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Phosphatabbau in Tunesien

Zu Fuß von Köln nach Gafsa

Feature

Um auf die Umweltschäden durch den Phosphatabbau in seinem Land aufmerksam zu machen, wählt ein Tunesier aus Köln einen extremen Weg: Aus der Domstadt macht er sich auf in seine Heimatstadt Gafsa im tunesischen Süden – zu Fuß.

1.822 Kilometer. Zwei Kontinente und zwei Klimazonen, ein Meer, Wälder und Gebirge. Es ist eine Strecke, die man problemlos mit dem Flugzeug bewältigen kann. 1.882 Kilometer liegen zwischen Köln, der Metropole am Rhein, und Gafsa, einer Kleinstadt im Südwesten Tunesiens, am Rande der Sahara. Genau dorthin zieht es den 32-jährigen Fahd Mlaiel aus Köln: Nach Gafsa, das mit seinen 85.000 Einwohnern mitten in einer der »vergessenen Regionen« liegt, wie die Tunesier die Städte im verarmten Binnenland nennen.

 

Gafsa ist die Heimatstadt des gebürtigen Tunesiers Mlaiel, der seit sieben Jahren in Deutschland lebt. Nun möchte er dorthin zurückkehren – doch er wählt nicht den bequemen Weg: Mlaiel wird zu Fuß von Köln nach Gafsa gehen. 1.822 Kilometer. Mit seiner auf den ersten Blick aberwitzigen Idee will Mlaiel vor allem eines erreichen: Aufmerksamkeit für die Lage seiner Heimatstadt Gafsa und den umliegenden Städten.

 

Er möchte den Blick der Öffentlichkeit auf Probleme jenseits von politischen Rangeleien zwischen der islamistischen Übergangsregierung und der Opposition lenken. Auf einen Umweltskandal, der eine ganze Region langsam, aber sicher zerstört. »Der Arabische Frühling ist in aller Munde, doch kaum jemand hat von der verheerenden Umweltkatastrophe gehört, die seit Jahrzehnten in der Region Gafsa wütet«, sagt Mlaiel. »Die Zustände dort sind erbärmlich«, erklärt der hagere 32-Jährige. Gafsa liegt inmitten eines riesigen Phosphatbeckens.

 

Auf 6.000 Quadratkilometern wird hier der wichtigste Bodenschatz des Landes gefördert: Rund ein Drittel seines BIP erwirtschaftet Tunesien mit der Förderung und dem Export von Phosphat. Waschpulver, Futtermittel, Dünger, Farbe: Phosphat ist überall begehrt – und das kleine Mittelmeerland Tunesien steht weltweit auf dem fünften Rang der Produzenten, acht Millionen Tonnen produziert Tunesien pro Jahr. Gafsa und die umliegenden Städte leben nahezu ausschließlich von der Phosphatförderung.

 

Die liegt fest in der Hand zweier mächtiger Unternehmen: Die »Compagnie des Phosphates de Gafsa« (CPG) und die »Groupe Chimique Tunisien« (GCT) sind beide halbstaatlich – und teilen sich einen Verwaltungsrat. »In Gafsa lebt man nicht von der CPG, man stirbt an ihr«, sagen Mitarbeiter des Phosphat-Riesens resigniert.

 

Jährlich landen durch die Phosphatreste 10 Millionen Kubikmeter verunreinigtes Wasser in den Haushalten von Gafsa

 

Denn die Förderung des kostbaren Bodenschatzes fordert ihren Tribut von den Menschen in der Region: Um eine Tonne Phosphat exportfähig zu machen, werden fünf Tonnen Wasser benötigt. Mindestens 1,5 Tonnen davon gelangen nach der Reinigung ins Grundwasser – in Form von Schlamm, der Phosphatreste enthält und langsam versickert. »Landwirtschaft ist auf diese Weise kaum möglich«, sagt Fahd Mlaiel besorgt und gibt zu bedenken, dass Gafsa in einer extrem trockenen Region liegt.

 

Der wenige Regen, der hier fällt, werde durch den hohen Schadstoffausstoß bei der Phosphatförderung sauer. Jedes Jahr landen durch die Phosphatreste 10 Millionen Kubikmeter verunreinigtes Wasser in den Haushalten von Gafsa. Auch das Ministerium für regionale Planung gibt in einem offiziellen Papier zu, dass im Bereich der Wasserwirtschaft und im Umgang mit der knappen Ressource Wasser Handlungsbedarf bestehe – konkrete Schritte werden jedoch weder genannt noch unternommen.

