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Horn von Afrika und der Nahe Osten

Casino Royale

Analyse
von Leo Wigger
Geopolitik am Horn von Afrika
Ein Salzsee in Dschibuti Foto: Daniel Gerlach

Die einen sind seit Jahren vor Ort, die anderen schon wieder abgezogen – oder rausgeflogen. Warum die Mächtigen von Ankara bis Abu Dhabi um Einfluss in einer Region kämpfen, die wir so gar nicht auf dem Schirm haben.

Das Gefühl der »Westlessness«, also des Rückzugs der USA und Europas aus der Weltpolitik, ist spätestens in aller Munde, seitdem die Münchner Sicherheitskonferenz es zu ihrem diesjährigen Leitthema erhoben hat. Wie die internationale Politik sich entwickelt, wenn die Amerikaner nicht mehr Weltpolizei spielen wollen und die Europäer es nicht können, sieht man derweil am Horn von Afrika. Zwar sind auch europäische Soldaten am Horn stationiert, doch vor Ort spielt der Westen maximal die zweite Geige.

 

Dort, wo Ostafrika und der Nahe Osten fast in Blickdistanz sind, liefern sich China und ehrgeizige Regionalmächte wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar einen regelrechten Wettlauf um Einfluss, Handelsrouten und strategische Vorteile. Das Horn von Afrika ist aus mehreren Gründen interessant für ambitionierte Staatenlenker.

 

Erstens fließt ein kolossaler Teil des Welthandels auf dem Weg zum Suezkanal durch die Meerenge Bab Al-Mandab vor der eritreischen Küste. Zum anderen hat die Region, angetrieben von Wachstumslokomotive Äthiopien (mindestens 7,4 Prozent Wachstum pro Jahr seit 2014), traumhafte Wirtschaftswachstumsraten zu verzeichnen und gilt vielen Investoren als Zukunftsmarkt der Stunde.

 

Gerade China rückt auf den Plan, das laut der Consulting-Agentur Ernst and Young zwischen 2014 und 2018 mehr als doppelt so viel in Afrika investiert hat wie amerikanische Unternehmen. Peking hat im Zuge der »Belt and Road Initiative« weltweit große Infrastrukturprojekte als Triebfeder für die Steigerung des Handels und des chinesischen Einflusses in der Welt ausgemacht und vertritt aus Machtkalkül offensiv wirtschaftliche Eigeninteressen.

 

Dschibuti liegt strategisch besonders günstig direkt am Horn. Bisher wird der äthiopische Außenhandel fast ausschließlich über den Hafen der ehemaligen französische Kolonie mit kaum einer Million Einwohnern abgewickelt. Im Zwergstaat laufen dazu die Internetverbindungen zwischen den Wachstumsregionen Ostafrikas und internationalen Servern zusammen. Hier hat China die erste ausländische Militärbasis seit dem Koreakrieg eröffnet. Neuestes Vorzeigeprojekt ist eine 750 Kilometer lange und drei Milliarden Euro teure Bahnlinie bis nach Äthiopien. Auch in Äthiopien investiert China kräftig. Neben staatlichen Infrastrukturunternehmen sind besonders private Venture Capital Fonds aus China in Äthiopien aktiv.

 

Doch China ist keineswegs das einzige Land, das den Rückzug der USA am Horn von Afrika in handfeste wirtschaftliche und politische Vorteile ummünzen will. Die Region ist neben Libyen das Hauptspielfeld der Auseinandersetzung zwischen den Golfstaaten und anderen Regionalmächten. »Insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate messen dem Horn von Afrika eine immense strategische Bedeutung bei und verfügen zugleich über die nötigen finanziellen Ressourcen, diesen Erwägungen Taten folgen zu lassen«, so Theodore Murphy, Direktor der Berliner Organisation Mediation Europe, die sich mit Europäischer Außenpolitik in Konfliktregionen auseinandersetzt.

 

Da die Golfstaaten zudem den Eindruck hätten, dass die USA ihrem Engagement höchstens Lippenbekenntnisse entgegensetzen würden, seien Saudi-Arabien und die VAE mittlerweile zu regionalen Supermächten aufgestiegen. Im Grunde führen sich so die Konfliktlinien des Arabischen Frühlings fort. Auf der einen Seite finden sich die Unterstützer der Muslimbrüder, das Emirat Katar und die Türkei, auf der anderen die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten, die sowohl den Einfluss Irans als auch den der Muslimbrüder und ihrer Unterstützer begrenzen wollen.

 

Dazu mischt auch Iran selbst am Roten Meer mit. Die Staatschefs am Horn üben sich dagegen in einem anderen Spiel: Die wildgewordenen Regionalmächte gegeneinander auszuspielen und den größten Vorteil für sich selbst herauszuholen. Das neue »Great Game« am Horn von Afrika war Ende vergangenen Jahres Thema einer Konferenz des österreichischen Verteidigungsministeriums, des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, und des Wiener Kreisky-Forums, die nicht nur bei Analysten für einige Aufmerksamkeit sorgte. Grund genug für zenith, einen genaueren Blick auf die Interessen einzelner Regionalmächte zu werfen.

