Seit Jahrhunderten erschaudern Europäer, wenn es heißt, Muhammad habe den Islam »mit Schwert und Koran« verbreitet. Das wissen auch moderne Dschihadisten. Dabei steckt in dem Bild mehr Westliches, als man denkt.
Kennen Sie die Vorstellung, dass Muhammad und nach ihm die Muslime den Islam »mit dem Schwert in der einen Hand und dem Koran in der anderen« verbreitet hätten? Sie geht zurück auf den britischen Historiker Edward Gibbon. Der schrieb 1781 in seinem berühmten Buch »The History of the Decline and Fall of the Roman Empire« (in Band 3, Kapitel 50): »... mit dem Schwert in der einen Hand und dem Koran in der anderen errichtete Mohammed seinen Thron auf den Ruinen des Christentums und Roms ...«. Hier muss man das Schwert und das Buch nicht wörtlich nehmen, genauso wenig wie die Ruinen.
Es handelt sich um eine bildliche Darstellung. Aber etwas weiter im selben Kapitel ließ Gibbon sich bei seiner Beschreibung des Martyriums von Alis Sohn Hussein bei Kerbela wohl von seiner eigenen Bildersprache mitreißen: »Am Morgen des Schicksalstags stieg er auf sein Pferd, mit dem Schwert in der einen Hand und dem Koran in der anderen ...« Dieser Satz liest sich, als habe Hussein sich an seinem Todestag wirklich mit diesen Attributen in den Sattel geschwungen. Anzunehmen ist aber, dass er nur ein Schwert bei sich trug. Den Koran als Taschenbuch gab es noch nicht.
Offensichtlich besaß auch Ignatius Mouradgea d’Ohsson ein Exemplar von Gibbons Werk. Der Armenier war Dolmetscher des schwedischen Botschafters im Osmanenreich gewesen und lebte lange in Paris. D’Ohssons »Tableau Général de l’Empire Othoman«, zwischen 1788 und 1824 erschienen, hat in Europa viel Kenntnis und Unkenntnis über die Türkei und den Islam verbreitet. Und siehe da: Auf der Titelseite seines Werks hat er Gibbons Vorstellung wörtlich genommen.
Man erkennt dann gleich, wie unsinnig die ist: Der Koran war noch gar nicht als Buch vorhanden, und überdies, welcher Muslim würde ihn in die linke Hand nehmen? Abgesehen davon, dass es wohl eher lästig wäre, so zu kämpfen. Hinter dem Propheten stehen denn auch Herren mit Turbanen, die die Tätigkeiten unter sich aufgeteilt haben: Die eine Hälfte beschäftigt sich mit der Schrift, die andere fuchtelt wenig überzeugend mit Schwertern herum. Links ist die Kaaba zu sehen, auf dem Dach die Götzenbilder, die es zu zerstören galt.
Laut Überlieferung befanden sich diese Statuen in der Kaaba, nicht auf ihr, aber das macht sich auf einer Abbildung nicht so gut. Schon erheblich früher hatte der niederländische Graphiker Romeyn de Hooghe (1645–1708) Muhammad auf einem Kupferstich dargestellt – mit einem Schwert in der rechten Hand und einem Schreibstift in der linken. Der Künstler drückte ihm diese Attribute genau so in die Hand, wie man es von Abbildungen christlicher Apostel und Heiliger gewohnt war.
Konkret bezog er sich wohl auf den Stift, der im Koranvers 96:4 erwähnt wird. Vielleicht schwang auch die Vorstellung mit, dass Muhammad den Koran selbst geschrieben habe, wie man es früher in Europa glaubte. Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat sich der Stift dann jedenfalls zu einem Buch weiterentwickelt. Bei einer oberflächlichen Suche habe ich noch ungefähr zehn weitere westliche Abbildungen des Propheten gefunden, zwei davon nur mit Schwert und eine mit Schwert und Buch.
Allzu unentbehrlich scheint das Buch doch nicht gewesen zu sein. Übrigens hat jemand mich darauf hingewiesen, dass sowohl Gibbon als auch d’Ohsson Freimaurer waren. Könnte es sein, dass es eine freimaurerische Tradition war, Muhammad mit besagten Attributen abzubilden? Das ist auf die Schnelle schwer herauszufinden.
Der Prophetenenkel Hussein soll mit Koran und Schwert in Händen das Pferd bestiegen haben. War das nicht furchtbar unpraktisch zum Kämpfen?
