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Syriens Kurden und das Bündnis gegen Assad

Syriens Kurden rüsten sich gegen Assad

Analyse

Im Schatten des grausamen Dauerbombardements von Aleppo und der beispiellosen Flüchtlingskatastrophe deuten unerwartete Gefechte im Nordosten Syriens auf neue Allianzen. Diktator Assad will vor den Präsidentschaftswahlen Stärke zeigen.

Al-Hasaka ist nach Qamishli die zweitgrößte Stadt im kurdisch dominierten Nordosten des Landes. Die Stadt hat aber auch große Bedeutung für die christlichen Aramäer und Assyrer. Mit 20 Prozent Bevölkerungsanteil sind lokale arabisch-sunnitische Stämme in der Minderheit. Seit Beginn des Bürgerkrieges hat sich Machtverteilung in Al-Hasaka immer wieder verändert. Die kurdisch dominierten Stadtteile wurden seit 2013 von der kurdischen Miliz YPG kontrolliert. Die Innenstadt sowie strategisch wichtige Zufahrtswege waren in der Hand der Syrischen Armee.

 

Und auf Seiten der arabischen Bevölkerung, insbesondere im Stadtteil Ghuwyran, wurde je nach aktueller Situation entschieden, welche Seite – die lokal stark vertretene Dschihadistengruppe »Islamischer Staat im Irak und der Levante« (ISIL) oder das syrische Regime – unterstützt wurde. Diese vermeintliche Koexistenz ist nun aus den Angeln gehoben worden: Am späten Abend des 19. Mai griff die syrische Armee mehrere kurdische Checkpoints an. Dies führte zu einer raschen Eskalation auf allen Seiten.

 

Die kurdische Miliz YPG eroberte strategisch wichtige Gebiete wie das Wasserwerk, den Busbahnhof und andere Verwaltungsgebäude des Regimes. Im Gegenzug schoss die syrische Armee auf die kurdischen Stadtteile und tötete unter anderem mehrere Schüler. In Ghuwyran schlossen sich weite Teile der eher islamistisch orientierten Araber zu eigenen Milizen zusammen und kämpften auf Seiten der »Schabiha« gegen die Kurden. Ein durch ethnische Vorurteile angefeuerter Konflikt schien endgültig eskaliert zu sein.

 

Doch was steckt hinter den Kämpfen, die erst ein fragiler Waffenstillstand am 24. Mai vorläufig beendet hat? »Der Hauptgrund ist die wachsende Stärke des Regimes in Al-Hasaka wie auch in Qamishli. Anhänger des Regimes finden sich auch immer mehr zu Treffen, Demonstrationen und Besuche bei syrischen Offiziellen zusammen. Im Angesicht der anstehenden Präsidentschaftswahlen will Assad Stärke zeigen und die kurdischen Autonomiebestrebungen einhegen«, meint Wladimir van Wilgenburg, Analyst für die »Jamestown Foundation«.

 

Für kurze Zeit sah es so aus, als würden die kurdischen Kämpfer versuchen, die ganze Stadt zu übernehmen. Das sei aber so gut wie unmöglich, meint van Wilgenburg: »Normalerweise versucht die YPG, nur kurdische Gebiete zu kontrollieren. Nur wenn es zwingend notwendig erscheint – und arabische Gruppen wie der Shammar-Clan sich den Kurden anschließen – werden auch arabisch dominierte Gebiete wie am syrisch-irakischen Grenzübergang Tel Kocer/Yarubiya übernommen.«

 

Da viele arabisch-sunnitische Stämme in der Al-Hasaka-Region traditionell Vorbehalte gegenüber den Kurden haben, scheint ein weiterer Vorstoß der YPG Richtung Süden unwahrscheinlich. Im Gegenteil, schließen sich immer mehr arabische Kämpfer den Radikalislamisten von ISIL beziehungsweise den regimetreuen Baath-Brigaden an, um gegen die Kurden zu kämpfen. Die Assad-treuen Truppen werden  – neben den Dschihadisten von ISIL – für die Kurden immer mehr zum Hauptgegner im Nordosten Syriens.

 

Diese Einsicht hat die YPG in der Aleppo-Region stärker an die Seite von moderaten FSA-Brigaden gebracht, wie gemeinsame militärische Operationen in den vergangenen Wochen gezeigt haben. Und mit einer starken militärischen Präsenz des syrischen Regimes in Städten wie Qamishli und Al-Hasaka könnte dies für die Zukunft bedeuten, dass die YPG sich auf weitere massive Gefechte gegen Assads Truppen vorbereitet. Entscheidend wird sein, ob die Kurden die lokale arabische Bevölkerung auf ihre Seite ziehen können – oder ob im schlimmsten Fall ein ethnisch motivierter Krieg ausbricht.

Von: 
Benjamin Hiller

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