Die Polizei stellt in München einen spektakulären antiken Silberbecher sicher – und soll ihn nun dem Händler wiedergeben. Die Spur führt aber zu einer weit größeren Entdeckung: Fanden Raubgräber den legendären Tempel von Anschan?
Relikt aus einer Zeit, in der in Iran noch öffentlich gebechert wurde: kaum 15 Zentimeter hoch, aus massivem Silber und über und über mit Keilschriftzeichen verziert. Selten, so sagen Archäologen, sei so eindeutig zu sehen, woher ein rund 4000 Jahre altes Artefakt stammt und wozu es angefertigt wurde: Es ist ein Tempelbecher. Mit heiligem Geschirr trieb man im alten Orient nicht ungestraft Schindluder – das musste schon der biblische Zechkönig Belsazar erfahren, der heilige Pokale zu einem Saufgelage auftischen ließ.
Bald sah er nicht nur seine Kurtisanen doppelt, sondern auch das furchtbare und fortan sprichwörtliche »Menetekel« an der Wand auftauchen: »Gewogen und für zu leicht befunden!« Mit einem Startgebot von 60.000 Euro ist das Gefäß auf dem Münchener Antikenmarkt, wo es 2007 auftauchte, alles andere als ein Leichtgewicht. Experten vermuten, dass ein solches Objekt bei Sotheby's oder Christie's in London bald ein Vielfaches erzielen könnte.
Der Grund ist die Fülle an Informationen, die auf ihm zu finden ist. Der Becher gehörte König Ebarat, Herrscher des Stadtstaates Anschan im südlichen Iran. Der Inschrift nach tut Ebarat sogar so, als sei er selbst Metalltreiber gewesen: »Ebarat hat das Gunugi-Gefäß aus Silber gemacht und für sein Leben dem Napirischa geschenkt«, heißt es dort sinngemäß. Archäologen der Universität Pennsylvania, die in der Gegend über Jahre Ausgrabungen durchführten, erforschten Anschan, fanden aber nie den Tempel des Staatsgottes Napirischa. Dabei musste es ihn geben!
Der Becher ist nun ein Indiz dafür, dass Raubgräber in Anschan mehr Glück hatten. Sie fanden die Ruine und brachten den Silberschatz in Umlauf. Archäologische Sachverständige aus Mainz und Ermittler der Münchener Staatsanwaltschaft gingen der Sache nach – der Becher wurde sichergestellt. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hehlerei gegen den Einlieferer der Ware begann: ein den Behörden nicht unbekannter Sammler und Händler namens Houshang Mahboubian.
Ein von der Polizei in Auftrag gegebenes Gutachten erhärtete den Verdacht, dass es sich um Hehlerware handelt. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren, wie zenith am vergangenen Montag erfuhr, inzwischen eingestellt: Es liege »kein Tatverdacht« vor, teilte die Behörde mit – nun soll der Becher in den nächsten Tagen an das Auktionshaus zurückgegeben werden.
»Die zahlreichen Schriftzeichen darauf machen ihn zu einem unglaublichen historischen Dokument«, sagt der Archäologe und Iran-Forscher Behzad Mofidi-Nasrabadi von der Universität Mainz. »Die Tatsache, dass der Einlieferer eine große Zahl solcher Funde besitzt, die womöglich alle aus der gleichen illegalen Grabung stammen, ist bemerkenswert.« Würden deutsche Behörden den Verkauf für rechtmäßig erklären, sei der Weg für alle weiteren Deals frei.
Raffinierte Fälschung? Oder Teil eines großen Schatzes?
»Die Staaten des Nahen Ostens kämpfen bis heute gegen illegale Grabungen, die archäologische Stätten mit Jahrtausende alten Kulturschätzen zerstören«, sagt Michael Müller-Karpe, Kriminalarchäologe und Experte für Metallgefäße am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. In Deutschland sei es für Antikenhehler jedoch verhältnismäßig leicht, ihre Ware an den Mann zu bringen.
Dabei trage Deutschland auch zur »Bildung einer pseudo-legalen Provenienz« bei: Wenn illegal ausgegrabene Antiken erst einmal hier versteigert sind, könnten sie auch problemlos anderswo verkauft werden. In Iran sind archäologische Fundstücke, sofern älter als 100 Jahre, grundsätzlich Staatseigentum – Zufallsfunde müssen seit 1930 gemeldet werden und sind nur mit Lizenz auszuführen.
