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Völkerrecht und Atomstreit mit Iran

Völkerrecht oder Staatsräson

Kommentar

Was würde Deutschland tun, wenn Israel und die USA einen Präventivkrieg gegen Iran begännen? Und was bedeutet es völkerrechtlich, wenn Teheran in der Nuklearfrage lügt? Eine Analyse von Botschafter a.D. Gerhard Fulda.

Die öffentliche Diskussion in Deutschland über das iranische Nuklearprogramm wird so geführt, als gäbe es gar keine völkerrechtlichen Grenzen unserer Handlungsfreiheit. Das geht bis zu der Forderung, wir müssten auch im Falle eines israelischen militärischen Angriffs auf iranische Nuklearanlagen aus historischer Verantwortung fest an der Seite Israels stehen.

 

Schon ein Blick in das Grundgesetz sollte dagegen zu einer rechtlichen Betrachtungsweise zwingen: Nach Artikel 26 ist die deutsche Beteiligung an Angriffskriegen verboten, schon Vorbereitungshandlungen sind unter Strafe zu stellen. Und Artikel 25 erklärt die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts für direkt anwendbar, vorrangig vor sonstigen Gesetzen. Deshalb erscheint es unabdingbar, den völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem iranischen Nuklearprogramm größere Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Es geht dabei vor allem um Fragen des Völkervertragsrechts: um Bedrohung, Intervention und Sanktionen und um das allgemeine Gewaltverbot sowie das Recht auf Selbstverteidigung.

 

Dabei werden sich die hier folgenden Ausführungen auf die rechtlichen Analysen beschränken und zwar nur unter der Annahme, dass der Iran tatsächlich ein Nuklearwaffenprogramm betreibt und zugleich Israel bedroht. Unterhalb dieses Worst-Case-Szenarios gelten die völkerrechtlichen Grenzen natürlich erst recht.

 

Was würde es völkerrechtlich bedeuten, wenn der Iran lügt?

 

Es gibt im Völkerrecht kein allgemeines Verbot für Staaten, sich nuklear zu bewaffnen. Doch jeder Staat kann sich mit dem Atomwaffensperrvertrag verpflichten, auf solche Waffen zu verzichten. Der Iran hat das getan und lässt sich insoweit (mit gewissen Einschränkungen) kontrollieren. Das heimliche Abrücken von dieser Verpflichtung wäre also eine Vertragsverletzung.

 

Es verdient aber hervorgehoben zu werden, dass der Atomwaffensperrvertrag eine Kündigungsmöglichkeit vorsieht. Der Iran bräuchte nur seine Kündigung zu notifizieren und nach Artikel X 1 erklären, dass er seine höchsten Sicherheitsinteressen als gefährdet ansieht. Wenn er die Bombe dann baut, könnte ihm niemand mehr eine Völkerrechtsverletzung vorwerfen. Von dieser Möglichkeit hat der Iran bisher aber nicht Gebrauch gemacht. Er beteuert im Gegenteil, die Urananreicherung nur zur zivilen Nutzung der Kernkraft zu betreiben.

 

Was würde es völkerrechtlich bedeuten, wenn der Iran lügt? Nach Artikel 60 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens berechtigt eine erhebliche Verletzung eines mehrseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei die anderen Vertragsparteien, einvernehmlich den Vertrag ganz oder teilweise zu suspendieren oder ihn zu beenden. Sie könnten also gegenüber dem Iran erklären, im gegenseitigen Verhältnis gelte der Sperrvertrag nicht mehr. Das trifft nicht zu für Israel, das dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist – Israel gegenüber ist der Iran deshalb nicht zur Einhaltung des Vertrags verpflichtet.

 

Man fragt sich: Kann es sein, dass eine heimliche, aber nachgewiesene Vertragsverletzung den Iran genauso stellte, als ob er gekündigt hätte? Erstaunlicherweise könnte dies im Endergebnis faktisch so aussehen. Völkerrechtlich wäre das Ergebnis nicht ganz das gleiche – vor allem nicht im Verhältnis zu den USA oder den anderen Nuklearmächten. Hier zeigt sich eine Besonderheit des Sperrvertrags. Normalerweise gibt es in völkerrechtlichen Verträgen eine gewisse Balance zwischen Leistung und Gegenleistung, zwischen Berechtigung und Verpflichtung.

