Syrer galten im Libanon lange als Ostfriesen Arabiens und verhasste Besatzungsmacht. Nun bekommen einige junge Damaszener die Chance, ihren Ruf zu aufzubessern – und ihre Sorgen im Beiruter Nachtleben für kurze Zeit zu vergessen.
Eine Szene, die bis vor kurzem undenkbar war: In einer Beiruter Bar im Ausgehviertel Hamra trinken einige Dutzend Syrer und Libanesen gemeinsam Arrak. Die Musik: dröhnender Dabke, zu dem ausgelassen der Sirtaki der Levante getanzt wird, dann gibt es Pogo zu den Sex Pistols. Junge Beirutis und Damaszener feiern gemeinsam ihr erstes ausgelassenes Fest und trinken auf die Revolution.
Christophe, ein christlicher Libanese, dessen Bruder sich rühmt, im Bürgerkrieg hunderte Syrer erschossen zu haben, schmeißt Lokalrunden. Er schüttelt Hände, klopft den Gästen, bessergestellten jungen Flüchtlingen und Wochenendbesuchern, auf die Schultern. Die mittellosen Syrer sitzen zu Tausenden im Flüchtlingslager im Norden des Libanon, die jungen, die noch ein paar gesparte Dollars besitzen, erkunden am Wochenende Beiruts Nachtleben.
Syrer seien gar nicht so dumm, wie er dachte, erklärt Christophe. »Das ist cool, dass wir die Nachbarn jetzt mal anders kennen lernen«, freut er sich, »die könnten eigentlich Libanesen sein. Ich unterstütze die syrische Revolution mit meinem Arrak!« erklärt er lachend. Zu ihm gesellen sich Libanesen, die stolz berichten, dass auch sie Verwandte in Syrien hätten, dass sie das Land zwar nie besucht hätten, aber jetzt ganz mit der revolutionären Bewegung seien. Vor dem Umbruch berichtete man stolz nur von kanadischen, französischen oder deutschen Angehörigen, syrische galten als peinlich.
Trauma-Verdrängungs-Programm bei Arrak und Dabke
In der hippen Beiruter Künstler- und Intellektuellenszene ist derzeit ein Che-Guevara-artiger Stil angesagt, lässige Klamotten, Bärte, längere Haare für die Männer. Es ist auch der Stil der jungen Syrer, optisch gibt es keinen Unterschied zwischen den jungen Männern der halboffiziell verfeindeten Nationen in dieser Nacht. Syrer, die meist als billige Gastarbeiter und Tagelöhner in den Libanon kamen und kommen, waren bislang, wie die ersten Ostdeutschen, die nach dem Mauerfall in den Westen kamen, stets an der Kleidung zu erkennen.
Spitze Kunstlederschuhe und -jacken, billige Pullover im Achtziger-Jahre-Design, Pomadenfrisuren und der Fakt, dass sie sich von ihrem Staat bedingungslos unterdrücken ließen, begründeten in den Augen der Libanesen ihren Ruf als Witzfiguren. Beispiel: »Wie beschäftigt man einen Syrer den ganzen Tag lang? Gib ihm ein Papier in die Hand, auf dem auf beiden Seiten ›bitte wenden‹ steht.«
Doch nun sind Damaszener in Beirut, auf die diese Klischees nicht mehr zutreffen. Sie wollen, sei es auch nur für ein Wochenende, den Mythos des hiesigen Nachtlebens ergründen, sie wollen lernen, wie man Schießereien, Panzerangriffe, menschliche Verluste und pausenlose Angst zumindest für eine Nacht vergisst. Feiern, als gäbe es kein Morgen mehr, das Trauma-Verdrängungs-Programm der Beirutis wie auch der Tel Aviver. Jetzt auch für Damaszener.
»Heute Nacht nehme ich einen Syrer nach Hause mit, dass ist meine Unterstützung der Revolution«
Mohsen ist ein 25-jähriger Computeranimateur aus Damaskus, er weiß nicht, wie alles weitergehen soll, aber heute will er die Ängste, die ihn seit fast einem Jahr verfolgen, vergessen. Er und seine Freunde aus allen religiösen Gruppen – auch ein Alawit und seine sunnitische Ehefrau sind dabei – wollen »beiruten« und freuen sich, dass sie herzlich willkommen sind.
Unisono hieß es, dass alle Syrer schon viel von dieser irren Stadt, in der Sex, Alkohol und Drogen 24 Stunden am Tag erhältlich seien sollen, gehört hatten, aber nie auf die Idee gekommen wären, in Beirut auszugehen. Weil sie um ihren Ruf wussten, sich unterlegen fühlten, sich für ihr Regime und die Besatzungszeit ihrer Väter schämten. Langsam ändert sich das, die Völkerverständigung hat in der jungen Szene längst begonnen. Mireille, eine junge Libanesin, die eigentlich eher auf Frauen steht, brachte es – nach einigen Gläschen des guten Arraks - auf den Punkt: »Syrer sind sexy. Heute Nacht nehme ich einen nach Hause mit, dass ist meine Unterstützung der Revolution.«