Zyklone und sintflutartiger Regen überschwemmen immer öfter die karge Landschaft Omans. Mit Dämmen stemmt sich das Land gegen die Folgen des Klimawandels.
Schwarze, zerklüftete Felsen durchziehen die Landschaft. Mal ragen sie majestätisch in die Höhe, mal sind es eher Hügel, die scheinbar gerade aus der Ebene emporgedrückt wurden. Tatsächlich wurde das Hajar-Gebirge, eine halbe Autostunde von der Hauptstadtregion Maskat entfernt, vor rund 90 Millionen Jahren aus der Erdkruste unterhalb des Ozeans auf das Gebiet des heutigen Sultanats Oman geschoben.
Nun verändert der Mensch die unwirtliche Gegend für seine Zwecke – und reagiert damit auf die Folgen des Klimawandels. Horden von Baggern graben zwischen den Bergen, ganz in der Nähe der wie dahingewürfelt daliegenden weißen Häuser der Ansiedlung Al-Amarat. Manche der Nutzfahrzeuge schlagen ihre Zähne ganz obenauf in den Fels. Wie Ameisen in einer Urlandschaft wirken die Arbeiter, die inmitten der staubigen Einöde einen Damm errichten.
Ausgerechnet hier, wo scheinbar kein Tropfen rinnt, entsteht eines der künftigen Wasserreservoire des Sultanats. Tatsächlich ist die karstige Gegend immer öfter von Überschwemmungen betroffen – und das gilt nicht nur für Al-Amarat, sondern auch für die belebte Gegend rund um Maskat, unterhalb der Berge bis hin zum Qurum Beach, dem »Hausstrand« der Hauptstadt.
Das omanische Ministerium für Wasserressourcen beobachtet mit wachsender Sorge, wie die Fluten des Wadi Aday regelmäßig die umliegende Landschaft sowie die zu nah ans Flussbett gebauten Häuser zerstören. Weil sie im felsigen Boden nicht versickern können, suchen sich riesige Wellen ihren Weg in Richtung Küste. Seit Mitte der 1980er Jahre zählt das Ministerium im Durchschnitt 1,7 Überschwemmungen pro Jahr, 950 Millionen Liter sollen dabei durchschnittlich durch das Wadi rauschen.
»Jahrelang fällt kein Tropfen Regen«, sagt Markus Jesenko. »Aber dann strömt er in Massen.« Er stemmt die Arme in die Seiten und blinzelt in die Sonne. Der 32-jährige Bauingenieur aus Wien ist technischer Leiter auf der Riesenbaustelle von Damm B6, einem von vorerst sieben Staustufen, die wie Perlen an einer Schnur die Berge der Region Sharqiyyah miteinander verbinden sollen. Ziel ist es, die Gewerbe- und Wohngebiete von Qurum und die Ansiedlung Al-Amarat vor Überschwemmungen zu schützen und, wie es das Ministerium verlautbaren lässt, für die Region »eine weitere wirtschaftliche Entwicklung und attraktive Investitionen zu ermöglichen«.
Ein zentrales Bestreben in Zeiten, in denen sich das Sultanat im Sinne seiner Vision 2040 langfristig von den Öl- und Gasexporten lossagen und neue, nachhaltige Wege beschreiten will – etwa in Sachen Digitalisierung, Logistik und industrieller Fertigung in den Bereichen Petrochemie, Pharmazie oder Stahl.
Welche Rolle der Umweltschutz in diesem Zusammenhang genau spielt, ist allerdings unklar. Zwar betont Sultan Haitham Bin Tariq, der seit Anfang 2020 die Geschicke des Landes lenkt, die Notwendigkeit, die Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und lud im März 2022 zur »Oman Sustainability Week«. Auf der anderen Seite hat er 2020 das Ministerium für Umwelt und Klimaangelegenheiten auflösen lassen. Nach Recherchen von Al-Monitor liegt das Umweltressort nun in den Händen einer Behörde, die regierungsnahe Quellen dem News-Portal gegenüber als »zahn- und machtlose« staatliche Agentur mit »begrenzten Befugnissen und Finanzmitteln« bezeichnen. Das nährt Befürchtungen, dass das wirtschaftliche Wohlergehen des Staates mehr zählen könne als mögliche Umweltschäden.