 

Aus der Balance ist längst eine schiefe Ebene geworden

 

Das hat zur Folge: Wer den Vertrag verletzt, verliert unter Umständen seine aus diesem Vertrag begründeten Ansprüche. Grundsätzlich ist das auch beim Atomwaffensperrvertrag der Fall: Dem Verzicht der nuklearwaffenfreien Vertragspartner steht prinzipiell die Abrüstungsverpflichtung der Nuklearmächte unter den Vertragsparteien gegenüber. Doch ist hier aus der Balance längst eine schiefe Ebene geworden – bei jeder Überprüfungskonferenz zum Vertrag hängt dessen Fortbestand am seidenen Faden, weil von substanzieller nuklearer Abrüstung bei den Atommächten nur sehr beschränkt gesprochen werden kann.

 

Es wäre nicht völlig abwegig, wenn der Iran jetzt schon seinerseits versuchte, statt zu kündigen, sich mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Nuklearmächte aus seiner Verpflichtung zum Verzicht zu befreien. Die USA wären dann zwar gegenüber dem Iran nicht mehr zur nuklearen Abrüstung verpflichtet – doch würde das faktisch kaum irgendetwas ändern. Bisher sind dies rein theoretische Überlegungen. Solange der Iran darauf beharrt, er betreibe ein ausschließlich ziviles Programm, wird er logischerweise weder kündigen, noch Vertragsverletzungen geltend machen.

 

Ein heimliches militärisches Nuklearprogramm wäre zwar eine völkerrechtliche Vertragsverletzung, aber Israel könnte dies dem Iran nicht vorwerfen und für die Vertragspartner ergäbe sich fast die gleiche Situation, als wenn der Iran sein Kündigungsrecht ausgeübt hätte.

 

Angesichts so dürftiger völkervertragsrechtlicher Druckmittel haben sich die USA und ihre Verbündeten zu dem Versuch entschlossen, den Weg zu einer Nuklearbewaffnung mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran zu blockieren. Auch insoweit wird für die folgende Prüfung unterstellt, dass der Iran die Entwicklung von nuklearen Massenvernichtungswaffen betreibt und Israel mit politischen Absichtserklärungen bedroht. Es geht um die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die darauf antwortende Sanktionspolitik des Westens mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist.

 

Sind die verbalen Ausfälle des Irans gegen Israel ein völkerrechtlicher Tatbestand?

 

Ausgangspunkt ist auch hier wieder die Feststellung, dass das Streben nach Nuklearwaffen nicht per se völkerrechtswidrig ist. Nicht ganz so eindeutig lässt sich beurteilen, wie die Forderung eines Staates zu beurteilen ist, der die Ablösung der Regierung eines anderen Staates fordert. Das ist grundsätzlich eine nach Artikel 2, Absatz 7 der UN-Charta verbotene Intervention, die aber aufgrund der universell geltenden Menschenrechte trotzdem zulässig sein kann. Ein Land, das früher das Verschwinden des Apartheidregimes in Südafrika gefordert hat, hätte damit wohl einen unfreundlichen Akt, aber keine Völkerrechtsverletzung begangen.

 

Bei den verbalen Ausfällen des Irans gegen Israel ist es eine Tatfrage, ob es sich dabei nur um die Formulierung gehandelt hat, das Regime, also die gegenwärtige Regierung, müsse verschwinden (welcher der Iran wegen seiner Besatzungspolitik und wegen der Diskriminierung seiner nichtjüdischen Staatsangehörigen eine Apartheidpolitik vorwirft) – oder ob das Tilgen des Staates Israel von der Landkarte gefordert wird. Wird auch hier der Worst Case unterstellt, dann muss dies als ein völkerrechtliches Delikt bezeichnet werden, gegen das der verletzte Staat Gegenmaßnahmen (unterhalb der militärischen Ebene) ergreifen darf.

