Die Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten im Westjordanland zeigen die wirtschaftliche Dimension der israelischen Besatzung. Die ökonomische Asymmetrie wirkt sich auch auf das Investitionsverhalten palästinensischer Unternehmer aus.
Die ökonomischen Beziehungen zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten sind weitestgehend im so genannten Pariser Protokoll geregelt, das Teil der Oslo-Vereinbarungen aus den 1990er Jahren ist. Es lässt der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nur wenig Spielraum für die Gestaltung einer eigenen Wirtschaftspolitik, vor allem da die PA aufgrund der gemeinsamen Währung, des Neuen Israelischen Schekel (NES), keine eigene Währungspolitik betreiben kann.
Das Abkommen sieht unter anderem vor, dass Israel die Wareneinfuhren in die Gebiete kontrolliert sowie Zölle und Steuern für die PA einzieht. Die Mehrwertsteuer in den Autonomiegebieten ist an die Mehrwertsteuer in Israel gekoppelt. Die Autonomiebehörde ist zudem auf Renten der internationalen Geldgeber angewiesen, die einen wesentlichen Beitrag des Haushaltes stellen.
Israels Premier Netanjahu hat darüber hinaus das Ziel des »ökonomischen Friedens« ausgegeben. Demzufolge soll ein kontrolliertes Wirtschaftswachstum in den Autonomiegebieten einen gewissen Lebensstandard sichern, was wiederum die politischen Ambitionen der Palästinenser schmälern soll.
Als Folge wird den Palästinensern im Westjordanland auch vor Augen geführt, dass sie mit der falschen Regierung, nämlich der im Gazastreifen regierenden Hamas, keinen solchen Aufschwung genossen hätten. Zugleich verhindert die israelische Politik laut einem vor kurzem veröffentlichten Bericht der Weltbank auch Wachstum, da Israel weiterhin Zone C, die etwa 60 Prozent des Territoriums des Westjordanlandes umfasst, samt ihrer Ressourcen und landwirtschaftlichen Fläche kontrolliert.
Die Zoneneinteilung des Westjordanlandes hat noch weitere Folgen für die wirtschaftlichen Aktivitäten dort: Zone C, das größte und ressourcenreichste sowie zudem einzig zusammenhängende Gebiet im Westjordanland, ist für palästinensische Bauprojekte praktisch nicht zugänglich, Genehmigungen hierfür sind von den israelischen Behörden kaum zu erhalten.
Dies hat zur Folge, dass sich unternehmerische Aktivitäten in erster Linie in Zone A, sprich in den größeren Städten konzentrieren – allen voran in Ramallah, wo in den vergangenen Jahren im Zuge des Baubooms viele neue gehobener Restaurants und Hotels entstanden.
Kaum Exportmöglichkeiten für die palästinensische Wirtschaft
Somit konzentriert sich die palästinensische Bevölkerung zunehmend in Zone A – was bei einer möglichen zukünftigen Grenzziehung eine Rolle spielen dürfte. Die Einteilung des Westjordanlandes in A-, B- und C- Gebiete wurde im Interimsabkommen von 1995 festgeschrieben. Dieses sah die schrittweise Übertragung des Landes an die Autonomiebehörde über einen Zeitraum von 5 Jahren vor.
Auch wenn dieser Prozess nicht vollendet wurde, ist das Interimsabkommen als zentrale Vereinbarung zwischen Israel und den Palästinensern weiter in Kraft. Die im Pariser Protokoll festgelegte Kontrolle der Wareneinfuhren durch Israel und das Verbot für die PA, Einfuhrzölle unter der israelischen Höhe festzulegen, sichert Israel den wichtigen palästinensischen Absatzmarkt.
Bereits im Zuge des Abzugs aus dem Gazastreifen 2005 übten daher die israelische Handelskammer und Industrieverband Druck auf die Regierung aus, weiterhin die Einfuhren in den Gazastreifen zu kontrollieren. Die Palästinenser im Westjordanland bleiben so darauf angewiesen, die teuren Industrieprodukte aus israelischer Herstellung zu kaufen.
Bei jeder zukünftigen Lösung des Konflikts wird die israelische Regierung daher wahrscheinlich wieder darauf achten, dass der palästinensische Markt für israelische Waren geöffnet bleibt. Gleichzeitig ist es schwierig, palästinensische Produkte in andere Länder als Israel auszuführen – auch weil die palästinensischen Gebiete über keinen eigenen Flug- oder Seehafen verfügen.
Über 80 Prozent der Exporte gehen nach Israel. Angesichts der eingeschränkten Exportmöglichkeiten bleiben die Autonomiegebiete weiter fest in das israelische Wirtschaftssystem eingebunden. Der Aufbau von wichtigen Außenhandelsbeziehungen, in erster Linie zu den arabischen Staaten, wird so behindert.