Wie sehr die klimatischen Änderungen sich auf das Schicksal des Landes auswirken, ist jedoch spätestens seit dem Schlüsseljahr 2007 klar: Damals richtete Gonu, der bisher stärkste bekannte tropische Wirbelsturm im Arabischen Meer, Schäden in Höhe von rund vier Milliarden US-Dollar an. Mehr als 50 Omanis verloren ihr Leben. Seither hatte der Zyklon eine Reihe von Nachfolgern: Mekunu traf 2018 die Küstenregionen, Shaheen setzte die fruchtbare Al-Batinah-Ebene im Oktober 2021 unter Wasser. Anfang 2022 herrschte in den Ebenen rund um Maskat nach sintflutartigen Güssen abermals Land unter.
Die Ursache liegt in der Erwärmung der Wasserschichten an der Küste von 27 auf 30 Grad Celsius bis zu einer Tiefe von 50 Metern unter der Meeresoberfläche. Die Energie, die durch verdampfendes Wasser freigesetzt wird, lässt Wirbelstürme entstehen – mit verheerenden Folgen entlang der rund 3.000 Kilometer langen Küste Omans. Am Qurum Beach in der Hauptstadt zeigen sich deutliche Spuren in der Nähe der Wadis: Die betonierten Wege hinab zum Strand sind unterspült, liegen in Teilen kreuz und quer, die Erde wurde von den letzten Regenfällen abgetragen. Von den Bergen führt einer der breiten Wasserwege ins Meer durch einen Mangrovenwald unweit des Opernhauses – auch dieses städtische Naturschutzgebiet ist durch die ständigen Sturzfluten gefährdet.
Diese Entwicklung erhöht den Druck, das Dammprojekt, dessen Planung nach dem Zyklon Gonu begann, in Bälde fertigzustellen. Einer der sieben Dämme ist seit 2017 in Betrieb und füllte sich zwischenzeitlich derart, dass er überzulaufen drohte. »Ich hab’s vorher nicht glauben können, bis ich die Wassermengen sah«, sagt Bauingenieur Markus Jesenko. Umso überzeugter verfolgt er die Arbeit an Damm B6: Zwischen den schwarzen Felsen soll der heftige Regen künftig zurückgehalten und in nützliche Bahnen gelenkt werden, anstatt Zerstörung anzurichten. Reservoire im Hajar-Gebirge sollen dabei helfen, Felder zu bewässern und Nutztiere wie Ziegen zu tränken. Denn wenn der Himmel gerade nicht seine Schleusen öffnet, leidet Oman unter Hitze und Wassermangel.
Ein einfach klingender Plan, der aber einige Tücken aufweist. Markus Jesenko hat seinen weißen Allradwagen auf dem Geröll der Baustellenstraße geparkt. Er streicht mit der Hand über die Oberfläche eines Hügels, die schnell dahinbröselt. »Die Erosion hat diese Schicht derart weich werden lassen, dass Vögel darin ihre Nester bauen. Darunter findet sich allerdings richtig harter Fels. Den tragen wir hier gerade fleißig ab – und das dauert«, erklärt der Mann mit dem gepflegten Bart. Seine momentane Arbeit ist noch neu für ihn, bis vor kurzem hat er für den international tätigen, deutsch-österreichischen Baukonzern Strabag in Chile Tunnel gegraben. »Aber mein Chef meinte, mit Dämmen müsse ich mich auch auskennen.« Und so hat Jesenko gelernt, sachlich mit den Gegebenheiten des Landes umzugehen und manches gelassen zu nehmen, was in der Heimat kaum einer verstehen würde.