Wie dem auch sei: Ganz unabhängig vom Propheten hat das Schwert des Islams seit Jahrhunderten eine Rolle in europäischen Vorstellungen gespielt. Europa hatte ja insgesamt eine negative Vorstellung von der islamischen Welt, obwohl man dort immer gerne die schönen Textilien und köstlichen Gewürze kaufte. Es gab die Erinnerung an die reale militärische Bedrohung durch die Araber im Mittelalter und das starke Osmanenreich bis etwa 1700.
Im 18. Jahrhundert war die Bedrohung gewichen und das Orientbild wurde positiver. Im 19. Jahrhundert, als der Kolonialismus sich die Welt untertan machte, verschlechterte es sich wieder. Edward Said hat 1978 in seinem epochemachenden Buch »Orientalism« gezeigt, dass die europäischen Vorstellungen sogar mit Absicht verzerrt wurden, um das Herrschen zu erleichtern. Der Orient sollte schön exotisch, aber auch rückständig und antiquiert sein, und dazu noch unvorstellbar grausam. Orientalische Despoten mussten nur mit den Fingern schnippen und schon wurde jemand standrechtlich geköpft, natürlich malerisch mit einem Schwert.
Der so kreierte Orient bescherte dem Betrachter ständig ein wohliges Schaudern. Bilder von Arabern, die mit Schwertern um sich schlagen, sind dem europäischen Gedächtnis wie eingebrannt. Natürlich verwendeten die alten Araber und die frühen Muslime tatsächlich Schwerte; das waren damals gängige Waffen. Aber später stiegen sie auf modernere Methoden um, wie jeder andere auch. Im Osmanenreich, also einschließlich Syriens und des Iraks, hat man seit Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch durch Erhängung hingerichtet.
Die Todesstrafe mittels Köpfung ist in der hanafitischen Rechtsschule auch gar nicht vorgesehen. Nur die Hanbaliten, denen sowohl die Saudis wie auch die syrisch-irakische Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) folgen, schreiben das Schwert vor. In Saudi-Arabien wird in der Tat mit dem Schwert hingerichtet, aber seit wann? Der Staat existiert ohnehin erst seit 1932. Es gibt im Königreich nur wenige gute Scharfrichter, weshalb man dort Erschießung bevorzugt.
Wahrscheinlich hat man sowohl in Saudi-Arabien wie auch bei IS irgendwelche Prophetenüberlieferungen neu beleben wollen, was einer re-invented tradition gleichkommt. Solchen Hadithen zufolge hat der Kalif Omar (regierte 634–44) dem Propheten mehrmals vorgeschlagen, jemandes Kopf abzuschlagen. Zu der Zeit war das noch nicht exotisch.
In Europa glaubt man, orientalische Despoten mussten nur mit den Fingern schnippen und schon wurde jemand geköpft. Davon profitiert heute der »Islamische Staat«
Ich vermute aber, dass der »Islamische Staat« mit seinen Schwertern – mehr noch als auf Hadithe – auf die orientalistische Bildertradition im Westen Bezug nimmt und sie medial ausnutzt. IS-Kämpfer lassen sich gerne mit Schwertern ablichten. Vielleicht werden die auch bei Hinrichtungen benutzt, obwohl das Bildmaterial oft irgendwie unecht wirkt. (Ich habe mir die Filme dieser Hinrichtungen nicht so genau angesehen, und schon gar kein zweites Mal.
Vielleicht habe ich hier oder da ein Schwert erkannt, wo nur ein Fleischermesser war. Das bewiese dann, dass auch ich darauf programmiert bin, Muslime mit Schwertern zu sehen.) Welcher von den Terroristen hat wirklich jemanden mit einem Schwertschlag geköpft? Köpfen will gelernt sein und man braucht dazu viel Körperkraft. Es verlangt äußerste Konzentration, bis es bei laufender Kamera mit einem Mal gelingt.
So oder so, der IS will die jahrhundertealte Bildkraft des Schwertes nutzen; man weiß dort sehr wohl, dass Muslime mit Schwertern uns seit Jahrhunderten gruseln lassen. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Muslime sich selbst nach Vorbildern inszenieren, die von »orientalistischen« Europäern stammen. Der »Westen« bekommt damit genau die Muslime, die er sich vorstellt. Natürlich ist das Schwert nur ein Aspekt dieses Stylings. Mit dem finsteren Mittelalter hat das Ganze auf jeden Fall nicht so viel zu tun.
Vielleicht sollte übrigens jemand einmal der Frage nachgehen, warum archaische Tötungsweisen wie Köpfen oder Steinigen bei uns Entsetzen und Fassungslosigkeit auslösen, während das Morden mit Maschinengewehren und Drohnen als alltäglich hingenommen wird.