 

In der schlimmsten Annahme, es werde angekündigt, mit militärischen Mitteln einen anderen Staat zu vernichten, dann wäre dies eine nach Artikel 2.4 der UN-Charta verbotene Androhung von Gewalt. Hier geht es zunächst um die Aspekte eines völkerrechtlichen Deliktes beziehungsweise einer bloß unfreundlichen Handlung.

 

Auf der westlichen Seite genügt die in diesem Zusammenhang oft erwähnte – und kaum zu bestreitende – Gefahr einer nicht mehr einzudämmenden Proliferation nicht, um die Anwendung von wirtschaftlichen oder politischen Druckmitteln gegen ein Streben nach Nuklearwaffen zu rechtfertigen. Die Bemühung, sich Nuklearwaffen zuzulegen, ist wie gesagt als solche nicht rechtswidrig. Wer das anders sehen wollte, würde die Freiwilligkeit des Beitritts zum Atomwaffensperrvertrag und auch das darin enthaltene Kündigungsrecht aushebeln. Solche Sanktionen müssen deshalb daraufhin geprüft werden, ob sie nicht ihrerseits völkerrechtswidrig sind.

 

Bei der in dieser Fallgestaltung engen Verknüpfung mit Drohgebärden gegen einen anderen Staat kann es dahingestellt bleiben, ob die Sanktionen zumindest als Retorsion, wenn nicht als Repressalie anzusehen sind. Dies sind Instrumente, die das Völkerrecht bereithält, um gegen unfreundliche Akte oder völkerrechtliche Delikte vorzugehen, das heißt, die Anwendung legaler, also nicht verbotener Gegenmaßnahmen. Als solche werden in den Vereinten Nationen wirtschaftliche und politische Sanktionen betrachtet.

 

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit

 

Die Charta der Vereinten Nationen sieht zwar bei Bedrohungen des Weltfriedens auch vor, dass der UN-Sicherheitsrat zur Sicherung des Friedens Sanktionsmaßnahmen gegen ein beschuldigtes Land beschließen kann. Anders als bei der Anwendung von Waffengewalt kennt das UN-System aber kein generelles Verbot der Anwendung wirtschaftlicher oder politischer Druckmaßnahmen. Der Gewaltbegriff in Artikel 2.4 der Charta umfasst nur militärische Gewalt. Es gibt deshalb auch kein Sanktionsmonopol des Sicherheitsrats.

 

Zwar gibt es unterhalb der Schwelle des Gewaltverbots nach der Resolution 2625 (XXV) ein weiteres Interventionsverbot, das aber »coercion« – also Zwangsanwendungen – voraussetzt. Wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen sind im Allgemeinen keine Anwendung von Zwang.

 

Allerdings gilt insoweit ein strenges Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Deshalb muss sehr klar die Frage gestellt werden, welchen Nachteil der Westen hinzunehmen hätte, wenn der Iran Nuklearwaffen herstellte und wie real die Rhetorik gegen Israel einzuschätzen sei. Und weiter: in welchem Verhältnis dazu die Nachteile stünden, die der Iran bei einem durch westliche Sanktionen zu erwartenden Einbruch seiner Exportwirtschaft und seiner internationalen Bankverbindungen zu erleiden hätte. Es steht zu befürchten, dass im Westen bei seiner bisherigen Verhandlungsstrategie diese Fragen weder gestellt noch beantwortet worden sind.

 

Gewiss sind im Zusammenhang mit allen Fragen der nuklearen Proliferation, zum Beispiel mit dem Vermeiden terroristischen Zugriffs auf Nuklearwaffen, sehr schwer zu gewichtende Faktoren für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Aber in die Forderung nach transparenter und öffentlicher Darlegung solcher Abwägungen gehört auch die Einbeziehung von Vergleichsfällen, besonders naheliegend in diesem Fall mit Blick auf Pakistan und Nordkorea. Darüber hinaus müsste auch geklärt werden, ob weniger einschneidende Konfliktlösungsansätze, etwa die Vereinbarung einer nuklearwaffenfreien Zone in der Region, überhaupt in Erwägung gezogen worden sind.