Das können Wünsche der Omanis sein, die gründlich hinschauen, wenn die Arbeiter aus der Fremde am Werk sind: Kabel müssen einbetoniert, Felsen akribisch »abrasiert« werden. »An manchen Stellen würde ich ja einiges stehen lassen, aber das möchte man hier nicht«, sagt Jesenko. Außerdem kommt den Bauarbeitern immer wieder Unvorhergesehenes in die Quere: Ein Bauer hat sich im künftigen Dammgebiet mit Ziegen und Schafen auf einem kleinen Feld niedergelassen – »das Land gehört ihm nicht und dennoch will er nicht weichen, auch für die 120.000 Rial, umgerechnet etwa 280.000 Euro, nicht, die ihm die Regierung bietet«, erzählt der Baustellenleiter achselzuckend. Ein paar Felsenecken weiter ragen Strommasten direkt neben den Geröllhalden empor, auf denen die Bagger am Werk sind. »Diese Leitung wurde gelegt, als der Dammbau schon beschlossen war. Jetzt gehen wir so nah dran wie möglich und hoffen, sie bald wieder entfernen zu können.«
Im Oman trägt Markus Jesenko mehr Verantwortung, als es in Europa der Fall wäre, denn vor Ort fehlt es an einheimischen Bauingenieuren. Und so muss er beispielsweise organisieren, wann wo und wie viel gesprengt wird – und dass dann auch Bagger da sind, um den Schutt abzutransportieren. Mit den Arbeitern aus Indien, Bangladesch und Pakistan kommt er gut zurecht: »Die haben alle eine eigene Matratze in ihrem Container für vier Leute – das ist hierzulande nicht unbedingt üblich. Deshalb sind sie gern bei uns beschäftigt. Einen Heimflug bekommen sie alle zwei Jahre.«
Bisher ist erst das zentrale Fundament längs zwischen den Felsen ausgegossen
Eine firmeneigene Regel, die Strabag für sich aufgestellt hat, lautet: Alles, was für die Baustelle gebraucht wird, muss wieder verschwinden. Das gilt nicht nur für die Mischmaschinedie den Zement für den Damm mit Eis kühlt, sondern auch für die unweit gelegene, langgestreckte Moschee aus weiß gestrichenem Holz. »Wir mussten sie für die Arbeiter bauen. Aber die Ziegel, die ich dafür bestellt habe, liegen auf Halde – eine gemauerte Moschee hätte nicht wieder abgerissen werden dürfen«, erklärt der Bauingenieur.
Er fährt zurück zu den Containern, in dem die Büros für die Organisation des Dammbaus untergebracht sind. Ein Jahr hat es gedauert, bis es hier Internet gab – vorher mussten die Mitarbeiter Mails von ihren Unterküften in Maskat aus schreiben. Sultan Shekali sitzt am Computer, kalkuliert den Baustellenbedarf und erzählt in einer kurzen Pause: »Ich habe wie Markus als Trainee bei der Strabag angefangen. Ein Glück für mich, dass ich mit dem Dammbau eine sinnvolle Aufgabe gefunden habe. So bin ich jetzt in einer besseren Lage als viele meiner Landsleute, die einen Job suchen.«
Oman umwirbt Investoren, die den Einheimischen Arbeitsplätze bieten. Strabag blickt in diesem Zusammenhang auf eine lange Präsenz im Land zurück. »In den 1970er Jahren begannen wir, Straßen im Oman zu bauen – inzwischen sind es fast 10.000 Kilometer. Hinzu kamen die Dämme sowie Brücken und Start- und Landebahnen der Flughäfen«, erzählt Martin Prochiner. Er ist für Strabag seit drei Jahren als Projektleiter im Oman im Einsatz. »Die Anforderungen ändern sich. Und wir haben immer mehr omanische Mitarbeitende, denen wir unser Know-how weitergeben.«
Er weiß, dass die Erwartungen an die externen Spezialisten im Land hoch sind: So soll beispielsweise der Damm B6 im Mai 2023 fertig werden. »Sportlich«, befindet Bauingenieur Markus Jesenko und schaut skeptisch. Bisher ist erst das zentrale Fundament längs zwischen den Felsen ausgegossen, an anderer Stelle werden aber bereits kilometerlange Rohre verlegt, die verhindern sollen, dass der Damm überläuft. So wachsen die unterschiedlichen Teile zusammen, bis sie am Ende ein Ganzes bilden. Noch kann niemand genau sagen, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist – und wie viele Dämme danach noch nötig sind, damit Oman der zerstörerischen Wassermassen Herr werden kann.