Lesezeit: 8 Minuten
Somalier in Kenia

Letzte Ausfahrt Eastleigh

Reportage

Im somalischen Viertel von Nairobi ist die Lage angespannt. Kenia führt einen Krieg gegen den Terror und die muslimischen Bewohner stehen unter Generalverdacht. Unterdessen entwickeln kriminelle Banden neue Geschäftsmodelle.

Abdullahi Aideed Mohammed war Mitte 20 und hatte – anders als die meisten Bewohner des Stadtteils Eastleigh in Nairobi – einen College-Abschluss in der Tasche. Ende Januar 2014 starb Aideed Mohammed, mutmaßlich durch Schüsse eines Sicherheitsbeamten. Wahrscheinlich war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

 

In Eastleigh, wo sich die Gewalt über Tage hochgeschaukelt hatte, ist man derzeit nämlich oft am falschen Ort: Nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Kleinbus und Ausschreitungen zwischen ethnischen Somaliern und anderen Kenianern war dort die Razzia einer Spezialeinheit erfolgt. Die Behörden wollten nicht zuletzt Entschlossenheit beweisen: Seit dem verheerenden Angriff eines Terrorkommandos auf das Einkaufszentrum Westgate durch die somalische Dschihadistengruppe Al-Shabaab im September 2013, bei dem offiziellen Angaben zufolge 67 Menschen ihr Leben verloren und mehr als 170 weitere teils schwer verletzt wurden, ist die Stimmung in Nairobi dauerhaft angespannt.

 

Dabei ist Eastleigh, das auch »Little Mogadishu« genannt wird, an und für sich nur ein quirliger, infrastrukturell vernachlässigter, von einem Dialektgewirr aus Kiswahili und Arabisch sowie dauerhaften Hupkonzerten geprägter Teil dieser Millionenstadt. Das »dreckige Herz Nairobis«, wie die Frankfurter Allgemeine es einmal nannte, ist das Viertel der Somalier, die dort viel Geld investiert haben und – laut Statistiken aus dem Jahr 2012 – für 25 Prozent des Steueraufkommens in der Hauptstadt sorgten.

 

Viele von ihnen sind Händler und gehen einer ordentlichen Arbeit nach. Aber die Angst der Somalier davor, dass Sicherheitskräfte, aber auch die kenianische Bevölkerung kollektive Vergeltung für die Verbrechen von Al-Shabaab üben könnten, ist groß. Bereits Ende 2012, nach einer Reihe von Bomben- und Granatenangriffen auf Polizeistationen, Kirchen und Kleinbusse in Kenia, die mindestens 37 Leben forderten, wurde die in Eastleigh ansässige muslimisch-somalische Bevölkerung verantwortlich gemacht.

 

In einer rund zehnwöchigen Polizeioperation zwischen November 2012 und Januar 2013 fand das statt, was Eastleighs Somalier auch als »Invasion« bezeichnen. Human Rights Watch berichtete in einem 68-seitigen Bericht von Übergriffen, willkürlichen Festnahmen, Erpressungen und sogar Vergewaltigungen durch Angehörige der kenianischen Polizei. Viele wohlhabende Somalier zogen ihr Geld aus Kenia ab, verließen das Viertel und ließen es zum Teil der Verwahrlosung anheimfallen.

 

Mehr als 80 Prozent der Bewohner Eastleighs sind Somalier

 

Diese Ereignisse betrachten manche Bewohner Eastleighs als Vorgeschichte des Anschlags auf das Westgate-Einkaufszentrum. Seit November 2013 meiden viele von ihnen wieder die normalerweise lebhaften Hauptstraßen, auch wegen der zunehmenden Schikanen und Verhaftungen. »Bei der letzten Polizeikontrolle hatten wir alle unsere Ausweise dabei, es gab keinen Grund, uns festzusetzen«, erklärt Hussein, 36, ein Bewohner des Viertels. »Aber erst vier Stunden später kam ich frei, nachdem ich 1.000 Schilling gezahlt hatte« – ein Gegenwert von rund zehn Euro. Die Bewohner Eastleighs sind überzeugt, dass Kenias National Intelligence Service jedes Telefongespräch mithört.

