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Interview mit Zyad El-Elaimy von der ägyptischen Revolutionsjugendkoalition

»Demokratie braucht keine Kühe«

Interview

Zyad El-Elaimy von der ägyptischen Revolutionsjugendkoalition sitzt für die Sozialdemokraten im Parlament. Im Interview erzählt er von lebender Revolutionsdeko und der Arbeit als Abgeordneter neben Salafisten, Muslimbrüdern und Militär.

zenith: Herr El-Elaimy, Sie sind seit einigen Tagen in Deutschland mächtig unterwegs…

Zyad El-Elaimy : Ja, ich war in Tübingen auf dem Arabischen Filmfestival, dann war ich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hamburg eingeladen, hier in Berlin habe ich auch viele Termine. Aber das muss sein, die Menschen hier sollen verstehen, was bei uns passiert. Außerdem spreche ich in Deutschland mit vielen Exilägyptern, ich finde es wichtig, den Kontakt zu ihnen zu halten.

 

Fühlen Sie sich dabei nicht wie im Wanderzirkus?

Irgendwo schon, aber ich bin ja nicht nur hier, weil die alle von mir etwas wollen, ich möchte ja auch was von denen haben. Die Welt ist viel kleiner als man denkt und wenn bei uns etwas passiert, berührt das euch hier auch. Wir – die Revolutionäre – lassen uns bestimmt nicht instrumentalisieren, von niemandem, aber wir ziehen gerade in unser letztes Gefecht, deswegen machen wir überall Werbung für unsere Ideen und unsere Ziele.

 

Während hier in Europa, aber auch in den USA viele freundlich klatschen, überweisen Katar und Saudi-Arabien schön Petrodollar an Ihre politische Konkurrenz.

Ja, das ist frustrierend und der politische Wettbewerb ist dadurch nicht fair. Um die Menschen zu überzeugen, muss ich aber nicht tausende Kühe schlachten und das Fleisch verteilen. Meine Wahlkampagne hat mich nur ein Drittel von diesem Kuh-Budget der Muslimbrüder in meinem Wahlbezirk gekostet, die Menschen haben mich trotzdem gewählt.


Zyad El-Elaimy,

 

 

ist 32 Jahre alt und Revolutionär der ersten Stunde und sitzt für die Sozialdemokratische Partei Ägyptens seit Januar 2012 im Parlament.


 

Dennoch würden der Fairness halber einige Euros nicht schaden.

Die Amerikaner und die Europäer haben da eine andere Strategie. Sie verbünden sich pragmatisch mit demjenigen, der gerade an der Macht ist, egal wer das ist. So einfach ist das. Nicht so wie unsere Kollegen aus Katar und Saudi-Arabien. Europäer und Amerikaner wollen nicht auf Teufel komm raus irgendjemanden zur Macht verhelfen, egal wie nah oder fern diese Partei oder jene Gruppe zu westlichen Werten steht.

 

Werte?

Es ist wichtiger Ideen, Konzepte, Werte zu unterstützen. So wie es zum Beispiel manche deutsche Stiftungen in Ägypten gemacht haben.

 

Jetzt ja nicht mehr unbehelligt.

Weil sie nicht mit den Menschen kommuniziert haben. Da kommt jemand aus Deutschland und gibt deutsche Steuergelder in Ägypten aus, auch für gute Dinge. Aber die Leute wissen so gut wie nichts darüber. Dann kommt die staatliche Propagandamaschine und erzählt den Menschen, dass das Spione sind. Natürlich glaubt das jeder! Wenn Ihr etwas Gutes für das ägyptische Volk tun wollt, redet doch wenigstens mit den Leuten.

 

Aber lassen Sie uns lieber über ägyptische Politik reden.

Politik! Politiker! Das sind die beiden Dinge im Leben, die ich hasse. Ich bin quasi Zwangspolitiker, um meine Mission als Revolutionär weiter zu verfolgen. Sonst sind Politiker doch nur Leute, die vieles versprechen, obwohl sie genau wissen, dass das alles nicht einzuhalten ist.

 

»Die Menschen sind verwirrt, frustriert, verunsichert«

 

Das sagen Sie als Politiker, was denken dann normale Menschen?

Dazu habe ich eine schöne Geschichte: Neulich war ich in Kairo in einem Taxi, ich habe den Fahrer gefragt, wem er seine Stimme bei den Präsidentenwahlen zu geben gedenkt. Er antwortete trocken: Omar Suleiman. Ich war geschockt und habe ihn gefragt, warum er die rechte Hand von Mubarak an die Macht wählen möchte. Da antwortete er, dass nur Omar Suleiman den Durchmarsch der Muslimbrüder stoppen kann. Als ich ihn gefragt habe, wen er bei den letzten Parlamentswahlen gewählt hat, antwortete er wieder trocken: die Muslimbrüder. Die Menschen sind verwirrt, frustriert, verunsichert.

 

Aus Ihrer Sicht haben ja damals zu viele das Kreuz an der falschen Stelle gesetzt.

Eigentlich hätten wir alle erstmal gar nicht wählen sollen, wir wollten eine neue Verfassung und dann erst Parlamentswahlen. Aber das Militär, die Muslimbrüder und die Salafisten wollten unbedingt zuerst wählen lassen. Nun haben wir ein Parlament, dessen Befugnisse unklar sind, weil wir keine klare Verfassung haben. Und noch schlimmer, bald werden wir einen Präsidenten haben, der nicht weiß, was er zu tun hat und noch schlimmer: Was er nicht zu tun hat!

 

Der Präsident kann dann lange auf die Bedienungsanleitung warten, die Kommission zur Verfassungsreform wurde ja aufgelöst.

Beim Referendum hieß es: »Das Parlament soll einen Ausschuss ins Leben rufen« und wir haben wieder keine Ahnung was das bedeuten soll. Deswegen haben sich viele geweigert, in einer Kommission mitzuwirken, die nicht mal weiß, was sie wie zu tun hat, darunter meine Partei aber auch das Verfassungsgericht, die Azhar-Universität und die koptische Kirche machen nicht mit. Als Muslimbrüder und Salafisten alleine in der Kommission saßen, standen sie plötzlich dem Rest der Gesellschaft gegenüber. Und wer darf sich wieder als Retter in Not inszenieren? Der Militärrat, der als »Vater seine Kinder versöhnt«. Wegen dieser Gemengelage sage ich immer: Wir sind inmitten und nicht am Ende einer Revolution.

 

Ohne Geld. Ohne Verfassung. Aber mit viel Utopie?

Wir haben keine Wahl.

Von: 
Mohamed Amjahid

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