Antikenschmuggel bestrafte die iranische Justiz schon mit dem Tod. Und laut eines Urteils des Bundesgerichtshofes von 1972 ist Handel mit geschmuggeltem Kulturgut auch in Deutschland sittenwidrig – und damit verboten. Altfunde dürfen auch nach deutschem Recht verkauft werden, sofern eine Genehmigung der iranischen Antikenbehörde vorliegt.
Dieser ist die Entdeckung eines der Gottheit Napirischa geweihten Tempels in Anschan – aus dem der Kelch seinen Inschriften zufolge stammt – jedoch nicht bekannt. So beschränkte sich auch das Münchner Auktionshaus darauf, das Sammlerstück »seit den 1970er Jahren in englischem Privatbesitz« zu verorten. Wertvolle Verkaufsobjekte sind oft umfangreich, auch anhand wissenschaftlicher Publikationen beschrieben.
»Dass Stücke über lange Zeit ohne Beleg in privaten Händen geblieben seien, ist oft vorgeschoben, um Fragen zur Herkunft zu vermeiden«, erklärt Antiken-Experte Mofidi-Nasrabadi. Für Auktionshäuser könnte es einen guten Grund geben, nicht etwa »Sammlung Mahboubian« in den Katalog zu schreiben.
Houshang Mahboubian, Londoner Kunsthändler iranischer Abstammung, besitzt in der Branche einen zweifelhaften Ruf: 1987 befand ihn ein New Yorker Gericht für schuldig, Teile seiner eigenen Sammlung gestohlen zu haben, um so 23 Millionen US-Dollar von der Versicherung zu erschleichen. Zur Entkräftung der Vorwürfe konnte Mahboubian der Staatsanwaltschaft lediglich ein auf Ende 2003 datiertes Foto zukommen lassen.
Darauf ist der Becher gemeinsam mit einer Reihe weiterer Kultgegenstände abgebildet, die vermutlich dem gleichen Tempelschatz entstammen. Einige dieser Gegenstände, nicht jedoch den 2007 aufgetauchten Kelch, veröffentlicht Mahboubian in einem 2004 erschienenen Buch zum alten Iran. Im Vorwort betont er, erst »viele Jahre« nach der Ausgrabung der beschriebenen Gegenstände in ihren Besitz gelangt zu sein.
»Dem Auktionskatalog nach zu urteilen hat der Becher große Ähnlichkeiten mit den anderen Objekten dieses Silberschatzes von Mahboubian, taucht aber nicht darin auf«, sagt Wouter Henkelmann, Iran-Archäologe und Epigraphiker der Universität Amsterdam. »Es könnte sich auch gut um eine Fälschung handeln, wovon es tausende auf dem Antikenmarkt gibt«, fügt Henkelmann hinzu.
Die Not in Iran wird größer – die Schmugglernetze dichter
Dass Mahboubian und die Münchener Versteigerer den Becher trotz dieser Erkenntnisse zurückerhalten, hat folgenden Grund: Ein Amtsrichter setzte der Botschaft der Islamischen Republik Iran am 18. April 2012 eine Frist, um ihren Anspruch auf den Silberbecher zivilrechtlich geltend zu machen. Diese Frist ist nun verstrichen. Dass die Iraner ihr Interesse an dem Fall verloren haben, ist aber unwahrscheinlich.
2007 war eigens eine hochrangige Delegation der iranischen Antikenbehörde nach Deutschland gereist, um den sichergestellten Tempelbecher zu begutachten. Fest steht: Iran ist eines der archäologisch reichsten Länder der Welt und noch viele Schätze ruhen dort im Boden. Durch Sanktionen und Wirtschaftskrise im Land steigt die Not – ein zusätzlicher Grund für Raubgräber, größere Risiken einzugehen.
Zugleich ist im Zuge der Iran-Sanktionen ein dichtes und professionalisiertes Schmugglernetz für alle Arten illegalen Im- und Exports entstanden. Auf diesen Wegen gelangen nach Polizeierkenntnissen auch geplünderte Antiken auf westliche Kunstmärkte. Bislang sei Deutschland nicht das wichtigste Drehkreuz für den Handel antiker iranischer Kulturgüter, erläutert der Wissenschaftler Mofidi-Nasrabadi.
Diese Rolle komme eher Frankreich und den USA zu. »Sollten aber Händler und Sammler immer wieder feststellen, dass es leicht ist, hier ungeschoren davon zu kommen, könnte sich das bald ändern«, fügt er besorgt hinzu.