Lesezeit: 9 Minuten
Prestigeerfolg der Hamas im Gaza-Minikrieg

Grüne Brise in Ramallah

Analyse

Nach dem Prestigeerfolg der Hamas im Gaza-Minikrieg bemüht sich die Fatah durch Zugeständnisse gegen den Bedeutungsverlust im Innern. Auch dem Gang vor die UN verlieh die Annäherung an den Rivalen Gewicht.

Wieder einmal schaute die Welt während der Operation »Säule der Verteidigung« auf den Nahostkonflikt, auf die scheinbar immer gleiche Spirale der Gewalt zwischen »Israel« und »den Palästinensern«. »Die Palästinenser«, das war in den vergangenen Wochen meist der Begriff, mit dem die Mitglieder der im Gazastreifen regierenden Hamas bezeichnet wurden.

 

Fast vergessen wurde darüber die zweite palästinensische Regierung, nämlich die der Palästinensischen Autonomiebehörde in Teilen des Westjordanlandes. Deren Präsident, Mahmud Abbas, nahm weder an den Verhandlungen in Kairo teil, noch reiste er wie etwa der ägyptische Ministerpräsident und der tunesische Außenminister zu einem Solidaritätsbesuch nach Gaza. Stattdessen schüttelte er die Hände von Hillary Clinton und Guido Westerwelle in Ramallah.

 

Diese Symbolik zeigt nicht nur, wie die regionalen Machtverschiebungen zugunsten islamistischer Parteien auch der Hamas Aufwind bringt. Sie bestätigt auch das Bild, das viele Palästinenser von der PA-Regierung haben, nämlich dass diese auch eine Vertreterin der Interessen des Westens und Israels ist.

 

Die Rufe nach einer Auflösung der Autonomiebehörde wurden in den vergangenen Monaten immer lauter

 

Im Gegensatz zur Hamas, die für den bewaffneten Kampf gegen die Besatzung steht, wird die PA mit der Suche nach Verhandlungslösungen assoziiert. Sie selbst ist ein Kind der Oslo-Vereinbarungen, woraus sie ihre Legitimität bezieht. Dass sich die Situation in den besetzten Palästinensischen Gebieten seit Oslo und allen darauf folgenden Verhandlungsrunden verschlechtert hat, ist nur ein Grund, weshalb die Autonomiebehörde immer größere Schwierigkeiten hat, ihr Fortbestehen zu rechtfertigen.

 

Die alleinige Gewalt hat die Palästinensische Autonomiebehörde ohnehin nur über 18 Prozent des Westjordanlandes. Zurzeit leidet sie unter einer schweren Finanzkrise, und während der Proteste gegen die hohen Lebenshaltungskosten vor einigen Wochen richtete sich die Wut der Demonstrierenden in erster Linie gegen Premierminister Fayyad. Zudem verringert die Existenz der Behörde die Kosten und den Aufwand der Besatzung für die israelische Regierung.

 

Daher werden auch palästinensische Rufe lauter, die eine Auflösung der Fatah-geführten PA fordern. Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen, so die Argumentation, werde Israel erst dann einer annehmbaren Lösung zustimmen, wenn es selbst die Kosten und den administrativen Aufwand für die Besatzung zu tragen hat.

 

Im Jauch’schen Sonntagabendtalk wurde zwar der deutsch-palästinensischen Politikwissenschaftlerin Sawsan Chebli das Wort abgeschnitten, als sie diese Forderung äußerte. Doch selbst manche Minister des Kabinetts Netanjahu befürworten mittlerweile eine Auflösung der PA, wenn auch aus anderen Gründen. Es verwundert daher kaum, dass die Nervosität in Ramallah groß ist.

 

Die Gaza-Offensive und der damit einhergehende Prestigegewinn der Hamas goss zusätzlich Öl ins Feuer. Bei täglichen Demonstrationen in Ramallah wurde die grüne Fahne der Hamas geschwenkt. Erstaunlich hierbei ist, dass die PA die Demonstrierenden gewähren ließ, ist doch die Hamas die größte politische Rivalin der Fatah. Zwar unterzeichneten die beiden Parteien im Mai 2011 ein Versöhnungsabkommen, doch praktische Schritte folgten daraus bis jetzt nicht. So fanden beispielsweise die Kommunalwahlen vom Oktober unter dem Boykott der Hamas und somit auch nur im Westjordanland statt.

 

Die Türen der PLO öffnen sich

 

Was den Umgang mit der Hamas betrifft, steckt die Fatah in einer Zwickmühle: Einerseits weiß sie, dass die Hamas in den Augen vieler Palästinenser als einzige glaubwürdig für den Widerstand gegen die israelische Besatzung eintritt. Andererseits riskiert die Fatah mit einer Nähe zur Hamas, dass sie die Unterstützung des Westens verliert sowie Repressionen durch die israelische Regierung.