 

Saudi-Arabien

Aus Sicht Riads liegt das Horn von Afrika seit jeher in direkter Nachbarschaft. Handelsverbindungen und Migrationsbewegungen zwischen beiden Ufern des Roten Meeres haben eine lange Tradition. Zudem hat die Region durch den Jemenkrieg weitere strategische Bedeutung für das Königreich gewonnen, das unter Kronprinz Muhammad Bin Salman eine offensivere Außenpolitik verfolgt. Strategisches Hauptziel ist die Eindämmung des iranischen Einflusses, sowie die Schwächung der Muslimbrüder.

 

Neben Ägypten, wo man die Sisi-Regierung großzügig alimentiert, ist Saudi-Arabien besonders im Sudan aktiv. Die offizielle Nummer Zwei des sudanesischen »Souveränen Rates«, der Übergangsverwaltung nach der Entmachtung von Omar Al-Baschir, und neue starke Mann in Khartum, General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemetti, gilt gemeinhin als enger Verbündeter der Saudis.

 

Nach einer Phase der bilateralen Irritationen haben sich auch die Beziehungen zu Dschibuti wieder verbessert. Zudem hat Riad zusammen mit den VAE hinter den Kulissen eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung des Friedensabkommens zwischen Äthiopien und Eritrea gespielt, für das der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

 

Dem Friedensabkommen gingen laut Annette Weber von der Stiftung für Wissenschaft und Politik lange diplomatische Vorverhandlungen unter Schirmherrschaft Riads und Abu Dhabis voran. Im Vergleich zu den Emiraten fehlt es der saudischen Politik in der Region jedoch an strategischer Tiefe. Der langjährige Juniorpartner vom Golf läuft dem Königreich als Regionalmacht immer mehr den Rang ab.

 

Vereinigte Arabische Emirate

Wie Saudi-Arabien unterstützen auch die Emirate mit Nachdruck die Militärmachthaber in Ägypten und dem Sudan. Grundsätzlich überschneiden sich die politischen Kerninteressen zwischen Riad und Abu Dhabi nach wie vor, dennoch häufen sich nicht nur seit dem Teilabzug emiratischer Truppen aus dem Jemen 2019 Anzeichen einer emiratischen Emanzipierung.

 

Neben politischen Überlegungen, wie der Eindämmung des Einflusses iranischer Vasallen und der Muslimbrüder, spielen langfristige wirtschaftsstrategische Faktoren wieder eine prominentere Rolle in der emiratischen Außenpolitik. Der merkantilen Golfmacht geht es wohl primär um den Schutz der Handelswege am Roten Meer, vermutet Nicola Pedde, Direktor des Instituts für Globale Studien in Rom. So setzte sich Abu Dhabi in Folge des Jemenkrieges auf den strategisch günstig gelegenen, aber militärisch eher unbedeutenden Inseln Perim und Sokotra fest. Nicht weniger als 13 Hafenprojekte hat die umtriebige Dubai Port World in der Region in Planung oder bereits umgesetzt, unter anderem im somalischen Kismayo und in Berbera (Somaliland).

 

Mit ihrem ehrgeizigen Auftreten machen sich die Emirate allerdings nicht nur Freunde, so Pedde. Aus Dschibuti flog man nach einem Rechtsstreit über die Betreibung des Containerhafens Doraleh und einem Faustkampf zwischen dem Chef der dschibutischen Luftwaffe und einem emiratischen Diplomaten in hohem Bogen raus. Die Emirate stellte das vor große Probleme, war man doch im Jemenkrieg und im Handel mit Äthiopien auf Dschibuti angewiesen. Nur durch beherzte Krisendiplomatie konnte Abu Dhabi auf das benachbarte Eritrea ausweichen, wo seitdem eine Militärbasis in der Hafenstadt Assab betrieben wird.

 

Im Sudan sorgte die Rekrutierung junger Männer für den Kampf auf Seiten der VAE erst in Jemen und nun in Libyen für Irritationen. Interessant: Die sudanesischen Paramilitärs unter General Hemetti spielten für den Einsatz im Jemenkrieg eine entscheidende Rolle. Das reguläre sudanesische Militär unter dem Generalleutnant und heutigem (Defacto-) Staatsoberhaupt Al-Burhan unterstützte den Einsatz wohl lediglich logistisch. Dies könnte erklären, warum die Verbindung Hemettis zur Achse Riad-Abu Dhabi bis heute als besonders eng gilt.

 

In Somalia kam es aufgrund der emiratischen Investitionen in der autonomen Region Somaliland zum Bruch mit der Zentralregierung in Mogadischu. Abu Dhabi musste die militärische Ausbildungsmission somalischer Sicherheitskräfte zur Freude rivalisierender Regionalmächte stoppen.

 

Iran

Teheran verfügte noch in den 1980er Jahren über einiges Gewicht in der Region, insbesondere im Sudan. Doch die zunehmende Akzentuierung sektaristischer Trennlinien machte es für die schiitische Regionalmacht immer schwieriger, auf die sunnitisch geprägten Länder in der Region einzuwirken. Dazu kann Iran wirtschaftlich schon lange mehr nicht mit den reichen Golfstaaten mithalten und hat den Mächtigen der Region wenig zu bieten.

