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Robert Byrons »Der Weg nach Oxiana«

Abenteuer Architektur

Feature

Robert Byrons »Der Weg nach Oxiana« von 1937 liegt wieder auf Deutsch vor. Auf der Suche nach den Ursprüngen islamischer Architektur stellt der Orientreisende zahlreiche Kulturdenkmäler vor – und unterhält den Leser dabei bestens.

»Seit drei Tagen lese ich Proust (und stelle fest, dass sich Details zügellos und infektionsartig in dieses Tagebuch einschleichen). Seine Schilderung, welch hypnotisierende Wirkung der Name Guermantes auf ihn hatte, erinnerte mich daran, wie mich der Name Turkestan hypnotisierte. Es begann im Herbst 1931. Die Wirtschaftskrise war in vollem Gang, die Stimmung in Europa unerträglich düster, man fragte sich, ob der Kommunismus die Lösung sei, und der einzige Ausweg schien mir eine Villa in Kashgar zu sein, in der mich die Post nicht erreichen würde.«

 

Die Gründe, die den Briten Robert Byron im Sommer 1933 veranlassen, nach Vorderasien zu reisen, unterscheiden sich zuerst nicht von denen anderer westlicher Besucher jener Epoche: Politische Instabilität in der Zwischenkriegszeit und der Wunsch, ihr durch einen Aufenthalt in Iran und Afghanistan, speziell in Afghanisch-Turkestan, zu entfliehen. Der »Orient« stellt – auch durch die Lektüre der Bibel und von Tausendundeiner Nacht – eine attraktive Gegenwelt dar: Er lockt mit der Exotik seiner Völker, Kulturen und Landschaften, seiner Jahrtausende alten Geschichte und der ihm angeblich inne wohnenden Zeit- und Konfliktlosigkeit.

 

Robert Byron, 1905 in London geboren und Nachfahre des berühmten britischen Dichters gleichen Namens, erliegt wie viele andere westliche Intellektuelle auch dem Reiz des Fremden, der sich in Namen wie »Oxanien« ausdrückt. Letzterer, auf Englisch »Oxiana«, bezeichnet die Region um den Grenzfluss Amudarja (dem antiken »Oxus«) zwischen Afghanistan auf der einen und Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan auf der anderen Seite. Doch die Neugierde Byrons, der einst wegen hedonistischen und widerspenstigen Verhaltens vom Studium in Oxford ausgeschlossen wurde, bleibt nicht an der Oberfläche.

 

Während die meisten Reisenden darauf hoffen, im Orient eine Zeit lang »abzuschalten« und auf das Märchenland ihrer Kindheit und Jugend zu treffen, hat Byron ein wirkliches, tiefer gehendes Interesse an Vorderasien. Seine Leidenschaft gilt der Architekturgeschichte des iranischen Kulturraums. »Monatelange könnte man sie studieren, ohne ein Ende zu finden. Vom elften Jahrhundert an haben Architekten und Handwerker die Wechselfälle der Stadt festgehalten, den Wandel von Geschmack, Regierung und Glauben.

 

Die lokalen Verhältnisse spiegeln sich in den Bauwerken. Das macht ihren Reiz aus, den Reiz der meisten alten Städte. Aber einige illustrieren unabhängig voneinander allerhöchste Kunst und stellen Isfahan in eine Reihe mit jenen wenigen Orten, die, wie Athen oder Rom, die ganze Menschheit bereichern.« Das schreibt Byron über seinen Aufenthalt in der früheren iranischen Hauptstadt Isfahan. Sein Buch »Der Weg nach Oxiana« schildert seine Erlebnisse zwischen August 1933 und Juli 1934.

 

Von Venedig über Zypern, Palästina, Syrien und den Irak reist der Brite über zehn Monate mal allein, meist aber mit seinem Freund und Kollegen Christopher Sykes, Biograf des »deutschen Lawrence« Wilhelm Wassmuss (1880-1931), mehrfach durch Iran und Afghanistan. 1936 überarbeitet Byron sein Tagebuch während eines längeren Aufenthalts in Peking und publiziert die Aufzeichnungen ein Jahr später unter dem Titel »The Road to Oxiana«. Die erste deutsche Übersetzung kommt 1948 auf den Markt. Erst 2004 erscheint in der Anderen Bibliothek eine neue, von Matthias Fienbork übersetzte Ausgabe. Diese ist nun als »Extradruck« wieder aufgelegt worden.