 

Allerdings werden die Maßnahmen der Dienste nicht nur als antisomalisch wahrgenommen, sondern auch als islamfeindlich: »Man hört uns ab, nur weil wir Muslime sind«, behauptet Saleh, ein Kenianer aus Eastleigh, der zwar islamischen Glaubens ist, aber nicht aus Somalia stammt. Und ein kenianischer Universitätsdozent, der vollständig anonym bleiben möchte, beklagt: »Sie haben meiner Frau einen Reisepass verweigert, nur weil sie Muslima ist und in Eastleigh wohnt!«

 

Etwa 11 Prozent der rund 44 Millionen Kenianer sind Muslime. Dafür, dass »Little Mogadishu« den kenianischen Sicherheitskräften schon seit langem ein Dorn im Auge ist, gibt es noch einen anderen Grund als die Umtriebe von Al-Shabaab und weiterer extremistischer Gruppen: Seit die Piraterie am Horn von Afrika wieder aufblühte – zwischen 2005 und 2012 sind laut Weltbank rund 413 Millionen Dollar Lösegeld für gekaperte Schiffe geflossen –, hat Kenias Schattenwirtschaft zwar von Investitionen profitiert, sich aber auch allerhand Probleme ins Haus geholt.

 

Mit gehörigem Druck und gewissen finanziellen Anreizen wollen auch die USA ihre Verbündeten in Ostafrika davon überzeugen, entschlossen gegen kriminelle Netzwerke aus dem nordöstlichen Nachbarland Somalia vorzugehen. Obwohl Eastleigh in Teilen sehr schmutzig und vernachlässigt wirkt und der Mangel an öffentlichen Dienstleistungen nicht zu übersehen ist, wachsen in der »Enklave« auch einige moderne Hochhäuser und Einkaufszentren. Zudem gibt es einige somalische Barone im Viertel, die offensichtlich Millionäre sind. Viele Kenianer sind der Ansicht, dass es sich dabei um Pirateriegelder handelt.

 

Seit die Gelder aus der Piraterie vor der Küste Somalias nicht mehr fließen wie zuvor, wird der Schwarzmarkt diversifiziert

 

Allerdings fließen diese nicht mehr so üppig wie einst: Reedereien statten ihre Schiffe mit bewaffneten Begleitern aus, die Kriegsschiffe der EU-Mission »Atalanta« patrouillieren vor der somalischen Küste und örtliche Milizen, darunter Al-Shabaab, ziehen hohe »Kommissionen« von den Lösegeldern ab. Kenianische Truppen zeigen heute mehr Präsenz in den Grenzregionen zu Somalia als noch vor zwei Jahren, was den Bar-Transfer erschwert. »Früher war es einfacher, Grenzbeamte zu bestechen, mit Plastiktüten voller Geld«, sagt ein kenianischer Polizeibeamter im Gespräch mit zenith.

 

Seit 2012 gebe es hin und wieder Anschläge im Norden, was die Behörden als Warnung der Banden interpretierten, die Geldtransfers nicht weiter zu behindern. Insgesamt scheint es jedoch, als fließe immer weniger Schwarzgeld aus Somalia nach Eastleigh und in die anderen Zentren der somalischen Diaspora: Garissa im Norden oder die Hafenstadt Mombasa. Dafür wird sichtlich mehr in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gebaut.

 

Das informelle, von Familiennetzwerken abhängige Hawala-Finanzsystem erschwert es den Behörden, die Transfers zwischen Kenia und Somalia zu beziffern. Viel spricht aber dafür, dass sich das Profil des Schwarzmarktes verändert: Diversifikation als Folge des Einbruches bei den Piraterieerlösen. An illegalen Handelsgütern kommen vor allem Handfeuerwaffen aus Somalia ins Land. Aber auch in die Gegenrichtung wird exportiert: Nach Auskunft der kenianischen Behörden wird die Kaudroge Mira – auch als Qat bekannt – von Kenia nach Somalia gebracht, ebenso gewildertes Elfenbein, das in China einen Marktpreis von über 2.000 Euro pro Kilogramm erzielen kann.

 

Nach Polizeiangaben boomt auch der Handel mit falschen Papieren, etwa für Sudanesen und Äthiopier, die in Eastleigh unterkommen. Ihre Heimatländer gehören nicht zur Ostafrikanischen Union, daher benötigen sie Visa für die Einreise nach Kenia. So waren unter den 220 »Ausländern«, die die Polizei von Nairobi Anfang November 2013 festnahm, auch Äthiopier und Sudanesen. Eher versehentlich. Die Operation, so hieß es, habe vornehmlich »illegalen Einwanderern somalischer Herkunft« gegolten.

Von: 
Nicolai Klotz

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.