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Unfug über Syrien

Vor lauter Wut den Text vergessen

Kommentar

In »Die Syrien-Schande« schimpft Alexander Wallasch, die »bundesdeutsche Journaille« mache sich zu Gehilfen einer Verschwörung in Syrien. Es lohnt sich, hin und wieder die Zeitung zu lesen, bevor man solchen Unfug in die Welt setzt.

Während der Krieg in Syrien weitergeht, kursieren im Netz immer mehr Videos, die Verbrechen der Rebellen dokumentieren. In einem Clip werfen mutmaßliche Mitglieder der »Freien Syrischen Armee« unter Beifall tote oder halbtote Körper angeblicher Assad-Scharfschützen von Hochhausdächern. Auf einem anderen schneiden Freischärler einem gefesselten, schmächtigen Jungen langsam die Kehle durch.

 

Sie rufen dabei fortwährend »Im Namen Gottes, des Allerbarmers und Barmherzigen«, was das grauenvolle Röcheln des Sterbenden kaum übertönt. Solche Abscheulichkeiten kommen in allen Kriegen vor, auch wenn nicht immer irgendein Dreckskerl mit Kamera daneben steht. Das Handy-Video – über das Phänomen und seine Deutungen wurde viel geschrieben, zuletzt ausführlich von Karen Krüger in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – prägt unser Bild vom Syrien-Krieg.

 

In etwa so wie die sterilen Bordkamera-Aufzeichnungen das Bild des Kuwaitkriegs, ja fast aller Militäroperationen mit westlicher Beteiligung der vergangenen zwei Jahrzehnte prägten. Angesichts solcher Live-Mitschnitte werden nun die Klagerufe lauter. Wen unterstützen wir da eigentlich – moralisch oder militärisch – wenn sich Assad-Gegner so benehmen wie die Schergen des Regimes? Wer gewährt diesen Menschen ihr Recht auf Rache?

 

Ein solches Zetermordio stimmte am vergangenen Wochenende auch Alexander Wallasch auf The European an – vermengt mit seiner These einer »neo-kapitalistischen Verschwörung« Amerikas und seiner Verbündeten gegen Syrien. Eine gleichgeschaltete deutsche Presse, so Wallasch, mache sich – aus Blasiertheit oder, weil es sich angeblich gut verkauft – zu willfährigen Schergen des Komplotts.

 

Pubertär und krude

 

Wallaschs Pamphlet von der »journalistischen Schande« und »unsäglichen Kakophonie bundesdeutscher Journaille« ist ebenso verworren wie der Konflikt in Syrien, aber auch pubertär und krude wie so manches Handy-Video.

 

Wenn man wütend ist und nicht weiter weiß, wenn es sinnlos erscheint, auf Assad und den Krieg zu schimpfen, diejenigen anzugehen, die Wehrlosen den Hals durchschneiden und sich dabei so rechtschaffen fühlen, dass sie ihre Heldentaten in die Welt posaunen, wenn alles nur noch Hilflosigkeit und Frust gebiert, dann sind irgendwann die Medien dran. Im Allgemeinen und im Besonderen. Egal.

 

Dabei bläst Wallasch einen Popanz auf, um ihn anzuschreien. So wie bei Schlägereien in alten Western-Filmen der Gegner mit der einen Hand am Hemdkragen emporgezogen und mit der anderen zu Boden gestreckt wird. Wallaschs pathogene Pöbeleien fördern dabei kaum Erkenntnisse zutage, nicht zu Syrien und nicht zur Lage der Nationen.

 

Aber sie offenbaren die Medienverdrossenheit eines Medienschaffenden, der offenbar keine Lust zum Zeitunglesen hat. Diese Zeitungen nämlich wetteifern seit Monaten – und zwar zum Teil erfolgreich – um zuverlässige Informationen und Deutungen der Lage. Vor einigen Wochen etwa veröffentliche die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine investigative Recherche, die mit der Ortsmarke »Damaskus« versehen war. Darin kam Redakteur Rainer Hermann zu dem Schluss, Rebellen, nicht die Armee, hätten das Massaker im Dorf Al-Houla verübt und dem Regime untergeschoben.

 

Recherche gegen Recherche

 

Man kann sich irren und verwünscht dann zeitlebens den Tag, an dem man sich mit einer These vorgewagt hat, die sich als falsch herausstellt. Spiegel-Reporter Christoph Reuter, den Alexander Wallasch in seinem Text besonders ordinär beschimpft, reiste daraufhin nach Houla. Er riskierte sein Leben – ob aus Ethos oder Eitelkeit ist seine Sache – und sammelte Indizien gegen die These des FAZ-Berichts.

 

Die Ermittlungen der UN-Kommission zu Houla gaben Reuter im Großen und Ganzen Recht. Bis dahin stand Recherche gegen Recherche – nicht gerade ein Beleg für eine Gleichschaltung der Berichterstattung. Wallaschs Held, sein »Leuchtturm« im Medienmorast, ist indes der ehemalige Burda-Manager und CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer, der zweimal Assad interviewte und nach Wallaschs Dafürhalten als einziger die Wahrheit sagt.

 

Der Sorgfalt halber sei erwähnt, dass Todenhöfer mit seiner Dissidentenmeinung, Assad sei nicht der einzige Schweinehund im Krieg, in so ziemlich allen Massenmedien zu Wort gekommen ist: Bild-Zeitung, ARD, Tagesspiegel, FAZ und viele mehr. Als man Todenhöfer für seine freundlichen Gespräche mit Assad kritisierte, räumte dieser völlig zu Recht ein, das journalistische Handwerk sei nicht das seinige.

 

Todenhöfers Auftritte legen vielmehr nahe, dass er sich selbst als Staatsmann fühlt, als Akteur des Weltgeschehens, der Assad vor laufender Kamera das Versprechen abtrotzt, »sich freien Wahlen zu stellen«. Todenhöfer hält seine Meinung offenbar für so entscheidend, dass sie den Lauf der Dinge wenden kann.

 

Auch das ist legitim und keine Schande, sofern man selbst bei seinem Handwerk bleibt und berufsmäßige Berichterstatter nicht bei der Arbeit stört. »Kunst ist, wie alles Heilige, nur dann Kunst, wenn sie nicht weiß, dass sie es ist«, diesen Satz legte Franz Werfel in seinem »Roman der Oper« dem Komponisten Verdi in den Mund.

 

Für den Journalismus gilt das nicht. Journalismus heißt, etwas rauszufinden, das andere noch nicht wissen, um es hernach zu veröffentlichen. Zum Journalismus gehört aber auch, den Mund zu halten, wenn man nicht bescheid weiß und außer dumpfer Wut auf die Verhältnisse nichts vorzubringen hat.

Von: 
Daniel Gerlach

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