 

Byrons Erkenntnisse machen neugierig

 

Ihre Lektüre ist lehrreich. Denn sie übertrifft die Erwartungen, die man gewöhnlich an das Reisebuch eines westlichen Autors über den Nahen und Mittleren Osten hat. Byrons »Der Weg nach Oxiana« ist zwar wie andere Reiseberichte auch in Tagebuchform geschrieben und enthält viele abenteuerliche Erlebnisse: Dass Sykes und er per Auto, Lastwagen und Pferd durch abwechslungsreiche Landschaften – Berge, Wüsten, Täler – reisen; an Ruhr und Fieber erkranken; für Spione gehalten und festgenommen werden; sich als Einheimische verkleiden, um Heiligtümer, die für Nichtmuslime verboten sind, zu erkunden; dass sie Archäologen und Touristen, Diplomaten und hohen Beamten, Bauern und Nomaden, überhaupt vielen Völkern, Arabern und Juden, Persern und Aserbaidschanern, Turkmenen und Usbeken, begegnen.

 

Byron, der sich durch Lektüre und zahlreiche Reisen in Europa und Asien ein großes Wissen in Kunst- und Architekturgeschichte erworben hat, fährt aber auch in den Iran und nach Afghanistan, um die Ursprünge islamischer Baukunst zu studieren. Er bereist dafür viele Orte und besucht antike, mittelalterliche und moderne Sehenswürdigkeiten – im Iran etwa Teheran, Tabriz, Maschhad, Isfahan, Schiras und Persepolis; in Afghanistan Herat, Mazar-i-Scharif, Kunduz, Bamiyan und Kabul.

 

Was er sucht, sind die Verflechtungen der verschiedenen Kulturen, der hellenistischen, persischen, indischen und chinesischen, in der Architektur. So gesehen ist Byron auch als Forscher unterwegs, und das »offenen Auges« – etwas, was er an den »modernen Reisenden«, diesen »langweiligen Pseudowissenschaftler[n]« kritisiert, »die von Versammlungen bedeutungsloser Amtsträger entsandt werden, zu prüfen, ob Sanddünen singen und Schnee kalt ist«.

 

Byron gelingt es im Gegensatz zu jenen, seine Begeisterung für antike und mittelalterliche Architektur auf den Leser zu übertragen. Man will die detailliert geschilderten Stätten sehen – wie die 1618 von dem Afscharen Nadir Schah erbaute Scheich-Lutfullah-Moschee in Isfahan; das Gunbad-i-Qabus, ein 52 Meter hohes Mausoleum für den 1012 verstorbenen Ziyariden-Herrscher Qabus im Nordosten des Iran oder das Mausoleum von Gouhar-Schad im afghanischen Herat.

 

Die 1457 verstorbene Schwiegertochter des turkstämmigen Eroberers Timur war damals eine der wenigen bedeutenden Frauen in der islamischen Welt. Es ist eines der großen Verdienste Robert Byrons, dass er die (Kultur-)Geschichte der von ihm bereisten Gebiete anhand ihrer Bauwerke zu erzählen vermag. Und seine Erkenntnisse machen neugierig – umso mehr, als dass sie wohl nur Experten bekannt sind und von neueren Historikern wie dem Briten Michael Axworthy umgangen werden: Byron macht auf die große Bedeutung der turkstämmigen Herrscherdynastien für den iranischen Kulturraum aufmerksam.