 

Mlaiel ist besorgt: »Die Gesundheit der Bewohner von Gafsa und den umliegenden Städten leidet extrem unter dem achtlosen Umgang mit der Natur.« Entzündungen der Atemwege, starke Lungenentzündungen schon bei Kindern, Missbildungen bei Neugeborenen und Nierenerkrankungen sind in der Region keine Seltenheit. Ein Tabu liegt Mlaiel besonders am Herzen: In der gesamten Gegend um Gafsa ist eine ungewöhnlich hohe Krebsrate zu beobachten. »Beim Phosphatabbau wird auch radioaktive Strahlung freigesetzt. Da es keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen gibt, ist die Bevölkerung dieser Strahlung völlig hilflos ausgeliefert.«

 

Er selbst habe zahlreiche Familienmitglieder durch Krebs verloren, erzählt Mlaiel, sein Vater und ein Onkel seien auch schon erkrankt. Tatsächlich ist die ungewöhnlich hohe Krebsrate in Gafsa und Umgebung ein Tabuthema in Tunesien. Das Landwirtschaftsministerium mauert bei Anfragen zum Thema ebenso wie das Gesundheitsministerium. Wissenschaftliche Studien oder offizielle Zahlen zur erhöhten Krebsrate liegen nicht vor – zumindest nicht der Öffentlichkeit.

 

Könnte das Phosphat nicht auch unterirdisch gelagert werden?

 

Ein Besuch in Gafsa macht schnell deutlich, woher Mlaiels Sorge rührt: Über den ursprünglich weiß getünchten Häusern scheint ein gelblich-grauer Schleier zu liegen, in der Luft liegt ein latent beißender Geruch, der durch die extrem trockene Luft noch verstärkt wird. Von den Häusern am Rande der löchrigen Straßen bröckelt der Putz – alles wirkt marode. Nicht nur auf den Fassaden hat das Phosphat seine Spuren hinterlassen: Die Zähne vieler Bewohner sind gelb-bräunlich, auch die vieler Kinder. »Das kommt von all dem Gift im Trinkwasser«, sagt ein älterer Herr, der von einem Café aus auf die fast leere Straße blickt.

 

Auch auf die schlechte medizinische und technische Versorgung vor Ort will Mlaiel mit seinem Gang von Köln in seine tunesischen Heimat aufmerksam machen: Es gibt weder eine Krebsstation noch Messgeräte, um die Radioaktivität und Luftverschmutzung zu kontrollieren. »Die Unternehmen vor Ort wollen sich natürlich nicht in ihre Praktiken hineinreden lassen«, sagt Mlaiel.

 

Ein Grund mehr für ihn, mit seiner Aktion die Öffentlichkeit auf die Missstände hinzuweisen. »Wir brauchen unabhängige Forscher, die die Zustände vor Ort untersuchen, um weiteren Schaden anzuwenden«, so seine Hoffnung. Nicht nur auf die negativen Folgen der Phosphatförderung für die Bewohner seiner Heimat spielen für Mlaiel eine Rolle, er stellt auch Alternativen zur Debatte: »Ich fordere keineswegs das Ende des Phosphatabbaus«, erklärt er, »doch es gibt auch andere Wege«.

 

Einen Tunnel könnte man bohren, schlägt Mlaiel vor, der Gafsa mit dem 150 Kilometer entfernten Meer verbindet. So würden die spärlichen Wasservorräte geschont. Die Lagerung des Phosphats könnte unterirdisch erfolgen – bisher lagert der Bodenschatz in riesigen Halden unter freiem Himmel, sondert Dämpfe und Radioaktivität ab. Noch ist Fahd Mlaiel in Köln, seinen Job in einem Fünf Sterne-Hotel wird er für seinen Gang nach Gafsa aufgeben.

 

»Ich habe sieben großartige Jahre in Deutschland verbringen dürfen, jetzt möchte ich Platz machen für andere«, sagt Mlaiel. Seit vier Jahren arbeitet er schon an seinem Gafsa-Projekt: Viele seiner Vorhaben scheiterten, oft stieß er auf Desinteresse. Doch mit seiner so einfachen wie ungewöhnlichen Idee, zu Fuß in seine Heimat zurückzukehren, stieß er schnell auf Interesse: 15.000 Unterstützer folgen ihm bereits jetzt auf Facebook, ein Tunesier und ein Deutscher haben angekündigt, ihn bei seinem Gang zu begleiten.

 

»Ganz fremde Menschen bieten etwa an, mich bei sich aufzunehmen«, erzählt Mlaiel begeistert. Von unterwegs wird er seine Unterstützer über soziale Netzwerke auf dem Laufenden halten. Auf welche Reaktionen er in seiner Heimat stoßen wird, weiß Mlaiel noch nicht: »So weit denke ich jetzt auch noch nicht«, sagt er, »mein Weg ist das Ziel«. Es wird ein langer Weg. 1.822 Kilometer lang.

Von: 
Katharina Pfannkuch

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