 

Der Versuch, mit Hilfe von Sanktionen das Ende eines vermuteten militärischen Nuklearprogramms im Iran herbeizuführen, ist nicht grundsätzlich unvereinbar mit dem Völkerrecht. Ohne eine nachvollziehbare Begründung, dass solche Maßnahmen sorgfältig unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abgewogen worden sind, gerät jede Sanktionspolitik jedoch in den Verdacht, das Übermaßverbot nicht beachtet zu haben und damit das Verbot einer Intervention zu verletzen.

 

Weder Israel noch die USA haben den Rechtfertigungsgrund Selbstverteidigung zur Sprache gebracht

 

Während in Israel und in den USA, dort vor allem von konservativen Kräften, unbefangen vom Nutzen und etwaigen Risiken einer bewaffneten Intervention gegen iranische Nuklearanlagen gesprochen wird, wird die Geltung des umfassenden Gewaltverbots nach Artikel 2.4 der UN-Charta ansonsten weltweit nicht in Zweifel gezogen.

 

 

Von diesem allgemeinen Gewaltverbot gibt es im Völkerrecht nur zwei Ausnahmen: das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 und die vom Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta beschlossenen Zwangsmaßnahmen. Die Legitimation eines Krieges (oder auch einer begrenzteren militärischen Gewaltanwendung) und ebenso auch die Legimitation der Androhung solcher militärischer Maßnahmen sind in beiden Fällen an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen gebunden.

 

Das Selbstverteidigungsrecht greift nur als Antwort auf einen bewaffneten Angriff, während der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen schon bei einer Bedrohung des Weltfriedens beschließen kann. Fast durchgängig wird gesagt, dass Selbstverteidigung auch bei einem »imminenten« Angriff zulässig sein soll, wo der Angriff gleichsam schon anrollt.

 

Die Definition des bewaffneten Angriffs gemäß der Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung aus dem Jahre 1974 schließt aber frühere Präventivmaßnahmen nicht ein. Das ist inhaltlich als eine zu weitgehende Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts kritisiert worden, weil der Verteidiger nach einem bereits erfolgten Angriff möglicherweise bereits massiv in seinen militärischen Fähigkeiten beeinträchtigt worden sein könnte. Vordergründig scheint diese Kritik gerade bei Nuklearwaffen einzuleuchten. Trotzdem bleibt es im UN-Recht überzeugend, nicht jedem einzelnen Staat gegen einen nur vermuteten Angriff die Legitimation einer Selbstverteidigung zu gewähren. Bei einer erkennbaren Gefährdung des Friedens kann ja zunächst der Sicherheitsrat angerufen werden.

 

In der Anwendung auf den konkreten, hier untersuchten Fall haben denn auch bisher weder Israel noch die Vereinigten Staaten den Rechtfertigungsgrund Selbstverteidigung zur Sprache gebracht. Das Bemühen Israels, der USA und der Europäer um eine einschlägige Resolution des Sicherheitsrats zeigt vielmehr, dass die Begründung für ein militärisches Eingreifen in einer Gefährdung des Weltfriedens, nicht in einem unmittelbar bevorstehenden Angriff des Irans auf Israel gesehen wird.

 

Auch die Drohung mit einem Militärschlag verstößt gegen das Völkerrecht

 

Tatsächlich würde die Argumentation, der Iran wolle Atomwaffen, sobald er sie einmal hergestellt und bevor er sie auch nur getestet habe, sogleich zu einem Angriff auf Israel nutzen wollen, der Glaubwürdigkeit entbehren. Das gilt umso mehr, als Israel nicht nur eine seit Jahrzehnten erprobte, überlegene Militärtechnologie entwickelt hat, sondern sich darüber hinaus auch noch auf den Schutz der USA verlassen könnte.