Ein Fünftel der Haushalte ist von einem Arbeitsplatz bei der PA abhängig
Außerdem ist ein nennenswerter Industriesektor praktisch nicht vorhanden – Während der ersten drei Quartale im Jahr 2011 trug er nur 12,7 Prozent zum palästinensischen Bruttoinlandsprodukt bei. Die Bemühungen der PA, Investoren anzuwerben, werden durch Israels Kontrolle der Ressourcenverfügbarkeit und Warenbelieferung stark eingeschränkt.
Eine geringe Produktion in den palästinensischen Gebieten kommt jedenfalls dem israelischen Interesse entgegen, für die eigenen Produkte möglichst wenig Konkurrenz auf dem palästinensischen Markt zu finden. Umso wichtiger ist die Palästinensische Autonomiebehörde als Arbeitgeber. Ein Fünftel der Haushalte ist direkt oder indirekt abhängig von einem Arbeitsplatz bei der Behörde.
Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung hat somit ein tiefes Interesse am Fortbestand der PA als größter Arbeitsplatzbeschaffer. Auch die israelische Regierung ist auf die Autonomiebehörde angewiesen. Ihre Einrichtung in den 1990er Jahren im Zuge des Oslo-Abkommens reduziert heute die Kosten und den Verwaltungsaufwandes der Besatzung beträchtlich.
Die Konzentration der Beschäftigung im öffentlichen Sektor durch die PA erfüllt also auch das israelische Interesse nach einer festen Stellung der Autonomiebehörde in der palästinensischen Gesellschaft. Indem Israel Steuern und Zölle im Namen der PA einzieht und an diese weiterleitet, kann sie diese für eine bestimmte Politik abstrafen.
Ebenso kann sie der PA kurzfristig Geld zufließen lassen, was bei den jüngsten Protesten in Form von Vorschüssen auf diese Steuergelder geschehen ist. Die israelische Regierung kann so nicht nur für eine kleine finanzielle Abhilfe sorgen, sondern auch vermeintlich guten Willen zeigen, ohne der palästinensischen Seite tatsächlich etwas geschenkt zu haben.
Es zeichnet sich also ab, dass die israelische Unternehmerschicht und Regierung ein Interesse daran haben, bei einer politischen Einigung mit den Palästinensern weiter wesentlichen Einfluss auf die Ausrichtung der palästinensischen Wirtschaft auszuüben. Das bietet potenziellen palästinensischen Investoren kaum Planungssicherheit.
Auch die bereits bestehenden Einschränkungen durch die Politik der israelischen Regierung sowie die Zerstückelung von Territoriums und Ressourcen von Zone C führen dazu dass, Unternehmer statt in produzierende Branchen eher in den Bausektor investieren oder sich an den diversen dienstleistungsorientierten Projekten in Ramallah beteiligen, da so schneller Gewinne zu erzielen sind.
Ein Projekt mit einem Potenzial für 50.000 Arbeitsplätze
Die hohen Grundstückspreise vor allem in Zone A sowie die hohen und unkalkulierbaren Kosten, die durch den bürokratischen Aufwand mit israelischen Behörden und komplizierte Transportverfahren entstehen, haben außerdem zur Folge, dass viele palästinensische Unternehmer ihre Geschäfte ins Ausland verlegen.
Wegen der mangelnden Bereitschaft zu größeren Investitionen sind die meisten palästinensischen Firmen Kleinunternehmen mit einer durchschnittlichen Mitarbeiterzahl von nur vier Angestellten. Die Autonomiebehörde bemüht sich daher um ausländisches Kapital. Im Jahr 2003 wurde mit Unterstützung des IWF und der Weltbank der »Palestine Investment Fund« (PIF) gegründet.
Er investiert das Kapital, das ihm von der PA übertragen wurde, in Public-Private-Partnerships (PPP) und soll so, nach eigener Darstellung, die heimische Wirtschaft durch nachhaltige Investitionen stärken. So entwickelt der PIF beispielsweise derzeit erste Pläne, mithilfe ausländischer Direktinvestitionen ein Tourismusressort am Toten Meer zu bauen.
Der Tourismussektor birgt großes Potenzial im Westjordanland. Laut einer Schätzung der Weltbank könnte das Projekt bis zu 50.000 Arbeitsplätze schaffen. Da das Gebiet jedoch in Zone C des Westjordanlandes liegt, hat es keine Aussicht auf Realisierung. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation mit einem ausländischen Investor ist die Zusammenarbeit des Fonds mit dem kuwaitischen Telekommunikationsunternehmen Wataniya International.
Als Wataniya damals bereits 270 Millionen Euro in die nötige Ausrüstung investiert hatte, hatte die israelische Regierung noch nicht alle zugesagten Frequenzen freigegeben. Bei den Verhandlungen über die Freigabe der weiteren Frequenzen schaltete sich Tony Blair als Sonderbeauftragter des Nahostquartetts ein. Mohammad Mustafa, Vorstandsvorsitzender und CEO des Fonds, bemüht sich, die Arbeit des PIF als Teil der nationalen Sache darzustellen: »Mit den Frequenzen wurde auch ein Teil des palästinensischen Raumes befreit. Heute sind es die Frequenzen, morgen wird es das Wasser sein und als nächstes das Land.«




