettungsschwimmer« ihren Kollegen aus Dar es Salaam das Schwimmen beibringen lassen. Da sie selbst kein Rettungsschwimmer ist, bittet Janne um Unterstützung.

 

Ein Rettungsschwimmlehrgang kostet in Tansania um die 40 Euro. Bis der Staat hier für ausreichende Kurse und Fortbildungen der Rettungskräfte sorgt, kann bereits die nächste Flut kommen, denn im März werden wieder sintflutartige Regenfälle erwartet. Die Presse meldet, dass in Regierungskreisen darüber diskutiert wird, ob und in welchen Umfang präventive Maßnahmen, besseres Equipment sowie spezielle Ausbildung der Rettungskräfte notwendig sind. Ein Teil der städtischen Bevölkerung, vor allem die Armen, fühlen sich von der Regierung übergangen und werfen ihr schlechte und gesundheitsgefährdende Siedlungspolitik vor.

 

Tag 3

 

Man beginnt mit der Bergung von Leichen. Der Regen hat aufgehört, doch in einigen Stadtteilen verwandelte er die Landschaft in ein matschiges Feld oder dreckigen Schlamm, durch den man oft brusttief waten muss. Die Gefahr von Epidemien und Seuchen erhöht sich. Janne hofft, dass bloß keiner der Rettungskräfte krank wird. Von über 20 Toten spricht BBC Africa News, doch die Zahl wird nun viel höher geschätzt.

 

Janne sieht viele Menschen, die noch gestern aus ihren ärmlichen Behausungen flohen und heute wieder zurückkehren. Obwohl die hiesige Presse die Bevölkerung vor möglichen ausbrechenden Krankheiten warnt, ignorieren viele die Gefahr und kehren heim, weil sie Angst vor Plünderungen haben.

 

Abends wird Janne von einem ihrer Kollegen nach Hause eingeladen – ein Haus, das es praktisch nicht mehr gibt, denn auch hier wütete die Flut und hat die Hauseinrichtung komplett vernichtet. Doch die junge Studentin findet es sehr bemerkenswert, dass die meisten Leute über ihre entstandene Misere nicht klagen. Der Satz »Mungu akipenda – wenn Gott will – erklärt hier eigentlich jeden Glücks- oder Unglücksfall – sagt sie. Wahrscheinlich trägt er enorm zur Akzeptanz des Verlustes und zur  allgemeinen mentalen Verarbeitung der Katastrophe bei.

 

Während die Menschen in Dar es Salaam lieber auf Gott ihre Hoffnung setzen als auf die Regierung, so hofft Janne, dass ihr Spendenaufruf »Feuerwehrleute werden Rettungsschwimmer« eine breite Resonanz in Deutschland findet.

Von: 
Paul Lindner

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