Satellitenaufnehmen belegen: Die Jahrhundertflut in Libyen konnte wegen eines entscheidenden Planungsfehlers erst eine solch tödliche Wirkung entfalten.
Angesichts der verheerenden Folgen der Flutkatastrophe in der libyschen Hafenstadt Derna liegt der mediale Fokus vor allem auf den Schäden im Stadtgebiet sowie auf den erschütternden Berichten über Todeszahlen im fünfstelligen Bereich. Inzwischen liegen Vor- und Nachher- Satellitenbilder sowie einige Handybilder vor, die das Ausmaß der Katastrophe verdeutlichen. Die Dimension des Schadens deutet dabei zweifellos darauf hin, dass es sich um weit mehr als eine regenbedingte Überschwemmung gehandelt hat. Ein doppelter Dammbruch flussaufwärts im Wadi Derna hat das verheerende Ausmaß erst ermöglicht.
Beide Dämme sind auf Google Earth gut sichtbar. Der erste befindet sich etwa zwanzig Kilometer landeinwärts im Süden, der zweite gut einen Kilometer vor den Stadtgrenzen.
Darna war in der Vergangenheit immer wieder Schauplatz von Überschwemmungen, die vom Wadi ausgingen, etwa 1941, 1959 und 1968. Das Hochwasser von 1959 scheint dabei besonders katastrophal gewesen zu sein. In den 1960er Jahren wiesen folglich Studien darauf hin, dass zum Schutz der Stadt entsprechende Staustufen errichtet werden sollten. So wurde schließlich in den 1970er Jahren ein jugoslawisches Unternehmen mit dem Bau der beiden Dämme beauftragt. Der obere Al-Bilad-Damm verfügt über eine Speicherkapazität von 1,5 Millionen Kubikmetern Wasser, der untere Abu-Mansur-Damm kann 22,5 Millionen Kubikmeter aufnehmen. Für die Kerndichtung der Dämme wurde verdichteter Lehm verwendet, die Außendichtung besteht aus Stein.
Satellitenaufnahmen dokumentieren nun den Zustand der Dämme nach der Katastrophe. Die Fotos zeigen eindeutig, dass der Al-Bilad-Damm tatsächlich zusammengebrochen ist und weggespült wurde, ebenso wie die folgende Sturzflut durch die freigewordenen Wassermassen.
Der Abu-Mansur-Damm scheint ebenfalls zerstört zu sein, wobei die Satellitenaufnahmen teilweise von Wolken verdeckt werden.
Das wahrscheinlichste Szenario für die Katastrophe: ein Kaskadeneffekt, durch den der erste Damm kollabierte und somit eine Flut von Wasser und Sediment flussabwärts freisetzte. Angereichert mit dem Kanalwasser könnten diese Massen den unteren Damm geflutet haben, welcher ebenfalls eindeutig zusammengebrochen ist.
Ein entscheidender Faktor war auch die Lage des unteren Dammes, flussaufwärts nur einen Kilometer von der Stadt entfernt. Durch diese kurze Entfernung konnte die Flutwelle praktisch nicht mehr abgeschwächt werden, bevor sie Derna mit voller Wucht traf.
Offensichtlich waren die mit dem Sturmtief »Daniel« verbundenen Regenfälle extrem – mehr als 200mm Niederschlag. Dabei entspricht ein Millimeter Niederschlag genau einem Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Diese große Menge könnte die Auslegungskapazität der Staustufen überschritten haben, zumal an einem Tag so viel Regen niederprasselte wie sonst in sieben Monaten. Als Derna 1986 von Überschwemmungen heimgesucht wurde, konnten die Dämme das Wasser so umleiten, dass schwere Schäden in der Stadt vermieden werden konnten. Möglich ist auch eine unzureichende Wartung als Ursache für den Dammbruch. Da es sich bei 50-jähriger Laufzeit um vergleichsweise alte Bauwerke handelt, ist der Aufwand für die Instandhaltung dementsprechend größer.
Schließlich ist die hohe Opferzahl auch indirekt Resultat staatlicher Vernachlässigung – als Folge von politischer Fragmentierung und Konflikt, der auch die Infrastruktur in Mitleidenschaft zieht und somit ohnehin für Naturkatastrophen anfällige Städte wie Derna noch verwundbarer macht. Und so sehr der Fokus derzeit natürlich darauf liegt, die Flutkatastrophe durch Sturmtief »Daniel« zu verarbeiten, liegt die noch größere Bedrohung in der Zukunft: Denn nach der vollständigen Zerstörung der beiden Staudämme ist Derna weiteren Überschwemmungen ungeschützt ausgeliefert.
David Petley ist Vizekanzler der Universität Hull. Auf der Webseite Eos der »American Geophysical Union«, auf der dieser Artikel zuerst auf Englisch erschien, veröffentlicht der Geologe regelmäßig Analysen zu Naturkatastrophen, insbesondere zu Erdrutschen und Überflutungen.