 

Wenn aber eine militärische Aktion Israels und/oder der Vereinigten Staaten (mit oder ohne Unterstützung und Billigung anderer Länder) gegen iranische Nuklearanlagen nicht auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden kann, dann bliebe sie ohne Beschluss des Sicherheitsrats ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Das gilt ebenso für die Drohung mit einem solchen Schlag. Wer also verkündet, es müssten »alle Optionen auf dem Tisch bleiben«, und mit diesen oder ähnlichen Worten den diplomatischen Druck auf den Iran erhöhen möchte, droht mit Gewalt und tritt deshalb für eine völkerrechtswidrige Aktion ein, wenn dies nicht ausdrücklich in die Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats verwiesen wird.

 

Darüber hinaus sollten alle Beteiligten sorgfältig im Auge behalten, dass die Vertragsparteien des »Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof« in einer Revisionskonferenz im Juni 2010 Ergänzungen des Statuts mit sehr differenzierten Bestimmungen im Hinblick auf die Strafbarkeit der Führung eines Angriffskrieges beschlossen haben

 

Ein militärischer Angriff auf iranische Nuklearanlagen wäre nicht durch das Selbstverteidigungsrecht legitimiert und deshalb völkerrechtswidrig. Das gilt auch für die Drohung mit militärischer Gewalt. Beides könnte nur vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wegen einer Gefährdung des Weltfriedens beschlossen werden.

 

Setzt die Bundesregierung auf »Staatsräson« oder völkerrechtliche Grundsätze?

 

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit ihrem Bestehen in besonderer Weise zur Beachtung und Weiterentwicklung des Völkerrechts verpflichtet. Bezogen auf die Anwendung militärischer Gewalt haben sich alle bisherigen Bundesregierungen an die Grundsätze gehalten, die zu den Analysen dieses Textes herangezogen worden sind.

 

Die Bundesrepublik Deutschland wird weltweit als ein Staat wahrgenommen, der seine sicherheitspolitischen Entscheidungen sorgfältig an völkerrechtlichen Kriterien ausrichtet. Andererseits haben sich in der Vergangenheit alle Bundesregierungen besondere Zurückhaltung auferlegt, wenn es um die öffentliche Beurteilung militärischer Aktionen ging, an denen Israel beteiligt war. In der arabischen Welt ist die deutsche Blindheit gegenüber israelischen Verletzungen des Völkerrechts oft kritisiert worden.

 

Bundeskanzlerin Merkel betonte in einer Rede in der Knesset am 18. März 2008 im Zusammenhang mit der Erörterung des iranischen Nuklearprogramms: »Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.«

 

Natürlich enthält eine solche Rede keine völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, die ohne den Bundestag nicht zustande kommen könnte. Zudem gehört der Begriff der Staatsräson nicht in die völkerrechtliche Terminologie und nicht einmal in den Sprachgebrauch des deutschen Staatsrechts. Im Grundgesetz jedenfalls kommt dieses Wort nicht vor – es ist eine vordemokratische Formel. Es ist also lediglich eine politische Verpflichtung der Bundeskanzlerin, die aber jetzt in einen unauflösbaren Widerspruch zu der bekennenden Völkerrechtspolitik aller bisherigen Bundesregierungen zu geraten droht.

 

Was geschieht, wenn es Israel nicht gelänge, in einem Erstschlag die gesamte iranische Raketenrüstung zu zerstören? Wenn der Iran noch Raketen mit konventionellen Sprengköpfen auf Tel Aviv schießen kann? Dann ist Israels Sicherheit im Kern bedroht – allerdings handelte der Iran in diesem Szenario im Wege der Selbstverteidigung gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff. Wo steht Deutschland dann? Auf der Seite des Völkerrechts oder auf der Seite der politischen Verpflichtungen seiner Bundeskanzlerin?

 

Es wäre gut, wenn die deutsche und die israelische Bevölkerung auf diese Frage rechtzeitig eine Antwort erhielten.

Von: 
Gerhard Fulda

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