Omar Kamil dechiffriert die Rezeption Sartres, Rodinsons und Toynbees durch die arabische Intellektuellenwelt zwischen 1945 und 1967. Herausgekommen ist ein differenziertes Bild auf einen zuvor scheinbar monolithischen Block der Hasshüter.
Amin al-Husaini dominiert bis heute vielerorts die Diskussionen über und die Auseinandersetzungen mit der Frage, warum »die« arabische Welt den Holocaust nicht als ein singuläres Ereignis in der Menschheitsgeschichte und losgelöst vom israelisch-palästinensischen Konflikt begreift, reflektiert und diskutiert.
Kaum eine Publikation zu diesem Thema kommt um diesen rothaarigen Hassprediger aus einer angesehenen Jerusalemer Notablenfamilie herum, der als SS-Mitglied während des Zweiten Weltkrieges mit der Organisation und dem Aufbau der SS-Divisionen »Kama« und »Handschar« beschäftigt war, die ausschließlich aus »Muselgermanen« bestand. Auch in Gilbert Achcars monumentalem Werk »Die Araber und der Holocaust«, in der dieser das Dickicht der Narrative über Shoah und Nakba entflechtet, spielt al-Husaini eine Rolle.
Amin al-Husaini wird nur eine Gastrolle zuteil
In Omar Kamils Werk »Der Holocaust im arabischen Gedächtnis. Eine Diskursgeschichte 1945-1967« hat er indes allenfalls eine Gastrolle inne. Stattdessen steht die Rezeption Jean-Paul Sartres, des Orientalisten Maxime Rodinson und des Universalhistoriker Arnold Toynbee durch arabische Intellektuelle im Vordergrund.
Kamil zeigt auf, wie jeder einzelne dieses Trios durch die Intellektuellen zwischen Bagdad und Beirut, Kairo und Damaskus wahrgenommen wurde: Sartre lediglich als entschiedener Gegner des europäischen Kolonialismus und nicht auch als derjenige, der sich der Solidarität mit den Opfern des Antisemitismus verschrieben hatte.
Rodinson, dessen Eltern in Auschwitz ermordet worden waren, lediglich als denjenigen, der Israel als Kolonialstaat bezeichnete und nicht auch als denjenigen, der deutlich auf die unterschiedlichen historischen Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und Holocaust hinwies sowie die Anerkennung der jüdischen Katastrophe anmahnte.
Sowie Toynbee lediglich als denjenigen, der die Vertreibung der Palästinenser durch den zionistischen Jischuv im Vergleich zum fabrikmäßigen Völkermord an den Juden Europas durch die deutschen Nationalsozialisten als moralisch verwerflicher brandmarkte.
Jenseits der Konkurrenz von Leiderfahrungen
Hierdurch macht Kamil nicht nur deutlich, in welch selektiver Art und Weise das komplexe Gedankengut Sartres, Rodinsons und Toynbees wahrgenommen, dechiffriert und rezipiert wurde, sondern auch, wie im Untersuchungszeitraum von 1945 bis 1967 das intellektuelle Establishment der arabischen Welt zu großen Teilen die Nivellierung des Holocaust vorantrieb, diesen mit der Kolonialisierung des Maghreb und der Levante gleichsetzte.
Das Ergebnis war und ist ein Kokon des Hasses, in das weitere Generationen von Intellektuellen hineingeboren wurden und werden, wodurch die wissenschaftlich-kritische Reflexion beider Ereignisse unmöglich erscheint, ist doch die Konkurrenz von Leiderfahrungen weiterhin vorherrschend.
Kamils Verdienst liegt jedoch nicht nur darin, diesen Missstand aufzuzeigen, sondern auch Ausnahmeerscheinungen wie Sadik Jalal al-Azm, Elias Murqus, Mustafa al-Husseini und Dawud Talhami zu nennen, die sich infolge des Sechstagekrieges aus dem Kokon des Hasses, »dem Sog des eigenen Opfernarrativs«, wie er es nennt, zu lösen und ohne Scheuklappen auf die Geschichte zu blicken.
Dadurch entsteht ein differenziertes Bild auf einen zuvor als monolithischen Block der Hasshüter erschienen Berufsstand – und ein besseres Verständnis für die Wahrnehmung des Holocausts in der arabischen Welt.