Seit einer Woche tobt der Kampf nun auch in Damaskus. Unbestätigte Bilderfluten und Informationen überstrapazieren die Berichterstattung, aber wie geht es jenen, die in ihren Häusern ausharren – eine Korrespondenz mit syrischen Freunden.
Der nervöse Einstieg in ein Gespräch zwischen Krieg und Frieden beginnt mit einer rhetorischen Frage – »Alles in Ordnung?« – dann – »Fallen die Bomben wieder?« – »Seid ihr in Sicherheit?« und Ähnliches. Das Ausmaß der Ungewissheit komprimiert auf den Inhalt eines Chatfensters. Facebook, der moderne Allzweckbegleiter von Revolutionen; jetzt verbinden soziale Medien jene in Sicherheit mit Verwandten und Bekannten, deren Sicht nicht weiter als bis zum nächsten Häuserblock reicht.
Was vielen das Herz bricht, ist Damaskus, die alte Dame, nun unter partiellen Bombenhagel leiden zu sehen. Viele, die fliehen, hätten nie damit gerechnet, einmal gezwungen zu sein, dem Souk, der Altstadt und den Straßen voller Erinnerungen so den Rücken zu kehren. In einem Post auf Facebook heißt es: »Was ist die schwierigste Trennung? – Die Trennung von seinem Vaterland.« Seit sieben Tagen reißt die Flüchtlingswelle besonders in den Libanon nicht ab, von über 30.000 Grenzübertritten allein in diesem Zeitraum ist die Rede. Mit Beginn des Konflikts in Damaskus sind die Straßen Beiruts voller syrischer Autos.
»Jetzt kannst du überall durch Zufall sterben«
16 Monate lang drang nur vereinzeltes Geschützfeuer zu den Ohren der Damaszener, nun erwartet die ganze Welt den Showdown in der Hauptstadt. »Aber Damaskus ist noch nicht Homs«, sagt ein Student, der in der Innenstadt Flüchtlinge in einer verlassenen Schule versorgt. Die humanitäre Hilfe und die Essensvorräte reichen noch eine Weile aus. Es fehlt aber an Geld, um sich mit der nötigen Versorgung einzudecken und außerdem sind die Wege durch die Gassen gefährlich. Noch vor einer Woche war es kein Problem auf dem Markt im Viertel Midan oder beim nächsten Krämer einzukaufen.
Als Beirut 2006 in Flammen stand, funktionierten die Souks auch weiterhin. Trotzdem erledigen die Damaszener in diesen Tagen ihre Pflichtgänge am besten in den Morgenstunden, in der Nacht bleiben die Türen der Wohnhäuser verschlossen. Kleinere Schießereien in der Nachbarschaft werden zur bizarren Gewohnheit, dennoch, der Student fügt hinzu: »Jetzt kannst du überall durch Zufall sterben.«
Auch die Zukunft malen die Damaszener mit düsteren Farben: »Es wird gefährlicher werden in den kommenden Monaten. Stell Dir mal vor, alle sind bewaffnet in den Straßen.« Nachdem die Sicherheitsapparate des Regimes vertrieben sind – und an diesem Ausgang hat kaum jemand Zweifel – fehlen Kommandoorgane, um die Bevölkerung zu schützen und Ordnung zu schaffen.
Neben den Kampfschauplätzen schleicht sich ein sanitäres Problem ein, welches auf die Situation der Einwohner der größeren Städte Syriens verheerende Auswirkungen haben dürfte. Am Samstag teilt der Student mit: »Der Müll ist überall, sogar in dem Viertel, wo es keine Auseinandersetzung gibt.« In Homs soll es durch diesen Zustand vermehrt zu Erkrankungen und erhöhter Seuchengefahr gekommen sein.
»Verdammt, es wird wieder gebombt«
»Es geht hier das Gerücht um, dass das Regime den Soldaten Gasmasken mit auf den Weg gibt und sie dann irgendeine chemische Scheiße benutzen werden«, schreibt ein Freund am Mittwoch. Er sitzt mit seiner Familie zusammen, lauscht den Helikoptern. Der Kampf mit chemischen Waffen wird den Assad-Getreuen immer wieder zugeschrieben. Dass sie wie auch die Rebellen über derartige Munition, in welchem Ausmaß auch immer, verfügen, bezweifelt mittlerweile niemand mehr.
Wichtiger ist die Frage, ob diese letzte Konsequenz schon irgendwo zum Einsatz kam, wie unbestätigten Berichten zufolge in Baba Amr in Homs. »Das Lustige ist, dass sie Anleitungen in der Stadt verteilen, wie man sich eine eigene Gasmaske baut oder wie man bei jemanden den sicheren Tod feststellt, wenn er beschossen oder geköpft wurde. Inspirierendes Zeug. Hilft das?«, fragt er. Hilft das? – Sein schwarzer Humor auf jeden Fall. Das Chatfenster poppt erneut auf: »Verdammt, es wird wieder gebombt.«