 

In welche Richtung soll sie ihre Segel also setzen inmitten eines grünen Fahnenmeers in Ramallah? Während Abbas vor den Kameras die Hände westlicher Außenminister und des UN-Generalsekretärs schüttelt, vollzog sich eine bemerkenswerte Annäherung der Fatah an die Hamas. Die PA unterließ es nicht nur, ihre Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden einzusetzen, die Hamas-Fahnen schwenkten und Lieder wie »Bomabamdiert Tel Aviv!« spielten.

 

In einer Verlautbarung des Kabinetts wird zudem das Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte gegen diese Demonstrationen verurteilt, das zu zwei Todesopfern geführt hat. Die Stellungnahme des Kabinetts verurteilt Israels Aggression aufs Schärfste, kein Wort der Kritik richtet sich an die Hamas. Fatah und Hamas haben zudem jeweils eine Amnestie für alle politischen Gefangenen verkündet, die seit den innerpalästinensischen Ausschreitungen von 2007 festgehalten werden.

 

Mahmud Abbas und Mustafa Barghouti, 2005 Zweitplatzierter hinter dem Präsidenten,  bezeichneten die israelische Offensive als gegen das gesamte palästinensische Volk gerichtet. Das Ziel scheint also klar zu sein: Der Kompass zeigt in Richtung Versöhnung und nationale Einheit. Und die ist für die nationale Sache der Palästinenser und eine mögliche Gründung eines Staates in den Grenzen von 1967 zwar kein hinreichendes, aber doch ein notwendiges Kriterium.

 

Besonders beachtenswert in diesem Zusammenhang ist die Einladung von Abbas an Vertreter der Hamas, an Sitzungen des Exekutivkomitees der PLO teilzunehmen. Die PLO wurde 1974 als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes von der UNO anerkannt. 1993 folgte die Anerkennung der PLO als einzige Vertreterin der Palästinenser durch Israel. Sie vertritt, im Gegensatz zur PA, auch die Palästinenser außerhalb der besetzten Gebiete.

 

Als Dachorganisation für die verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen leidet ihre Legitimation jedoch darunter, dass vor allem die Hamas, die 2006 immerhin die Wahlen in den gesamten Gebieten gewann, nicht zu ihren Mitgliedern zählt.

 

Gemeinsam organisierte Wahlen werden wieder einmal zur Bewährungsprobe

 

Zwischen der Teilnahme an Sitzungen der PLO und einer Mitgliedschaft liegt zwar ein weiter Weg. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Hamas bei Sitzungen einer Organisation teilnimmt, die schon vor Jahrzehnten das Existenzrecht Israels anerkannt hat und sich für eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Grenzen von 1967 einsetzt. Dass die Hamas mit Fatah und PLO an einem Tisch sitzt, verlieh auch Abbas’ Gang vor die UN-Vollversammlung bei der Abstimmung am gestrigen Donnerstag mehr Gewicht.

 

Die Unterstützung des UN-Antrags bekundete Khaled Mashaal, Vorsitzender des Hamas-Politbüros im Exil, außerdem persönlich gegenüber Mahmud Abbas in einem Telefongespräch. Laut einer Verlautbarung der Hamas müsse der Antrag auf einer »nationalen Strategie« beruhen, die die »unveräußerlichen Rechte der Palästinenser« anerkennt – und das Recht auf Widerstand müsse gewahrt bleiben.

 

Abbas vertritt die Palästinenser nun nicht mehr im Namen der PLO vor den Vereinten Nationen, sondern reiste mit einer Delegation hochrangiger Politiker nach New York, die über keine formale Legitimation verfügen. Die Vertretung aller Palästinenser, einschließlich derer im Exil, durch die PLO hat die UNO somit im Stillen untergraben. Im Ergebnis muss die Delegation wohl als Vertreterin der Autonomiebehörde in Ramallah angesehen werden.

 

Mit einem positiven Ergebnis der Abstimmung hat die PA daher ihre Popularität fürs Erste wieder steigern können. Viel wird sich jedoch durch das UN-Votum nicht ändern und der momentane Jubel im Westjordanland wird verfliegen, denn die Hindernisse für die Gründung eines palästinensischen Staates bleiben unverändert bestehen. Spätestens bei der Organisation gesamtpalästinensischer Wahlen wird sich zeigen, ob sich die frische Brise, die momentan zwischen Fatah und Hamas weht, wieder verzieht oder ob tatsächlich ein neuer Wind in Palästina weht.

Von: 
Nadine Schnelzer

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.