 

»Man fragt sich, welche Verhältnisse einen solch genialischen Entwurf [des kleineren Kuppelraums in der Isfahaner Freitagsmoschee; Anm. d. Red.] hervorbrachten. War es der Einfluss eines neuen zentralasiatischen Denkens auf die alte Zivilisation der Hochebene, ein Produkt nomadischer Energie und persischer Ästhetik? Die Seldschuken waren nicht die einzigen Eroberer Persiens, von denen ein solcher Einfluss ausging. Vor ihnen die Ghaznawiden, nach ihnen die Mongolen und Timuriden, sie alle kamen aus Transoxanien, und jede dieser Dynastien initiierte eine neue Renaissance auf persischem Boden. Selbst die Safawiden, unter denen sich die letzte und kraftloseste Phase der persischen Kunstgeschichte herausbildete, waren ursprünglich Türken.«

 

»Hier zeigt sich Asien endlich ohne Minderwertigkeitskomplex«

 

Einen krassen Gegensatz zu solchen Ausflügen in die Architekturgeschichte Irans und Afghanistans bilden Byrons kritische Äußerungen über die Herrschaft von Reza Khan, der den Kadscharen Ahmad Schah 1925 mit britischer Unterstützung absetzt und sich mit ihrer Hilfe und der schiitischer Geistlicher zum neuen Schah des Iran erhebt. Reza Schah versetze die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Sie fürchte den Herrscher, der gnadenlos jeden verfolge, einsperre und töten lasse, der sich ihm widersetze.

 

Diese negative Darstellung entspricht der damaligen Wirklichkeit. Und auch in diesem Punkt hebt sich »Der Weg nach Oxiana« von anderen Reisebüchern der Zwischenkriegszeit ab. Da Robert Byron Persisch spricht, ist sein Kontakt mit den Menschen intensiver als der der meisten anderen Iran-Besucher wie etwa der Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, die die politischen Verhältnisse in ihrem Reisebuch »Winter in Vorderasien« nur wenig thematisiert.

 

Auffallend ist auch Byrons Ablehnung der von ihm als »Modernisierungswahn« bezeichneten Politik der Verwestlichung in Iran und Afghanistan. Die Industrialisierung des Landes ist mit der Zentralisierung der Macht und der Schaffung »einer« Nation eine der Hauptziele von Reza Schah. Während Byron im Fall des Iran das von ihm als beleidigend empfundene Misstrauen gegenüber Ausländern und den seiner Ansicht nach übertriebenen Nationalismus anprangert, lobt er die Strenge der Afghanen: »Sie erwarten von Europäern, dass sie sich an ihre Gesetze halten, und nicht umgekehrt, was mir heute morgen klar wurde, als ich eine Flasche Arrak kaufen wollte.

 

In ganz Herat bekommt man keinen einzigen Tropfen Alkohol. Hier zeigt sich Asien endlich ohne Minderwertigkeitskomplex.« »Der Weg nach Oxiana« ist ein absolut lesenswertes Reisebuch. Der Leser kann über Robert Byrons vielfältiges Wissen nur staunen und von seinen Ausführungen über antike und mittelalterliche Kunst und Architektur in Iran und Afghanistan nur lernen. Sein Bericht ist – bei aller Parteilichkeit des britischen Autors – zudem ein wichtiges historisches Dokument.

 

Er beschreibt offen und kritisch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwälzungen in Vorderasien in der Zwischenkriegszeit mit all ihren positiven wie negativen Folgen. Byrons Leistung besteht aber auch darin, ein abwechslungsreiches, sehr unterhaltsames Reisebuch geschrieben zu haben. Man ist begeistert, wie präzise er Denkmäler und wie poetisch er Landschaften schildert. In anderen Situationen ist er witzig und bisweilen voller böser Ironie.

 

Besonders reiche amerikanische Touristen und einheimische Diplomaten werden von ihm karikiert. Der Leser lernt ihn mit der Zeit als einen leidenschaftlichen, neugierigen und selbstbewussten Menschen kennen, der Abenteuer und Gefahren auf sich nimmt, um sein Ziel Turkestan zu erreichen. Als literarische Verarbeitung seiner Reise ist Byrons »Weg nach Oxiana« einer der Höhepunkte der westlichen Orientliteratur im 20. Jahrhundert.

 


Der Weg nach Oxiana

Robert Byron

Mit einem Vorwort von Bruce Chatwin

Aus dem Englischen übertragen von Matthias Fienbork

Die Andere Bibliothek, 2014

440 Seiten, 24 Euro

Von: 
Behrang Samsami

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