 

Auf der anderen Seite hat sich die Kostennutzengleichung für ein Engagement am Roten Meer auch für die Islamische Republik verändert. »Mit Blick auf den massiven Einsatz Saudi-Arabiens und der Emirate sind die Kosten einer aktiveren Rolle in der Region für Teheran im Vergleich zum erwartbaren Nutzen viel zu hoch«, glaubt die Analystin Atefeh Sadeghi. Der Fokus iranischer Außenpolitik habe sich vielmehr auf die unmittelbarere Nachbarschaft verschoben, beispielsweise auf Irak und Libanon.

 

Iran ist, anders als die Emirate, auch nicht auf das Horn von Afrika als strategische Basis im Jemenkrieg angewiesen. Die Nachschubrouten für die mit Iran verbündeten Huthi-Rebellen verlaufen anderswo. Iran hat am Horn somit zwar an Einfluss verloren, kann dies aber verschmerzen. Im strategischen Fokus steht die Region für die Islamische Republik nicht. Teheran beschränkt sich auf sogenannte Soft Power, wenngleich mit begrenztem Erfolg.

 

Katar

Die Folgen der Blockade durch Saudi-Arabien und die VAE haben den hochtrabenden außenpolitischen Ambitionen des kleinen, aber äußerst wohlhabenden Emirats zwar einen ordentlichen Dämpfer verpasst, doch für empfindliche Nadelstiche gegen die Golfrivalen reicht es am Horn immer wieder. Doha nimmt derweil insbesondere dort Einfluss, wo die Emirate mit ihrem aggressiven Vorgehen verbrannte Erde hinterlassen haben.

 

Beispielsweise im Sudan, wo Katar auf regionaler Ebene teils mit zweifelhaften Mitteln versucht, die Golfrivalen im Wettstreit um lokale Verbündete auszustechen. Zudem beherrscht Doha im Vergleich zu den Emiraten ein vielseitigeres diplomatisches Repertoire. So setzt sich Katar mit Nachdruck für die Stärkung internationaler Akteure wie der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union (AU) ein, die von den anderen Golfstaaten eher stiefmütterlich behandelt werden.

 

Die emsigen Emissäre des kleinen Golfstaates nehmen beispielsweise seit Jahren eine führenden Mediatorenrolle im UN-Friedensprozess in der sudanesischen Krisenregion Darfur ein. Obwohl Doha von den VAE in Khartum eigentlich an den Rand gedrängt wurde, konnte sich Katar so Verhandlungskanäle in den Sudan offenhalten; wenngleich mit bisher überschaubarem Erfolg.

 

Besser läuft es in Somalia. Nachdem die VAE, neben Geschäften mit der Zentralregierung in Mogadischu, auch Deals mit der separatistischen Regierung in der Region Somaliland eingefädelt hatte, fühlte sich Mogadischu auf den Schlips getreten und beendete die Zusammenarbeit mit Abu Dhabi. Dankend sprang Doha in die Bresche und stellte Mogadischu 385 Millionen USD für Infrastruktur, Erziehung, humanitäre Hilfe, sowie 68 gepanzerte Fahrzeuge in Aussicht.

 

Laut einem Bericht der New York Times spielt Katar dabei nicht immer ganz sauber. Ein geleaktes Telefonat zwischen dem katarischen Botschafter und einem Geschäftsmann legte nahe, dass Doha islamistische Milizen zu einem Anschlag in der in Hafenstadt Bosaso angestiftet hatte. Die Emirate betreiben den dortigen Hafen, auf den auch Doha ein Auge geworfen hatte. Die katarische Führung wies die Vorwürfe entschieden zurück.

 

Türkei

Die gestiegene Bedeutung Afrikas für Ankara lässt sich an einer Zahl festmachen: 42. So viele Botschaften unterhält die Türkei mittlerweile auf dem Kontinent. 2009 waren es nur 12. Der türkische Präsident Recep Erdoğan, Dohas engster Verbündeter, ist ebenfalls insbesondere in Somalia aktiv. Das türkische Engagement dort intensivierte sich nach humanitären Hilfslieferungen während einer schweren Hungersnot im Jahr 2011. Danach folgten umfangreiche Investitionen.

 

Handfeste Interessen statt Hilfslieferungen: Die Türkei liegt damit im Trend. Anders als die Golfstaaten gilt die Türkei in Somalia aber als sehr beliebt. Außerhalb von Mogadischu betreibt die Türkei seit 2017 ihre größte Militärbasis im Ausland.

 

Auch im Sudan hegt Ankara militärische Ambitionen. Mit dem damaligen sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir einigte sich Erdoğan auf den Bau einer Basis in der Hafenstadt Suwakin, einem ehemaligen osmanischen Stützpunkt. Doch der entmachtete Al-Baschir wartet mittlerweile auf seinen Prozess am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Die neuen Herrscher des Sudan neigen eher Ankaras regionalen Rivalen zu. Die türkischen Pläne liegen damit erstmal auf Eis.

Von: 
Leo Wigger

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